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Zeichnungen trotz allem

Eine Ausstellung in Neuhardenberg zeigt (nicht nur) widerständige Kunst, die unter nationalsozialistischer Herrschaft entstanden ist

Ernst Kaufmann, »Jüdischer Häftling bei Streckübung am Flaschenzug«, 1945
Ernst Kaufmann, »Jüdischer Häftling bei Streckübung am Flaschenzug«, 1945

Wie lässt sich die Shoah darstellen? Und was können uns dokumentarische Bilder aus Auschwitz vermitteln? Die Diskussion darum wurde in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten vor allem in Frankreich mit einiger Polemik geführt, ausgelöst durch einen 2000 erschienenen Katalogbeitrag des Kunsthistorikers Georges Didi-Huberman. In diesem geht es um vier Fotografien, mutmaßlich geknipst von Alberto Errera, einem Häftling des Auschwitz-Sonderkommandos. Sie gelten als einzige authentische Bilddokumentation des Massenmords in dem Lager.

Für Didi-Huberman sind sie Fragmente, mit deren Hilfe man sich der historischen Realität zumindest annähern könne. Scharf kritisiert wurde er für diese Haltung etwa vom Psychoanalytiker Gérard Wajcman und von Claude Lanzmann, der in seinem Dokumentarfilm »Shoah« (1985) komplett auf historisches Bildmaterial verzichtete. Ihr Vorwurf: Durch seine Fokussierung auf die vier Fotografien, die einer Fetischisierung gleichkomme, leugne Didi-Huberman die Unvorstellbarkeit der Geschehnisse in den Konzentrationslagern. In seinem Buch »Bilder trotz allem« (2007) setzt sich Didi-Huberman tiefgehend mit dieser Anklage auseinander.

In Deutschland fand die Debatte verhältnismäßig wenig Widerhall; dennoch gab es auch hierzulande eine Auseinandersetzung mit dem Topos der Undarstellbarkeit der Schoah, vor allem auf dem Gebiet der bildenden Kunst: Gerhard Richter übertrug für seinen »Birkenau«-Zyklus (2014) die vier Fotografien aus Auschwitz zunächst mutmaßlich detailgetreu auf große Leinwände, übermalte sie dann aber wieder, sodass nun nur noch abstrakte Farbflächen zu sehen sind. Die Schoah lässt sich nicht künstlerisch darstellen und man sollte es auch nicht versuchen, wird hier impliziert.

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Anders sieht es Michael Müller: Auf Richter Bezug nehmend, hat er die Fotografien aus Birkenau ebenso auf große Leinwände übertragen, sie aber in ihrer Figürlichkeit belassen. Dazu hat er auch Richters abstrakte Malereien reproduziert. Ein möglicher Gedanke dahinter: Führt es nicht eher zu einer Mythologisierung und Überhöhung der Nazi-Verbrechen, wenn man ihnen das Konkrete nimmt? Gewissermaßen widerspricht ein solches Vorgehen auch dem Willen der Häftlinge: Sie haben damals ihr (ohnehin am seidenen Faden hängendes) Leben riskiert, um die Weltöffentlichkeit von den Nazi-Verbrechen in Kenntnis zu setzen.

Dieses Ziel der Information und Dokumentation verfolgte zweifellos auch Ernst Kaufmann, der 1945 mehrere Monate lang im KZ Theresienstadt interniert war und dort zahlreiche Zeichnungen anfertigte. Einige von ihnen sind derzeit in der Ausstellung »Nacht in Deutschland. Verfolgung – Zerstörung – Widerstand« im Schloss Neuhardenberg in Brandenburg zu sehen. Anlässlich des 80. Jahrestags des Stauffenberg-Attentats am 20. Juli kuratiert, zeigt die Schau Zeichnungen und Malereien, die unter der Nazi-Herrschaft entstanden sind. Schneider hat über Jahrzehnte Werke von im NS verfolgten und heute vielfach vergessenen Künstlern zusammengetragen.

Es ist erstaunlich, dass den Zeichnungen von Kaufmann, der in Karlsruhe, München und Leipzig Kunst studiert hatte, bisher nicht mehr Aufmerksamkeit zuteilwurde. Wie Kurator Simon Häuser erzählt, hatte Kaufmanns Familie lange erfolglos versucht, diese zu verkaufen, bevor sie in Schneiders Besitz gelangten. Im letzten Jahr laut Häuser schon einmal in Solingen gezeigt, sind sie mit der aktuellen Ausstellung erstmalig in einem Katalog publiziert. Es sind explizite Darstellungen des eigenen Lageralltags sowie Szenen, die Kaufmann mutmaßlich von aus anderen Konzentrationslagern nach Theresienstadt verlegten Mithäftlingen geschildert wurden. Sie zeigen unmenschliche Folter und Qual: eine für uns heute unvorstellbare (aber offenbar nicht unzeigbare) Normalität. In ihrer visuellen, dokumentarischen Form – der Stil erinnert an Gerichtszeichnungen – kommen sie den Fotografien aus Auschwitz dabei näher als schriftliche Berichte und auch andere künstlerische Zeugnisse.

