- Berlin
- Skandal-Haus in Kreuzberg
Oranienstraße 169 in Warteschleife
Nach dem vom »Spiegel« veröffentlichten Skandal um ein Journalismus-Hausobjekt bleibt zunächst erstmal alles beim Alten
Für gewöhnlich stecken in den Briefkästen von Mieter*innen Rechnungen oder vielleicht eine Gehaltsbescheinigung. Mit Glück bekommen sie eine Postkarte von Freund*innen. So staunten die Mieter*innen in der Oranienstraße 169 sicher nicht schlecht, als sie vor einigen Wochen Post von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erhielten – mit der Bitte um sachdienliche Hinweise. Es bestehe der Verdacht, dass »Gesellschafterinnen und Gesellschafter der GbR Oranienstraße 169 Wohnungen, die ihnen zur Selbstnutzung überlassen wurden, nicht selbst bewohnt, sondern im Zeitraum von 1997 bis 2017 an andere Personen vermietet haben«.
Einige Bewohner*innen schickten Protokolle an die Senatsverwaltung, in denen sie die Missstände bestätigten, die erstmals durch einen Artikel im »Spiegel« im Januar 2023 öffentlich geworden waren. Laut dem Medium wurde das fünfstöckige Haus mit 22 Wohnungen von Journalist*innen der »Taz«, »Berliner Zeitung«, »Zeit« und »Süddeutscher Zeitung« gekauft und mit 3,4 Millionen D-Mark aus dem Selbsthilfeprogramm des Senats saniert.
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Doch in den folgenden Jahren sei vielfach gegen Förderauflagen verstoßen worden: Nur drei Mitglieder sollen tatsächlich dort gewohnt haben, der Rest habe die Wohnung vermietet. Die Miete liege in vielen Wohnungen über der in den Förderrichtlinien festgelegten Obergrenze, im Dachgeschoss sei ein geräumiges Loft für zwei Gesellschafter gebaut worden. Im Erdgeschoss wurde eine geförderte Fläche, die als Gemeinschaftsraum genutzt werden sollte, an einen Delikatessenladen vermietet.
Aufgeflogen war das Ganze, als das Haus, das die Journalist*innen-Gruppe 1991 für umgerechnet rund 600 000 Euro erworben hatte, 2023 für geschätzte 10 Millionen Euro verkauft werden sollte. Angesichts der sich eher links gebenden Journalist*innen war die Empörung über diese Spekulationsgewinne groß. Besonders stark traf es Medien wie die »Taz«, da sie sich in eigenen Beiträgen intensiv gegen Ausbeutung auf dem Wohnungsmarkt positionieren.
Doch so schnell, wie der Skandal hochgekocht war, verschwand er auch wieder. Die Genossenschaft Wirwerk werde das Haus übernehmen, hieß es. Die »Taz« titelte »Oranienstraße 169 vor Happy End«, und Baustadtrat Florian Schmidt freute sich in einer Pressemitteilung »sehr über die neuen Entwicklungen«. Seien sie doch ein Beweis, dass der Bezirk handlungsfähig sei, wenn Mieter*innen verdrängt werden.
Allerdings ist seit dieser Verkündung nicht mehr viel passiert. Eineinhalb Jahre nach dem »Happy End«-Beitrag der »Taz« befindet sich die Genossenschaft Wirwerk immer noch in der Gründungsphase. Initiator Andreas Krüger, der »den Ausverkauf der Stadt bremsen« wollte, erklärt gegenüber »nd«, dass sich die Genossenschaft noch vorbereiten müsse. Die Satzung sei erstellt und durch den Prüfverband kleiner und mittlerer Genossenschaften vorgeprüft. Es fehle aber noch eine Immobilie, nachdem die Eigentümergemeinschaft, der das Haus gehört, ihr Verkaufsangebot zurückgezogen habe. Nach den negativen Schlagzeilen suche man dort nach einer Lösung, die weniger Konflikte verspricht. »Sobald wir die Oranienstraße 169 angeboten bekommen, können wir loslegen«, so Krüger.
Das Selbsthilfeprogramm war Teil der Legalisierung der Hausbesetzungen in den 80ern. Marode Häuser wurden mit Geld vom Staat und geringer Selbstbeteiligung gekauft und saniert. Strenge Auflagen, die 10 bis 20 Jahre galten, sahen Selbstnutzung durch Eigentumsgruppen, Höchstgrenzen für Mieten und eine maximale Wohnfläche pro Bewohner*in vor.
