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China steht im Schwimmen unter besonderer Beobachtung
Im Becken von Paris schwimmen des Dopings verdächtigte Sportlerinnen und Sportler um Gold
Ist das noch Zufall? Wenn an diesem Sonnabend die ersten Schwimmerinnen im Pariser Vorort Nanterre ins Becken der eigens dafür umgebaute Rugbyarena La Défense springen, stehen zunächst die Vorläufe über 100 Meter Schmetterling an. Was ist daran so besonders, mag man fragen? Die Antidopingjäger dieser Welt wissen es. Schließlich sollen bei diesen Olympischen Spielen elf chinesische Schwimmerinnen und Schwimmer antreten, die in einen Skandal verwickelt sind, in dem der Vorwurf erhoben wurde, dass massenweise positive Dopingproben vertuscht worden seien. Mit Zhang Yufei und Yu Yiting stehen gleich zwei dieser elf Verdächtigten für ebenjene 100 Meter Schmetterling der Frauen in der Meldeliste.
Was passiert, sollten Zhang, Doppelolympiasiegerin vor drei Jahren in Tokio, oder Staffelweltmeisterin Yu nach dem Finale am Sonntagabend sogar aufs Siegerpodest steigen, dürfte manchen Schwimmfunktionär zittern lassen. Bei den Weltmeisterschaften 2019 hatten sich der Brite Duncan Scott und der Australier Mack Horton geweigert, bei der Siegerehrung gemeinsam mit dem ebenfalls schwer des Dopings verdächtigten, aber noch nicht gesperrten Schwimmstar Sun Yang für die üblichen Fotos zu posieren. Auch ein Handschlag wurde ihm verwehrt. Der Protest gegen die Startberechtigung Suns war so offensichtlich, dass der Weltverband World Aquatics Nachahmern Bestrafungen androhte. Auch wenn sich Sun Yang nicht mehr für Paris qualifizieren konnte, ist eine Wiederholung durchaus vorstellbar.
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Es bleiben schließlich genügend chinesische Namen auf Verdachtslisten, darunter zwei weitere Olympiasieger sowie mehrfache Welt- und Asienmeister, bei denen einige Kontrahenten die Nase rümpfen. Insgesamt 23 Chinesen wurden im April in einer gemeinsamen Recherche der ARD und der »New York Times« erwähnt, welche die Glaubwürdigkeit von Chinas Antidoping-System und die Wächterfunktion der Welt-Antidoping-Agentur Wada infrage gestellt hatte. Demnach wurden die Schwimmer bei einem Wettkampf in Shijiazhuang im Januar 2021, also vor den Spielen in Tokio, positiv auf das verbotene Herzmittel Trimetazidin getestet, jedoch nicht sanktioniert. Die Wada glaubte der nationalen Antidoping-Agentur Chinada und den chinesischen Behörden, deren Untersuchung die Kontaminierung einer Hotelküche ergeben haben wollte, aus der die Athleten verköstigt worden seien.
Die Wada hatte die Untersuchungen mit der Begründung eingestellt, dass ihnen auch nach einem »mehrwöchigen Überprüfungsprozess« weder Verschulden noch Fahrlässigkeit anzulasten sei. Doch wie genau lief diese Überprüfung ab, fragten sich Beobachter. China hatte erst mehr als zwei Monate später Spuren von Trimetazidin im Dunstabzug, an Gewürzcontainern sowie im Abfluss der Küche gefunden. Die Sportler selbst wurden nie – wie in den Richtlinien festgelegt – vorläufig suspendiert, die Fälle auch nicht publiziert.
Trotz solcher Regelverstöße veranlasste die Wada keine unabhängige Untersuchung. Bis heute nicht, dabei behaupteten Whistleblower später, dass mindestens zwei der beschuldigten Athleten gar nicht in dem Hotel untergebracht gewesen seien, dessen Küche angeblich kontaminiert gewesen war. Die Wada stützt stattdessen die Kontaminations-Erklärung mit den unter Grenzwerten liegenden »niedrigen Konzentrationen« des Dopingmittels.
Travis Tygart, Chef der US-Antidoping-Agentur, kritisierte diese Untätigkeit scharf: »Wenn das wahr ist, riecht das nach Vertuschung auf der höchsten Ebene der Wada.« Dagegen wiederum wehrte sich deren Chef Witold Bańka, der eine Politisierung des Falles inmitten der Spannungen zwischen den Großmächten USA und China ausmachte. Mittlerweile ermittelt sogar das FBI.
