US-Wirtschaft im Vorwahlmodus

Das amerikanische Wirtschaftswachstum hat sich im Frühjahr verdoppelt

Die US-Wirtschaft erweist sich trotz aller politischen Krisen als überaus robust.
Die US-Wirtschaft erweist sich trotz aller politischen Krisen als überaus robust.

»It’s the economy, stupid!« Mit dem Wahlkampf-Slogan »Es ist die Wirtschaft, Dummkopf« gewann Bill Clinton 1992 die US-Präsidentschaftswahlen. Und das, obwohl der damalige Amtsinhaber George Bush lange hohe Zustimmungswerte von 90 Prozent erhalten hatte. Sollte das auch heute so funktionieren, stehen die Aussichten der wahrscheinlichen Kandidatin der Demokraten, Kamala Harris, für die Präsidentschaftswahl im November gut.

Die amerikanische Wirtschaft hat ihr Wachstumstempo im Frühjahr glatt verdoppelt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Vereinigten Staaten legte zwischen April und Juni aufs Jahr hochgerechnet um 2,8 Prozent zu, wie das Handelsministerium in Washington vergangenen Donnerstag auf Basis vorläufiger Daten mitteilte. Zu Jahresbeginn war ein Plus beim BIP von 1,4 Prozent herausgesprungen, in der Eurozone lag es bei 0,3 Prozent. Experten hatten für das Frühjahr eine deutlich geringere Steigerung auf dem Radar.

Getrieben wird das Wachstum von hohen Staatsausgaben, steigendem Konsum der Verbraucher und starken Investitionen von inländischen und ausländischen Unternehmen. Eine Rolle spielen auch die günstigen Energiepreise in den USA. Der scheidende Präsident Joe Biden kann also zum Abschied auf einen Konjunkturboom verweisen. Europäische Ökonomen sprechen von einem »Wachstumskracher«.

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Robust trotz politischer Krisen

Die US-Wirtschaft erweist sich damit trotz aller politischen Krisen als überaus robust. In den USA ist zudem die Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe zurückgegangen. Von Ökonomen und Finanzanalysten werden die zeitnah wöchentlich erhobenen Arbeitslosenzahlen als wichtiger Frühindikator für den zukünftigen Arbeitsmarkt und die Wirtschaft insgesamt angesehen. Laut Zentralbankchef Jerome Powell deuten aktuelle Indikatoren darauf hin, dass die Wirtschaft auch weiterhin in einem soliden Tempo wächst – trotz hoher Leitzinsen. Powells Federal Reserve (Fed), das Zentralbank-System der US-Notenbank, versucht mit ihrer im Vergleich zur Europäischen Zentralbank strafferen Geldpolitik, den Preisauftrieb zu dämpfen.

Die Fed dürfte dennoch in nicht allzu ferner Zukunft beginnen, ihre Zinssätze zu senken, weil die Inflation spürbar nachlässt. Kürzlich hatte Powell bei einem öffentlichen Auftritt die Bedeutung der Inflationsgefahren für die US-Geldpolitik bereits relativiert. Die aktuelle Entwicklung der Preise deutet ebenfalls in diese Richtung. So sank die Inflation im Berichtsmonat Juni. Damit liegt die Jahresrate dieser Zeitreihe inzwischen nur noch bei einem Wert von 3,0 Prozent, in der Eurozone zugleich bei 2,5 Prozent. Auch die Inflationserwartungen der privaten Haushalte bewegen sich mittlerweile eindeutig in die richtige Richtung, nämlich nach unten. Diese anhaltenden »Disinflationstendenzen« lassen baldige Zinssenkungen durch die US-Notenbank immer wahrscheinlicher werden. Zwar wird dies wohl noch nicht auf der Notenbanksitzung diese Woche passieren, aber wohl im September. Damit könnte die Fed rechtzeitig vor der Wahl am 5. November der Wirtschaft zusätzlichen Rückenwird verschaffen.

Insgesamt wird Präsidentschaftskandidatin Harris darauf hoffen können, dass die US-Wirtschaft dann immer noch gut abschneidet. Eine »bemerkenswerte Entwicklung«, lobte kürzlich der Internationale Währungsfonds. Der IWF verwies auf einen starken Arbeitsmarkt mit Millionen Neueinstellungen, niedriger Arbeitslosigkeit und Reallöhnen, welche das Niveau von vor Corona überschritten haben. Eine Entwicklung, die durch eine aktive Industriepolitik der Biden-Regierung und Abermilliarden schwere Staatsprogramem wie dem weltbekannten »Inflation Reduction Act« befördert wurde. Die »Bidenomics« des Präsidenten stoßen zumindest unter linken Ökonomen auf große Zustimmung. Und in der deutschen Politik richtet sich im rot-rot-grünen Lager manch neidvoller Blick gen Washington.

Nicht alles Gold, was glänzt

Doch auch in den USA ist nicht alles Gold, was glänzt. Viele Amerikaner leiden noch unter den Folgen der lange Zeit hohen Inflation und beklagen die gestiegenen Zinssätze und Hauspreise. Angesichts der hohen Wohneigentumsquote von rund 65 Prozent trifft die Krise auf dem Immobilienmarkt viele Familien hart. In Deutschland liegt die Quote bei 45 Prozent. Während Sonnenscheinstaaten wie Florida und Kalifornien, wo Google, Apple, der Facebook-Konzern Meta sowie Chipkonzerne wie Intel oder Nvidia ihre Konzernzentralen haben, Akademikern und Investoren rote Teppiche ausrollen, wird in den meisten Bundesstaaten der Verlust traditioneller Arbeitsplätze beklagt.

Amerikas Beschäftigte sind – dank der Internetmonopolisten – im Durchschnitt produktiver und sie arbeiten mehr als die Arbeiter in anderen Wirtschaftsregionen der Welt. Doch sie wechseln weit häufiger als europäische Beschäftigte ihren Arbeitsplatz. Freiwillig und unfreiwillig. Das verbessere die Fähigkeit der Volkswirtschaft, sich in Umbruchzeiten anzupassen und neue Geschäftsmodelle zu erproben, so die Fed in einer Studie.

Wäre da nicht auch noch die extrem hohe Staatsverschuldung von umgerechnet mehr als 30 Billionen Euro. Aus Sicht des IWF stellen die anschwellenden Staatsschulden sogar ein Risiko für die Weltwirtschaft dar. Die größten Gläubiger sitzen in Japan, China und Großbritannien. Allein die Zinszahlungen werden den Spielraum der neuen Regierung in Washington einengen. Damit steht dann ab 2025 das staatsgetriebene US-Wachstumsmodell auf dem Prüfstand. Ob Harris oder Donald Trump – Clintons Wahlkampfslogan dürfte in jedem Fall gelten.

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