Katalonien: Regierungsbildung von oben

In Katalonien einigen sich Linksrepublikaner und Sozialdemokraten vorbehaltlich des Votums der Basis

  • Ralf Streck, Tarragona
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Sozialdemokrat Salvador Illa ist in Katalonien durch die Vorvereinbarung mit der ERC einen Schritt näher am Job des Regierungschefs.
Der Sozialdemokrat Salvador Illa ist in Katalonien durch die Vorvereinbarung mit der ERC einen Schritt näher am Job des Regierungschefs.

Der Widerspruch zwischen verbaler und nonverbaler Kommunikation hätte kaum größer sein können, als die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) am Montagabend in Barcelona eine Vorvereinbarung zur Regierungsbildung bekannt gab. So soll der Spitzenkandidat der katalanischen Sektion der spanischen Sozialdemokraten, Salvador Illa, nun katalanischer Regierungschef werden. Mit ernster Miene und besorgtem Gesicht erklärte die ERC-Sprecherin Raquel Sans, es gebe eine Grundsatzeinigung, nach der Illa, ehemaliger spanischer Gesundheitsminister, katalanischer Präsident werden soll.

»Historisches Abkommen« oder »Blankoscheck«?

Während Sans von einem »historischen Abkommen« spricht, blickt sie ängstlich umstehende Mitglieder der Parteiführung an. Auch deren Gesichter strahlen weder Freude noch Überzeugung aus. Auffällig ist, dass nicht die gerade aus dem Schweizer Exil zurückgekehrte Generalsekretärin Marta Rovira das Abkommen bekannt gibt. Sie hat die Verhandlungen geführt. Der kürzlich zurückgetretene Parteichef Oriol Junqueras, der sich im Herbst erneut wählen lassen will, war nicht einmal anwesend. Er hat sich bisher auch nicht dazu geäußert, dass Katalonien für eine Wahl von Illa eine »Steuerhoheit« erhalten soll. Bisher werden sämtliche Steuern aus Madrid eingezogen, bevor sie teilweise nach Katalonien zurückfließen.

Die ERC wirbt mit der »Steuerhoheit« bei ihrer Basis für Zustimmung. Man erhalte den »Schlüssel zur Kasse«, behauptete die ERC. Das vorliegende Dokument macht deutlich, dass es keine weitgehende Steuerhoheit wie im Baskenland geben soll, wie zunächst angekündigt. Das wird mit blumigen Worten verhüllt und »solidarische Beteiligung« genannt.

Dem Dokument soll am Freitag die ERC-Basis den Segen geben. Doch auch nach einem Ja bei der verbindlichen Mitgliederbefragung kann Illa noch stolpern, wenn nur ein ERC-Parlamentarier ihm die Stimme bei der Investitur (Amtseinführung) verweigert. Dazu ruft der einflussreiche Liedermacher Lluís Llach auf, der seit Juni Präsident der großen zivilen Katalanischen Nationalversammlung (ANC) ist. Mit einem Ja »landet die 100-jährige Partei im Mülleimer der Unabhängigkeitsbewegung«, sagt Llach.

Nach drei Wahlschlappen sprechen viele ERC-Mitglieder unter dem Hashtag #Noambelmeuvot (Nicht mit meiner Stimme) auf der Plattform X von einem »Selbstmord«. Die Abgeordnete im spanischen Parlament Pilar Vallugera meint, sie sei nun »noch überzeugter davon, dass ich diesen Pakt nicht unterschreiben kann«.

Puigdemont setzt auf ein Scheitern von Illa

Erinnert wird auch daran, dass die Sánchez-Regierung in vier Jahren keines der mit der ERC geschlossenen Abkommen erfüllt hat. Man spricht erneut von »geduldigem Papier« ähnlich wie bei den Haushaltsvereinbarungen. Stets werden umfassende Investitionen in Katalonien geplant, im Durchschnitt wurde seit 2015 nur gut die Hälfte umgesetzt, in der Region Madrid dagegen 133 Prozent. Obwohl Sánchez von der ERC abhängig war, fiel der Wert 2023 sogar auf 45 Prozent. Warum Sánchez dieses Abkommen seiner katalanischen Sektion nun umsetzen sollte, erschließt sich vielen nicht.

Im Madrider Parlament ist inzwischen nicht mehr die ERC das Zünglein an der Waage. Das ist nun die Unabhängigkeitspartei »Gemeinsam für Katalonien« (JxCat) von Exilpräsident Carles Puigdemont, der für die Wahl von Sánchez zum Ministerpräsidenten im November 2023 eine Amnestie durchsetzen konnte. Die hatte die ERC jahrelang erfolglos gefordert. Um die Puigdemont-Partei mit ins Boot zu holen, beschwört die ERC einen »Sprung für die Selbstverwaltung« und fordert JxCat auf, »sich dem Pakt anzuschließen«.

JxCat wird dies kaum tun, darauf verweisen auch Beobachter wie Vicent Partal, denn es würden nur viel »heiße Luft« und »große Worte« verkauft. So sollen erst 2025 real Verhandlungen mit Madrid über die angebliche »Steuerhoheit« beginnen. Der Chefredakteur der Onlinezeitung »Vilaweb« schreibt im Editorial: »Offen gesagt, sieht das mehr wie ein Blankoscheck aus.« Bekannt ist auch, dass das Verfassungsgericht ein weniger weit gehendes Modell 2010 wieder aus dem beschlossenen Autonomiestatut gekippt hatte, wie auch Sprachenrechte. Das war die Geburtsstunde der großen Unabhängigkeitsbewegung.

Puigdemont hat sich noch nicht geäußert. Er hat am Wochenende sein Versprechen bekräftigt, zur Amtseinführung aus dem Exil zurückzukehren, obwohl findige spanische Richter die Amnestie aushebeln wollen. Ein Haftbefehl besteht weiter. Puigdemont fürchte eine Inhaftierung nicht. »Nur ein Putsch« könne ihn an der Rückkehr hindern.

Spätestens seine Verhaftung würde die ERC vor eine Zerreißprobe stellen. Puigdemont setzt auf ein Scheitern von Illa und ein deutlich besseres Ergebnis bei Neuwahlen, um dann erneut Regierungschef zu werden.

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