Ladendiebstähle: Weitverbreitet, aber kaum aufgeklärt

Lorenz Bode hält die Entkriminalisierung von Ladendienstählen für unumgänglich

  • Lorenz Bode
  • Lesedauer: 3 Min.
Warnaufkleber in einem Erfurter Sportgeschäft
Warnaufkleber in einem Erfurter Sportgeschäft

Die Forderung, Ladendiebstahl zu entkriminalisieren, ist in der Strafrechtswissenschaft weder neu noch besonders umstritten. In der Diskussion geht es weniger um das Ob als um das Wie, also die Frage nach der Ausgestaltung einer Entkriminalisierung. Ganz anders sieht es in Politik und Wirtschaft aus. Dort findet diese Forderung nach wie vor wenig Anklang. Vor allem die Handelsverbände laufen Sturm gegen jegliche Entkriminalisierungstendenzen. Sie befürchten Handelseinbußen – gerade jetzt, da laut polizeilicher Kriminalstatistik die Fallzahlen wieder steigen. Passend dazu liest man auf der Homepage des bayerischen Handelsverbands das: »Unehrliche Kunden entwenden jedes Jahr allein in Bayern Waren im Wert von rund 360 Millionen Euro.«

Fraglos ist Ladendiebstahl weitverbreitet, und nur die wenigsten Taten werden aufgeklärt. Das hat aber – auch das gehört zur Wahrheit – nicht zuletzt mit dem zunehmenden Abbau von Sicherheitsvorkehrungen durch die Ladenbetreiber zu tun. So bieten sich häufiger Gelegenheiten zur Tat. Zudem lässt die Inflation der vergangenen Jahre die Menschen öfter »zugreifen«. Beim Ladendiebstahl handelt es sich jedoch nicht um einen eigenen Straftatbestand im Strafgesetzbuch, sondern um ein Kriminalitätsphänomen mit unterschiedlichen Ursachen und Erscheinungsformen. Das erkennt auch der bayerische Handelsverband an: »Neben den Gelegenheitsdieben sind professionell agierende Täter und organisierte Banden das Hauptproblem für den Einzelhandel.«

Lorenz Bode

Lorenz Bode, Jahrgang 1989, ist Staatsanwalt und lebt in Magdeburg. Er gibt hier ausschließlich seine Privatmeinung wieder.

Wer diese Tatsache anerkennt, merkt schnell, dass nicht jeder Ladendiebstahl ein erhöhtes Unrecht in sich trägt. Im Gegenteil: Von besonders schweren Fällen und den Diebstahlsqualifikationen mal abgesehen, beispielsweise dem Bandendiebstahl, gibt es im Selbstbedienungsladen etwa auch die kleinen Diebstähle durch armutsbetroffene Menschen, die eine bloße Bagatelle sind. So berichtet der MDR, dass neben Tabak und Alkohol aktuell vor allem Babynahrung zu den beliebtesten Diebesgütern gehört.

Im Bagatellbereich auf strenge Repression durch strafrechtliche Ahndung zu setzen, erscheint mir – hohe Fallzahlen hin oder her – unverhältnismäßig und mit Blick auf das im Strafrecht geltende Ultima-Ratio-Prinzip unangebracht. Das Strafrecht als »schärfstes Schwert des Staates« sollte immer das letzte Mittel zum Rechtsgüterschutz sein und – so sagt es das Bundesverfassungsgericht – nur dann eingesetzt werden, »wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich« ist.

Ich bin daher mit Blick auf den Bagatellbereich für eine partielle Entkriminalisierung – bei gleichzeitiger Verlagerung ins Ordnungswidrigkeitenrecht. Von den in der Strafrechtswissenschaft bereits existierenden Vorschlägen sagt mir derjenige von Stefan Harrendorf am meisten zu. Er hat gefordert, Diebstähle im Selbstbedienungsladen unter bestimmten Bedingungen aus dem Anwendungsbereich von Paragraf 242 Strafgesetzbuch (einfacher Diebstahl) auszugrenzen. Insbesondere dürfe die Tat kein Regelbeispiel oder Qualifikationsmerkmal erfüllen, und die Täterin oder der Täter dürfe zudem kein Sicherungsetikett zerstört oder unbrauchbar gemacht haben. Recht so!

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