Doch enthalten die Bilder zwangsläufig auch subjektiven Ausdruck des Künstlers, der sich besonders in den mitunter sarkastischen Bildtiteln zeigt. »Wie lange wird er nach der Giftinjektion noch leben?« heißt etwa eine Zeichnung. Kaufmann nimmt damit die Perspektive des darauf festgehaltenen SS-Mannes ein. Vor einer Pritsche sitzend beobachtet dieser einen abgemagerten Häftling, dem er offenbar im Rahmen eines medizinischen Experiments eine tödliche Lösung verabreicht hat.

Ein anderes Bild ist mit »Jüdischer Häftling bei Streckübung am Flaschenzug« betitelt. Allein, die »Streckübung«, wie die Zeichnung sie zeigt, besteht für den Häftling darin, einen Mitgefangen unter Aufsicht eines SS-Mannes einen mit einem Flaschenzug versehenen Galgen hinaufzuziehen. Man erinnere sich hier an die Worte des Comiczeichners Art Spiegelman, der die Geschichte seines Vaters, eines Auschwitz-Überlebenden, mit Comic-Tieren darstellte. Seinen Kritikern entgegnete er, dass nicht seine Gestaltung, sondern der Holocaust geschmacklos gewesen sei.

Freilich sind die Zeichnungen Kaufmanns nur ein kleiner Teil der in Konzentrationslagern entstandenen Kunst – es hat dazu bereits einige Ausstellungen im In- und Ausland gegeben –, und ihre Bedeutung muss von Historikern und Kunsthistorikern ermessen werden. Auch sind sie nur ein kleiner Teil der Neuhardenberger Ausstellung. Sowohl im Stil als auch im Motiv sehr unterschiedliche Werke aus der Sammlung Schneiders werden hier gezeigt.

Neben unbekannteren Künstlern wie Kaufmann sind hier auch solche vertreten, die mittlerweile zum Kanon gehören – etwa das Ehepaar Lea und Hans Grundig. Beide Künstler wurden im Nationalsozialismus verfolgt und machten später in der DDR beachtliche künstlerische und kulturpolitische Karrieren. Nicht ganz so bekannt ist Georg Netzband, von dem das Gemälde »Der Abgrund« (1935) zu sehen ist. Es zeigt eine apokalyptische Szene: Die Menschheit fällt in scheinbar bodenlose düstere Tiefe. Unpolitisch? Mitnichten – das Bild wurde kurz nach seiner Fertigstellung nur wenige Tage in der Deutschen Akademie der Künste präsentiert, dann musste es auf Anordnung der Nazis abgehängt werden. Zu deutlich offenbar der Bezug auf ihre Herrschaft und deren voraussehbare Folgen.

Einen nicht unwesentlichen Teil der eher kleinen Ausstellung bilden zudem Werke, die die Zerstörung deutscher Städte durch alliierte Bomber auf dem Papier bzw. der Leinwand zeigen. Ein ambivalentes Motiv, wird es sich doch heute oft auch in geschichtsrevisionistischen Kontexten zunutze gemacht. Handelte es sich hierbei also tatsächlich auch um »Widerstand«, ein Schlagwort, unter dem die Ausstellung alle Darstellungen der zerbombten Städte subsumiert? Tatsächlich konnten derartige Abbildungen in Hitlerdeutschland potenziell als »wehrkraftzersetzend« gewertet – und damit sogar mit der Todesstrafe geahndet werden.

Zumindest im Fall von Eduard Hopf kann indes von Widerstand wohl kaum die Rede sein. Zwar wurden 1937 einige seiner Werke von den Nazis als »entartet« gebrandmarkt und beschlagnahmt, doch nahm er 1942 an der Großen Deutschen Kunstausstellung in München teil, die die Ideologie der Nazis propagieren sollte. Die Kreidezeichnungen des zerstörten Lübeck, die derzeit im Schloss Neuhardenberg zu sehen sind, wurden von Hopf im März 1942 im Auftrag der NSDAP angefertigt. Davon ist im Handbuch nichts zu lesen.

Hoffentlich der einzige Schnitzer in dieser Schau, die künstlerisch wirklich sehenswerte Werke zusammengestellt hat.

»Nacht in Deutschland. Verfolgung – Zerstörung – Widerstand«, bis zum 11. August, Schloss Neuhardenberg in Neuhardenberg (Brandenburg).

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