Rojava: Drohnenkrieg gegen Energieversorgung

Şerwan Legerin vom Kurdischen Halbmond über die dramatische Lage in der Region und eine Kampagne für den Aufbau von Solaranlagen

Eine Million Euro will die Kampagne »Solardarity« für Solaranlagen in den Selbstverwaltungsgebieten im Norden und Osten Syriens sammeln.
Eine Million Euro will die Kampagne »Solardarity« für Solaranlagen in den Selbstverwaltungsgebieten im Norden und Osten Syriens sammeln.

Lesen Sie auch die Rojava-Reportage von Anita Starosta den Bericht von Thomas Schmidinger zur türkischen Invasion im Irak.

Was bedeutet der türkische Drohnenkrieg für den Alltag in Rojava?

Diese Angriffe sind sehr belastend und haben enorme psychosozialen Folgen. Niemand weiß, wer angegriffen wird; die Attacken erfolgen nicht nur an Frontabschnitten, sondern auch weit im Inneren des Landes. Außerdem richten sie sich systematisch gegen zivile Infrastrukturen. Bei diesem Drohnenkrieg geht es nicht allein darum, Leute umzubringen. Genauso wichtig ist, die Hoffnung für die Region auszulöschen. Im Kampf gegen den Islamischen Staat haben wir viele junge Menschen verloren – mehr als 12 000. Jetzt sind die Opferzahlen niedriger, aber die Zerstörung ist vielleicht noch gravierender.

Sind die Drohnenangriffe auf die Strom- und Trinkwasserversorgung systematischer Bestandteil der türkischen Kriegsführung?

Interview

Şerwan Legerin ist stellvertretender Leiter des Kurdischen Halbmonds in Nordsyrien. Die Organisation ist Partnerin der Kampagne »Solar­darity. Neue Energie für Rojava«, die eine Million Euro für Solaranlagen in den Selbstverwaltungs­gebieten Nord­syriens sammeln möchte.
Spendenkonto: Medico international
IBAN: DE69 4306 0967 1018 8350 02
GLS Bank; Stichwort: Solardarity

Zunächst einmal muss man betonen, dass die Zerstörung ziviler Infrastrukturen als Kriegsverbrechen gilt. Und die Türkei greift die Infrastruktur in unserer Region systematisch an. Ende letzten Jahres hat sie sich zunutze gemacht, dass die Augen der Weltöffentlichkeit auf Palästina gerichtet waren. Zerstört wurde neben der Stromversorgung in unserer Region auch das Gasverteilzentrum von Siwêdiyê, wo bis dahin jeden Tag 10 000 Gasflaschen abgefüllt wurden. Die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien war daraufhin gezwungen, Gas aus dem kurdischen Teil des Irak zu importieren – was für die Menschen in der Region sehr teuer ist. Das Ziel dieser Angriffe ist klar: Die Menschen sollen das Vertrauen in die Selbstverwaltung verlieren und die Region verlassen.

Sie haben gemeinsam mit deutschen Unterstützer*innen eine Kampagne gestartet, um eine Million Euro für Solaranlagen zu sammeln. Inwiefern könnte dies die Krise lindern und dem türkischen Krieg gegen die Zivilbevölkerung etwas entgegensetzen?

Die Selbstverwaltung hat die durch die Türkei verursachten Schäden auf Zigmillionen Dollars beziffert. Es war eine Summe, die niemand aufbringen kann. Daraufhin haben wir entschieden, dass wir jetzt machen müssen, was wir machen können. Das heißt, wir setzen jeweils die Summe ein, die uns gerade zur Verfügung steht. Der Fokus liegt darauf, als Erstes die Wasser- und Stromversorgung öffentlicher Einrichtungen wie der Schulen zu reparieren.

Das heißt, Sie installieren bereits Solaranlagen?

Wir setzen Solarpanels schon lange in unseren Kliniken und Büros ein. Nach dem Erdbeben haben wir außerdem solarbetriebene Pumpen zur Wasserversorgung installiert. Unsere Ingenieure sind also mit der Technik vertraut. Die Entscheidung, wo neue Anlage besonders gebraucht werden, koordinieren wir mit der Selbstverwaltung.

Die türkische Regierung hat ein Abkommen mit Bagdad geschlossen, um im Nordirak einmarschieren zu können, und verfolgte eine Annäherung an das Assad-Regime in Syrien. Geht es dabei um die Auslöschung Rojavas?

Wenn die türkische Regierung die Möglichkeit dazu bekommt, wird sie das sicherlich tun. Aber das hängt nicht in erster Linie von Vereinbarungen mit Assad oder Bagdad, sondern von der Haltung der großen internationalen Akteure – also den USA und Russland – ab. Die Entwicklungen der letzten Monate könnten sich tatsächlich sehr negativ auswirken. Die Selbstverwaltung sucht deshalb schon länger den Dialog mit der Regierung Assad, um zu einer Lösung innerhalb des syrischen Volkes zu kommen. Doch die Regierung in Damaskus ist sehr nationalistisch. Das bekommen nicht nur die Kurd*innen, sondern auch andere Nationalitäten in unserer Region zu spüren. Gleichzeitig merken aber auch arabische und konservative Bevölkerungsgruppen bei uns, dass sie von der Türkei nur instrumentalisiert worden sind.

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