Spurensuche in Potsdam

Vor 30 Jahren verließen die letzten Sowjetsoldaten die Stadt. Mehrere Gedenkstätten und Geschichtspfade erinnern an die Zeit

  • Oliver Gerhard
  • Lesedauer: 7 Min.
Heute ist die Meierei am Neuen Garten ein beliebtes Lokal für Ausflügler. Früher verstecken sich hier »Republikflüchtlinge«.
Heute ist die Meierei am Neuen Garten ein beliebtes Lokal für Ausflügler. Früher verstecken sich hier »Republikflüchtlinge«.

Der Fall der Mauer 1989 war der Startschuss: Die Grenze musste weg – auch an dem Abschnitt zwischen Potsdam und Berlin. Gleichzeitig dauerte der Abzug der russischen Truppen aus ihren mehr als tausend Standorten noch bis Ende August 1994, auch in Potsdam, wo sich unter anderem das berüchtigte »Militärstädtchen Nummer 7« befand, einst Sitz der sowjetischen Militärspionageabwehr.

Wer sich heute auf die Suche nach Relikten der sowjetischen, später russischen Präsenz und der deutsch-deutschen Teilung macht, muss genau hinsehen oder über Insiderwissen verfügen, um noch etwas zu entdecken: hier ein Stück Grenzzaun, dort ein Mauerrest. Nicht nur der Mauerradweg, sondern auch mehrere Gedenkorte und Themenwege widmen sich dem Thema.

Verräterische Farbe im Park Babelsberg

Aufbruch am Potsdamer Hauptbahnhof! Es geht durch den neu gestalteten Nuthepark, dann taucht der Uferweg in den Park Babelsberg ein, wo man am Tiefen See einen Badestopp einlegen kann. Bis zur Wende war der Park Grenzgebiet: Mauern und Zäune säumten die Ufer, die historischen Sichtachsen nach Plänen von Fürst Pückler waren zerstört.

Heute ist die Anlage wieder intakt – rekonstruiert nach alten Plänen, Fotos und Gemälden. Doch ein Relikt aus Mauerzeiten ist geblieben: Die Grenztruppen hatten die Wände des historischen Dampfmaschinenhauses mannshoch mit weißer Farbe gestrichen, damit Flüchtende nachts besser gesehen werden konnten. Der verräterische Anstrich ist bis heute deutlich zu erkennen.

DDR-Exklave im Schweizer Stil

Nur eine schmale Brücke führt hinter dem östlichen Parkausgang über den Prinz-Friedrich-Leopold-Kanal in den Ortsteil Klein Glienicke. Autos, Radler und Fußgänger teilen sich den ehemaligen Fußgängerübergang, da die im Krieg zerstörte Enver-Pascha-Brücke daneben nie wieder aufgebaut wurde. Vor dem Überqueren kann man noch einen Blick auf die Villa Herpich in der Karl-Marx-Straße 27 werfen, in der Stalin 1945 während der Potsdamer Konferenz residierte.

Am anderen Ufer landet man plötzlich – in der Schweiz: Unter hohen Eichen ducken sich Häuser im alpenländischen Stil, mit Holzbalkonen und Schnitzereien. Prinz Carl von Preußen schuf hier in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Miniaturvoralpenland. Auf dem angrenzenden Böttcherberg gab es eine kleine Klamm und Felsformationen aus Gips. Doch während der Berg schon zu Berlin gehörte, bildete Klein Glienicke eine DDR-Exklave und war vollständig eingemauert.

Austausch auf der Glienicker Brücke

Nun ist es nicht mehr weit bis zur Glienicker Brücke, Wahrzeichen der deutsch-deutschen Teilung. Wo heute der Verkehr zwischen Berlin und Potsdam tost, wurden zu Mauerzeiten dreimal Agenten ausgetauscht. Die Grenze verlief damals in der Mitte der Havel. Mauern, Zäune, Todesstreifen dominierten das Ufer auf Potsdamer Seite.

Hinter der Brücke beginnt ein idyllischer Uferweg. Ein Geschichtspfad mit acht Informationspunkten klärt über das ehemalige Sperrgebiet auf – zum Beispiel am Quapphorn, wo man die historische Eremitage von 1796 durch einen Beobachtungsturm ersetzte. Vor zwölf Jahren wurde die Eremitage mit ihrer Hülle aus Eichenborke rekonstruiert.

Schauplatz der Teilung

Gärtner werkeln im Neuen Garten vor dem Schloss Cecilienhof, in dem die Siegermächte während der Potsdamer Konferenz die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen beschlossen. Schon zu DDR-Zeiten gab es hier eine Gedenkstätte und ein Interhotel. Heute pilgern auch viele asiatische Besucher durch die Räume – Präsident Truman soll während seiner Zeit in Potsdam den Atombombenabwurf über Japan beschlossen haben.

Ein sechs Meter hoher begrünter Zaun sollte den Blick nach West-Berlin versperren, doch die lebende Wand wollte nicht gedeihen – der Uferbereich des Neuen Gartens war zu Mauerzeiten eine Einöde. Doch es gab auch stillen Widerstand: Mitte der 80er Jahre nutzten Gärtner eine offizielle Baumfällaktion, um die zugewachsenen Sichtachsen zwischen Neuem Garten und Pfaueninsel wieder freizuschneiden. Lichtsignale aus dem Westen halfen bei der Orientierung. Ein kleiner Sieg über die Grenztruppen. Rund 300 Meter weiter liegt die Alte Meierei. Wo Ausflügler heute beim Bier über den See blicken, versteckten sich einst »Republikflüchtlinge« in einer Ruine. Acht geglückte Fluchten sind dokumentiert.