Von 1982 bis 2001 wurden mit dem Programm »Bauliche Selbsthilfe« 383 Projekte mit rund 350 Millionen Euro gefördert. In den 90er Jahren stiegen zunehmend Eigentumsgruppen in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts in das Programm ein. Die bauliche Selbsthilfe war abgesehen von Einzelfällen ein großer Erfolg. In besonders von Spekulation betroffenen Gebieten ermöglichte sie ein gemeinschaftliches preiswertes Wohnen und den Aufbau wichtiger sozialer Zentren, die noch heute das Gesicht des Kiezes prägen. GP
Der Initiator geht davon aus, dass der Kaufpreis deutlich unter dem bisher geforderten liegt. Eine Rolle dürfte spielen, dass sich die Berichterstattung rund um den Skandal nicht verkaufsfördernd auswirkte. Ein Übriges tut die aktuelle Marktlage. Zu seiner Zielmarge sagt Krüger, dass sich an der Monatsmiete kaum etwas ändern sollte. Darüber hinaus sollen für Mieter*innen, die Mitglieder der Genossenschaft werden wollen, die wohnungsbezogenen Anteile rund 100 Euro pro Quadratmeter betragen. »Wir werden aber keinen zwingen«, betont Krüger. Für eine 50 Quadratmeter große Wohnung wären das 5000 Euro – ein Schnäppchen im Vergleich zu anderen neuen Genossenschaften, die bis zu 1000 Euro pro Anteil nehmen müssen, um wirtschaftlich arbeiten zu können.
Laut aktuellem Grundbucheintrag gehört das entsprechende Flurstück nach wie vor der Eigentümergemeinschaft. Die ehemalige Geschäftsführerin Brigitte Fehrle sagt auf nd-Anfrage zur Zukunft des Grundstücks in der Oranienstraße 169 nur: »Das bleibt erst mal alles, wie es ist.« Inzwischen ist Fehrle Miteigentümerin der Häuser Wrangelstraße 59/60 und des Neubaus in der Cuvrystraße 19, beide liegen in der Nähe der U-Bahn-Station Schlesisches Tor im Bezirk Kreuzberg.
»Es geht um die Frage, ob Berlin immer noch die Stadt ist, wo man gern beide Augen zudrückt.«
Metin Yilmaz
Mieter in der Oranienstraße 169
Nun geht der Senat den Hinweisen auf Förderbetrug gründlicher nach. Solange unklar ist, ob eine Rückzahlung droht, ist das Haus kaum zu verkaufen. Auf Anfrage des »nd« teilt die Pressestelle der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit, dass das Prüfverfahren noch nicht abgeschlossen sei, und Prognosen zum Abschluss der Prüfung »derzeit nicht abgegeben werden« können.
Die meisten Bewohner*innen hoffen, dass sie weiterhin in dem Objekt wohnen bleiben dürfen und der Verkauf in Vergessenheit gerät. Ihre Miete ist niedriger als in anderen Häusern in der Oranienstraße, daher bleiben sie lieber still. Trotz des ausdrücklichen Hinweises in der Senatspost, dass Mieter*innen keine negativen Konsequenzen zu befürchten haben, reagierten nur wenige auf das Schreiben.
Einer von ihnen ist Metin Yilmaz, ein Mieter der ersten Stunde. Yilmaz hält es für selbstverständlich, die Ermittlungen der Senatsverwaltung zu unterstützen. Eine genossenschaftliche Lösung wäre auch in seinem Sinne. »Es geht um mehr als um diese paar Wohnungen. Es geht auch um Netzwerke und Einfluss, um die Frage, ob Berlin immer noch die Stadt ist, wo man gern beide Augen zudrückt«, sagt er. Für Yilmaz zeigt der Fall auch, dass eine neue Weichenstellung in der Wohnungspolitik nötig ist: »Wo öffentliches Geld hinfließt, muss auch öffentliches Eigentum entstehen.« Es könne nicht angehen, dass ein Haus mit öffentlichen Geldern errichtet werde, nur damit es 20 Jahre später zum 20-Fachen wieder verkauft und davon profitiert werde, findet er.
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