- Kultur
- Ezzes von Estis
Irrationaler Firlefanz
Finanzjudentum I: Wie werde ich Mitglied?
Seit ich von dessen Existenz erfahren habe, frage ich mich: Wie stelle ich es an, endlich auch zum internationalen Finanzjudentum zu gehören? Überall spricht man davon; und wenn ich schon zum Judentum gehöre, was mehr Nachteile mit sich bringt, als es keine Vorteile bietet, dann möchte ich zumindest etwas davon haben, wenn schon keine Vorteile, dann irgendwelche anderen Teile, und besser noch Anteile.
Ich frage mich also: Wie werde ich Mitglied des internationalen Finanzjudentums? Das frage ich mich – aber ich weiß es nicht. Wüsste ich es, würde ich es mich natürlich auch nicht fragen, obwohl es andererseits umgekehrt sinnvoll wäre, jemanden zu fragen, der es weiß, also in dem Fall mich selbst.
Aber da ich es nicht weiß, brauche ich es mich auch nicht zu fragen, was ich dennoch tue, und da muss ich eben antworten: Wie ich Mitglied des internationalen Finanzjudentums werde, das weiß ich nicht. Ich weiß ja nicht einmal, wie ich Mitglied des nationalen Finanzjudentums werde oder wenigstens des regionalen, zum Beispiel des Finanzjudentums von Borstel-Hohenraden.
Alexander Estis, freischaffender Jude ohne festen Wohnsitz, schreibt in dieser Kolumne so viel Schmonzes, dass Ihnen die Pejes wachsen.
Hat Borstel-Hohenraden überhaupt ein Finanzjudentum? Das ist zu mindestens so viel Prozent sicher, wie ich an Zins nehmen würde, wäre ich Teil des dortigen Finanzjudentums. Aber ob nun Borstel-Hohenraden ein Finanzjudentum hat oder nicht – es wirkt auf jeden Fall genauso im Verborgenen wie das internationale.
Warum wirkt das Finanzjudentum im Verborgenen? Damit es entlarvt werden kann. Um das Finanzjudentum zu entlarven, bedarf es sehr genauer Beobachtung der Finanzströme, allem voran durch Gespräche mit anderen, die sie ebenso beobachten durch Gespräche mit wieder anderen. Daher wird das Finanzjudentum mitsamt seinen Mitgliedern in der Regel entlarvt von Menschen, die selbst Mitglieder sind, zum Beispiel des Pommfritzbudentums.
Ab wann gehört man zum Pommfritzbudentum? Ab dem Moment, da man zum ersten Mal »Finanzjudentum« gesagt und dabei so bedeutungsvoll geschaut hat, dass unmittelbar klar wurde, wie es im Verborgenen wirkt.
Doch ab wann gehört man zum Finanzjudentum? Der arme Mojsche zum Beispiel hat letzte Woche eine Münze gefunden. Gehört er jetzt schon zum Finanzjudentum? Wenn ja, dann dürfte ich erst recht dazugehören. Denn ich habe heute so viel Geld wie noch nie. Ich hatte nämlich noch nie Geld – und genauso viel habe ich heute.
Es kommt natürlich darauf an, wie man zählt. Wenn man nur richtig zählt, habe ich ja ziemlich viel Geld: Erstens habe ich nicht genug Geld für die Miete, zweitens habe ich nicht genug Geld für Strom, drittens habe ich nicht genug Geld für Wasser, viertens habe ich nicht genug Geld für den Arzt, fünftens habe ich nicht genug Geld für die Schwiegereltern, sechstens habe ich nicht genug Geld für das siebte Kind, siebtens habe ich nicht genug Geld für das sechste Kind. Und wenn man das alles zusammennimmt, macht das schon ziemlich viel.
Trotzdem gehöre ich nicht zum internationalen Finanzjudentum. Ich gehöre sozusagen nicht zur Hoch-, sondern zur Tieffinanz. Schließlich bin ich freier Schriftsteller, und frei bedeutet fast so viel wie honorarfrei. Überdies muss ich zum Leben schreiben, obwohl ich ohnehin schon vom Schreiben lebe. Zugleich kürze ich leider schneller, als ich schreibe, also bleibt vom Schreiben fast genauso wenig übrig wie zum Leben. Und deshalb bringe ich es statt zum internationalen Finanzjudentum bestenfalls zum irrationalen Firlefanzjudentum.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.