Aus Sicht des unabhängigen Schweizer Staatsanwalts Eric Cottier verhielt sich die Wada korrekt. »Es gibt nichts in der Akte – die vollständig ist –, das darauf schließen lässt, dass die Wada die 23 Schwimmer bevorzugte«, hieß es in seinem Anfang Juli veröffentlichten Bericht. Tygart zeigte sich davon unbeeindruckt. Die meisten kritischen Fragen seien im Report unbeantwortet geblieben, »da die Wada selbst den Ermittler ausgewählt und den begrenzten Umfang der Untersuchung festgelegt hat«.
Diese Reaktion missfiel so kurz vor den Spielen von Paris dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Es sprach ihr »volles Vertrauen« aus und forderte alle auf, »die Wada als höchste Autorität im Kampf gegen Doping zu respektieren«. Cottiers Unabhängigkeit und die Genehmigung seines Reports durch die Wada-Exekutive, die sich unter anderem aus demokratisch gewählten Athletenvertretern sowie Abgesandten von Behörden aus den USA oder Frankreich zusammensetze, sei unzweifelhaft.
Festzuhalten ist, dass ARD und »New York Times« nie Beweise für eine tatsächliche Vertuschung oder gar für einen bewussten Dopingmissbrauch vorlegen konnten. China steht seit Jahrzehnten, vor allem im Schwimmen, nicht unbegründet unter einem generellen Betrugsverdacht. Die Debatte dreht sich diesmal aber eher um das Vorgehen der Wada. Dabei ist es nicht unüblich, dass sie keine eigene Untersuchung veranlasst und den Untersuchungen nationaler Agenturen vertraut, zumal China 2021 coronabedingt für Ausländer fast komplett unzugänglich war. Auf dieser Basis womöglich unschuldige Sportler zu sperren, hätte mit Sicherheit ebenso viele Diskussionen hervorgerufen.
Dennoch blieben auch aus Sicht der deutschen Dopingjäger der Nada Fragen offen. So forderte ihr Vorsitzender Lars Mortsiefer gegenüber »nd« eine transparente Offenlegung aller Berichte und Aussagen im Verfahren, sei es international oder national in China. Nur so könne das Vertrauen wiederhergestellt werden. Auch eine Präzisierung des Untersuchungsverfahrens regte er an, schließlich hätte die Nada den Fall ganz anders gehandhabt. »Wir stellen fest, dass das Regelwerk weltweit unterschiedlich interpretiert wird. In dem ist relativ eindeutig festgehalten, dass ein solcher Fall vom Labor anonymisiert an die Nada gemeldet wird. Die ordnet eine positive Probe dann einem Athleten zu. Und dann ist jeder Fall einzeln zu behandeln«, also nicht, wie in China geschehen, als Massenkontamination.
In solch einem Fall wäre die Folge, dass jeder betroffene Athlet hätte benachrichtigt und vorläufig suspendiert werden müssen. »Er kann dann die B-Probe öffnen lassen, eine Stellungnahme abgeben, die Suspendierung anfechten. Alles das passiert aber erst nach der Benachrichtigung, und genau hier sehe ich einen Unerschied zum Vorgehen im vorliegenden Fall«, so Mortsiefer. »Wir haben nun von der Wada mitgeteilt bekommen, dass Verbände offenbar von dieser Regelung abweichen können.« Ebenso vermisste der Jurist, dass der Erklärung einer Kontamination in von der Wada akkreditierten Laboren nachgegangen wird.
So ist nicht verwunderlich, dass auch bei Athleten weltweit Vertrauen verloren gegangen ist: So sagte Rekord-Olympiasieger Michael Phelps kürzlich vor einem Ausschuss des US-Repräsentantenhauses: »Jegliche Reformversuche der Wada sind gescheitert.« Das Recht aller Athleten auf fairen Wettbewerb sei bedroht. Erstmals hatte sich der einstige Schwimmstar vor sieben Jahren vor dem Kongress geäußert, damals zum staatlich orchestrierten Doping in Russland, das allerdings viel eindeutiger dokumentiert war.
Der noch aktive deutsche Olympiasieger Florian Wellbrock verneinte jüngst eine Frage der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, ob für alle Athleten die gleichen Regeln gelten würden: »Offensichtlich nicht. Als Sportler hat man das natürlich als schlechten Witz wahrgenommen.« Die deutsche Medaillenhoffnung in Paris betonte aber auch, dass er nicht alle chinesischen Kontrahenten automatisch verdächtige: »Zuerst gilt die Unschuldsvermutung. Und so behandle ich die Leute auch.« Bundestrainer Bernd Berkhahn erwartet dennoch in Paris Reaktionen auf die Freisprüche der Chinesen. »Wir wissen, dass dies einen Schatten auf die Spiele wirft. Es wird auch wieder Proteste in der Schwimmhalle geben. Da spielt so viel Politik hinein, die wir als Sportler oder Trainer gar nicht beeinflussen können«, sagte Berkhahn.
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