Nadelöhr für den Schiffsverkehr

Nur wenige Meter weiter sind die Spuren der Teilung nicht zu übersehen: Markant thront an der sogenannten Bertini-Enge – der schmalsten Stelle des östlichen Jungfernsees – ein denkmalgeschützter Postenturm. Bis 1989 kontrollierten Soldaten am Grenzübergang Nedlitz den Binnenschiffsverkehr. Mit Spürhunden durchsuchten sie die Kähne, die Brennstoff nach West-Berlin und Müll zu Deponien in Brandenburg transportierten. Der Kanal für das Stahlnetz, das unter Wasser quer durch den See gespannt war und auf Knopfdruck die Durchfahrt blockieren konnte, ist noch zu sehen.

Wiedergeburt der Sacrower Kirche

Wer mit dem Rad unterwegs ist, kann nun noch einen Abstecher in den Sacrower Park einlegen, rund um den Krampnitzsee und vorbei an der gleichnamigen Kaserne – auf dem Gelände entsteht ein neues Wohnviertel für bis zu 10 000 Menschen. Augen aufhalten heißt es dann wieder an der Bertini-Enge, wo nur noch ein paar Fundamentreste und Relikte eines Streckentelefons an die Grenze erinnern.

Im Sacrower Park dagegen sind alle Spuren der Vergangenheit getilgt. Dabei war der Landschaftspark durch den Grenzverlauf stark geschädigt: »Der Zoll baute hier eine Anlage zur Ausbildung von Hunden – der Rest der Parks verwilderte indessen«, erzählt der Küster der Heilandskirche von 1844, die wie ein Schiff mit hohem Mast am Rande des Jungfernsees thront.

1961 hatten die Sacrower hier noch Weihnachten gefeiert, danach wurden Sperranlagen quer über das Gelände gebaut und Betonplatten an den Campanile genagelt. Eingesperrt im Niemandsland, verfiel die Kirche, konnte jedoch 1981 mit Hilfe aus West-Berlin provisorisch saniert werden. 1989 begingen die Sacrower erstmals wieder die Christmette – bei Kerzenlicht und gewärmt von einer Bauheizung.

Im »Städtchen« der Spionageabwehr

Nun geht es zurück in die Potsdamer Innenstadt: Fachwerkhäuser und Villen mit Säulen, Loggien und Erkern prägen das Viertel westlich des Neuen Gartens. Doch inmitten der makellosen Architektur fällt ein düsterer Bau mit zugemauerten Fenstern auf: In der Gedenkstätte Leistikowstraße befand sich das Untersuchungsgefängnis der sowjetischen Militärspionageabwehr. Das gesamte Viertel war bis 1994 als »Militärstädtchen Nr. 7« streng abgeriegelt – heute dokumentiert ein weiterer Geschichtspfad die Relikte.

»Wir haben im Gefängnis alles so belassen, wie wir es vorgefunden haben: von den Sammelzellen bis zum Stehkarzer im Keller«, sagt die Historikern der Gedenkstätte. »Geständnisse wurden hier durch Folter, Aushorchen und Versprechungen erzwungen.« In Detektivarbeit rekonstruierten die Forscher Einzelschicksale aus den rund 1500 Wandinschriften. Ein Militärtribunal fällte die Todesurteile nur wenige Häuser weiter, für KZ-Aufseher ebenso wie für völlig Unschuldige.

In den Fängen der Stasi

Einer der ungewöhnlichsten Hauseingänge Potsdams befindet sich in der Lindenstraße 54: Hinter der Fassade eines barocken Palais stößt man auf Stahltore, Stacheldraht und eiserne Dornen: Nationalsozialisten, Sowjets und Stasi nutzten das versteckte Gefängnis. In dem zickzackförmig angelegten Gebäude kann man sich leicht verlaufen. Der Stasi kam das entgegen – sie arbeitete mit Isolation und Desorientierung, die Häftlinge sollten weder Himmelsrichtung noch Uhrzeit kennen. Rote Lampen in den Gefängnisfluren sollten verhindern, dass Wärter mit Häftlingen anderen Insassen begegneten.

Im Januar 1990 übernahmen Bürgerinitiativen das Gebäude, und die Potsdamer standen Schlange, um zu erfahren, was sich hinter den verschlossenen Türen mitten in ihrer Stadt abgespielt hatte. Es begann ein langer Prozess der Aufklärung und Aufarbeitung, der bis heute nicht abgeschlossen ist.

Tipps
  • Touren: Fahrräder und E-Bikes vermietet »Potsdam per Pedales« am Hauptbahnhof (ab 16 Euro/Tag), www.potsdam-per-pedales.de
  • Sehenswürdigkeiten: Die Schlösserstiftung informiert über den Park Babelsberg, den Neuen Garten, Schloss Cecilienhof und Sacrow (www.spsg.de). Mehr Details über den Mauerverlauf in Klein Glienicke beim Bürgerverein (www.kleinglienicke.org). Der Verein »Erinnerungsorte Potsdamer Grenze« initiierte den Geschichtspfad zum Grenzgebiet, dem man mit einem Audioguide folgen kann (www.grenze-potsdam.de)
  • Gedenkstätten: Die Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße bietet unter anderem einen Audiowalk sowie geführte Touren in der Geheimdienststadt (Di–So, 14–18 Uhr, www.leistikowstrasse-sbg.de). Die Gedenkstätte Lindenstraße hat online einen virtuellen Rundgang veröffentlicht (Di–So, 10–18 Uhr, www.gedenkstaette-lindenstrasse.de).
  • Auskunft: Potsdam Tourismus, www.potsdamtourismus.de; Stiftung Berliner Mauer, www.mauerspuren.de
Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.