• Politik
  • Gedenktag für Sinti und Roma

Mitleid oder gar Empathie waren rar gesät

Von der Ausgrenzung zur Auslöschung: Das Schicksal der Sinti und Roma unterm Hakenkreuz

Auch im KZ Buchenwald gab es viele Opfer des Porajmos, des planmäßigen Völkermords der Nazis an den Sinti und Roma, zu beklagen; Gedenksteine mit deren Namen erinnern heute an sie.
Auch im KZ Buchenwald gab es viele Opfer des Porajmos, des planmäßigen Völkermords der Nazis an den Sinti und Roma, zu beklagen; Gedenksteine mit deren Namen erinnern heute an sie.

Unku schnitt eine schlaue Grimasse. »Aber meine Mutter kann ja nicht lesen und auch nicht schreiben! Sie ist doch nie in eine Schule gegangen!« –
»Jetzt willst du mich aber veräppeln!«, entrüstet sich Ede. Unku wiederum sinniert vor sich hin: »Du wohnst doch in einem richtigen Haus.« Mit Treppen, wo man rauf- und runterlaufen kann. – Ede witzelt: »Naja, Fahrstuhl haben wir leider nicht. Und die Rolltreppen werden auch erst bestellt.« Er findet das Leben der »Zigeuner« viel interessanter, spannender, abenteuerlicher als das seinige. Staunt über die große Familie von Unku, deren Freiheiten, Lebenslust und Aufgeschlossenheit allem und allen gegenüber. Sie verstecken bei sich einen Arbeitskollegen seines Vaters, der als Kommunist von der Polizei gesucht wird. Und eine Großmutter, die Zigarren raucht – wo gibt’s denn so was?

In ihrem 1931 im Berliner Malik-Verlag erschienenen Erstlingswerk »Ede und Unku« beschrieb Grete Weiskopf unter ihrem Pseudonym Alex Wedding die Geschichte einer anrührenden Freundschaft zwischen einem Berliner Arbeiterjungen und einem Sinti-Mädchen. Die Originalausgabe hat John Heartfield illustriert. Am 10. Mai 1933 landete auch dieses unschuldige Kinderbuch in den Flammen der Scheiterhaufen der Nazis. In der DDR wurde es mehrfach aufgelegt, gehörte zur Schullektüre und wurde von der Defa verfilmt (»Als Unku Edes Freundin war«).

Nicht alle Deutschen waren dem Antiziganismus verfallen. Wie auch nicht alle Deutschen Antisemiten waren. Mehrheitlich jedoch tolerierten sie die Ausgrenzungs- und Auslöschungspolitik der Nazis genenüber den Sinti und Roma, wenn sie nicht sogar mittaten. Wie eben auch bei der Ermordung der Juden Europas.

Es begann unmittelbar nach dem Machtantritt Hitlers. Die Repression zielte zunächst – wie schon zuvor im Kaiserreich – auf Vertreibung. Sinti und Roma waren stärker als andere von Zwangssterilisation gemäß dem »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« von 1934 betroffen. Die Nürnberger Rassegesetze im Jahr darauf verboten auch ihnen die Eheschließung mit »Ariern«. Im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936 wurden vor den Toren Berlins sowie von Frankfurt am Main und Magdeburg und in der Folge vielen weiteren deutschen Städten »Zigeunerlager« errichtet. Bald kam es zu den ersten »Einweisungen« in Konzentrationslager. »Arbeitsscheu Reich« hieß die über 1000 Sinti und Roma deutschlandweit treffende Verhaftungsaktion im Juni 1938. Ein »Runderlaß zur Bekämpfung der Zigeunerplage« vom 8. Dezember des Jahres ordnete die Erfassung aller »seßhaften und nichtseßhaften Zigeuner« sowie aller »nach Zigeunerart umherziehenden Personen« an.

Die Repressionen verschärften sich mit der Entfachung des Zweiten Weltkrieges durch Hitler & Komplizen und erfuhren mit dem Überfall auf die Sowjetunion eine mörderische Dimension. Der Ausgrenzung sollte sich die Auslöschung anschließen. SS, »Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens« und »Rassenhygienische Forschungsstelle«, welche die »erbbedingte Asozialität der Zigeuner« angestrengt nachzuweisen bemüht war, arbeiteten Hand in Hand mit Polizei und Gestapo.

Seit Mitte 1941 wurden Sinti und Roma zunehmend in Ghettos im sogenannten Generalgouvernement im besetzten Polen zusammengepfercht, wo sie unter elendigen Bedingungen Zwangsarbeit leisten mussten und ihre Peiniger zugleich auch hier strikt auf »Rassentrennung« achteten. Parallel zur »Endlösung der Judenfrage« wurden schließlich, sanktioniert durch einen Befehl vom SS-Reichsführer Heinrich Himmler am 16. Dezember 1942, die noch im Deutschen Reich» lebenden Sinti und Roma nach Auschwitz deportiert, wo extra ein «Zigeunerfamilienlager» mit 32 rasch überfüllten Baracken eingerichtet wurde. Innerhalb kürzester Zeit starben mehr als 10 000 Sinti und Roma an Hunger, Seuchen, Misshandlungen oder medizinischen Experimenten.

Der erste Versuch der SS am 16. Mai 1944, das «Zigeunerlager» in Auschwitz aufzulösen und alle Häftlinge in die Gaskammern zu schicken, scheiterte am heroischen Widerstand der Sinti und Roma. Am 2. August, Punkt 19 Uhr, setzte die SS jedoch den grausigen Beschluss zur Ermordung aller noch verbliebenen Insassen durch. Einige Sinti und Roma, die sich im Lager verstecken konnten, wurden in den Tagen danach aufgespürt und an Ort und Stelle erschossen oder erschlagen.

Die in «Ede und Unku» agierenden Figuren haben leibhaftige Vorbilder. Erna Lauenburger, welche die Autorin persönlich kannte, wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Von den im Buch erwähnten Sinti überlebte nur «Kaula» Ansin, eine Cousine Unkus. Grete Weiskopf hat in einer Nachkriegsausgabe noch ein Kapitel angefügt, in dem sie das «Verschwinden» ihrer Freunde beklagte. Schon zu DDR-Zeiten wurde in Berlin-Marzahn ein Gedenkstein in Erinnerung an das hiesige «Zigeunerlager» aufgestellt, in den Zehner Jahren des neuen Milleniums in Berlin-Friedrichsfelde und in Magdeburg jeweils ein Ede-und-Unku-Weg eingeweiht. 2018 erschien «Ede und Unku – die wahre Geschichte», unter Mitwirkung von Juliane von Wedemeyer verfasst vom Musiker Janko Lauenberger, Enkel von Erna, der von Ede bewunderten, Zigarren rauchenden Großmutter von Unku. Leider bleibt letztlich festzuhalten: Mitleid oder gar Empathie für die verfolgten Sinti und Roma oder Solidarität mit ihnen waren unter den Deutschen rar.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!