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Eskalation in Nahost: Diplomatie unter Hochspannung
Nach der Tötung hochrangiger Funktionäre droht der Iran mit Vergeltung. Wie wahrscheinlich ist eine kriegerische Eskalation?
Am Freitagmittag herrscht auf der Karte des Flugverfolgungsdienstes »Flightradar24« Leere über dem Libanon und Israel. Die meisten europäischen und amerikanischen Airlines haben ihre Flüge eingestellt; nur noch ein paar Chartermaschinen landen in Tel Aviv, um urlaubende Israelis nach Hause zu bringen, sagt ein Sprecher des Flughafens Ben Gurion.
Sie kehren in einen schrecklichen Alltag zurück, egal von welcher Seite aus man die Dinge betrachtet: Im Gazastreifen hungern und sterben die Menschen. In Israel hat der im Oktober 2023 begonnene Krieg Arbeitslosigkeit und Armut verschärft. Der Libanon befindet sich in einer immer aussichtsloseren Wirtschaftskrise. Im Iran leben die Menschen in stetig größer werdender Unfreiheit sowie auch dort in Armut und Arbeitslosigkeit. Und mittendrin: Länder, die mit alledem eigentlich nichts zu tun haben, aber trotzdem bald in die Schusslinie geraten könnten.
Denn nun sind innerhalb von kurzer Zeit drei hochrangige Funktionäre von Hamas und Hisbollah getötet worden. Ismail Hanijeh, Chef des Hamas-Politbüros, fiel sogar mitten in Teheran einer Bombe zum Opfer: ein direkter Affront gegen die Revolutionsgarden und den allgegenwärtigen Geheimdienstapparat des Landes.
Zeichen stehen auf Eskalation
Die iranische Führung ist seitdem ganz auf Kriegskurs. Immer und immer wieder sowie aus dem Mund fast jeden Funktionärs, der irgendetwas zu sagen hat, kündigt der Iran Vergeltung an. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu schwört die Bevölkerung auf einen baldigen Kriegsausbruch ein. Das Militär wurde in höchste Alarmbereitschaft versetzt; im Kriegszustand befindet sich der jüdische Staat ohnehin schon seit Monaten.
Hamas, Hisbollah und Huthi werden in vielen Ländern des Nahen Ostens als Bedrohung gesehen.
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Hassan Nasrallah, Generalsekretär der Hisbollah im Libanon, erklärte derweil in einer Ansprache: »Wir können nicht anders, als zu antworten.« Bereits kurz nach dem Tod des hochrangigen Kommandeurs Fuad Schukr waren im Norden Israels erneut Raketen eingeschlagen, diesmal allerdings in unbewohntem Gebiet. Am vergangenen Wochenende, vor der Tötung Schukrs, hatte eine solche Rakete in der von Drusen bewohnten Stadt Madschdal Schams auf den Golanhöhen zwölf Kinder und Jugendliche getötet. Doch noch scheint die Hisbollah-Führung nicht entschieden zu haben, wie die Reaktion auf Schukrs Tod aussehen wird: »Wir suchen nach einer gut überlegten Antwort«, so Nasrallah in seiner Ansprache, ein Zeichen dafür, dass auch die Hisbollah einen umfassenden Krieg vermeiden will.
Niemand will Krieg
Wie in allen Ländern der Region ist die Unterstützung für einen Krieg gegen Israel gering. In Gesprächen mit Politikern und Diplomaten aus der Region zeigt sich auch, dass man auf der arabischen Halbinsel, in Jordanien und Ägypten zwar nach außen hin Entrüstung demonstriert, aber intern die Anschläge auf Hanijeh und Schukr zumindest mit Wohlgefallen zur Kenntnis genommen hat: Militante Organisationen wie Hamas, Hisbollah und Huthi werden in vielen Ländern des Nahen Ostens als Bedrohung für die eigene staatliche Ordnung gesehen. Dass diese Gruppen auch noch aus dem Iran unterstützt werden, wird schon seit Jahren mit großer Sorge beobachtet. »Wir sehen ja am Beispiel Jemen, wie eine solche Organisation auch die Macht übernehmen kann«, sagt ein Mitarbeiter des saudischen Außenministeriums. »Das ist etwas, das wir verhindern müssen.«
Würde Saudi-Arabien Israel erneut zur Hilfe eilen, wie beim Raketenangriff Mitte April? Damals hatte das saudische Militär Raketen und Drohnen zerstört, die vom Jemen aus abgeschossen wurden. »Ich werde mich nicht zu theoretischen Szenarien äußern«, sagt der Regierungsmitarbeiter in Riad. »Aber wir stehen unseren Partnern bei.«
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Ist Israel für Saudi-Arabien ein solcher Partner? Immerhin haben die beiden Staaten noch nicht einmal diplomatische Beziehungen aufgenommen oder auch nur einen Friedensvertrag geschlossen. In Riad und in Jerusalem schweigt man dazu.
Aber egal, wo man nachfragt: Man will keinen Krieg, und schon gar keinen, in dem die Raketen über einen hinwegfliegen würden. Und man ist allerorten der Ansicht, dass eine strategische Allianz, auch wenn sie nur informell ist, einen weiten Weg geht, den Iran von einem weiteren, größeren Krieg abzuhalten: »Als Chef der Revolutionsgarden wäre ich extrem vorsichtig. Denn Israel allein kann man vielleicht bezwingen. Aber wenn man Gefahr läuft, es mit vielen anderen Staaten, möglicherweise auch den USA und den europäischen Staaten, zu tun zu bekommen, dann ist das eine ganz andere Hausnummer«, heißt es aus dem Verteidigungsministerium in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE).
Schwierige Lage für Diplomatie
Aber wenn es zum Krieg zwischen Israel und dem Iran samt dessen Verbündeten käme, dann würde sich dieser zwangsläufig über den Köpfen der Menschen in Staaten wie Jordanien, Syrien oder jener auf der Arabischen Halbinsel abspielen. Der Flugverkehr müsste über längere Zeit eingestellt, möglicherweise auch Schiffe umgeleitet werden.
Vor allem für Jordanien wäre das eine Katastrophe: Das Königreich ist aufgrund seiner geografischen Lage traditionell in einer wirtschaftlich prekären Lage, weil es eben nur über einen sehr engen Zugang zum Roten Meer verfügt; die nächstgelegenen Häfen befinden sich in Israel. Der Friedensvertrag zwischen beiden Ländern wird in Amman als lebensnotwendig angesehen, auch wenn es wegen des großen palästinensischen Bevölkerungsanteils immer wieder auch Forderungen nach einem Abbruch der Beziehungen gibt.
US-Präsident Joe Biden sagte Netanjahu derweil offen die Unterstützung gegen den Iran zu. Gleichzeitig bemühen sich viele Regierungen und die Vereinten Nationen um eine diplomatische Lösung. Doch das gestaltet sich nun extrem schwierig: Denn man hat zwar Kontakte in den Iran. Aber dass Hamas, Hisbollah, Huthi und der Islamische Dschihad Ansagen aus Teheran folgen werden, ist unwahrscheinlich. Ja, man ist verbündet. Aber all diese Gruppen sind nationalistische Organisationen, deren Basis in ihren jeweiligen Ländern ist. Vor allem die Hisbollah zeigt ständig, dass sie ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellt und nicht die der Revolutionsgarden.
Jeder Verhandler hat es also nicht nur mit einem, sondern mit vielen Gesprächspartnern zu tun. Und Kontakte zu einigen dieser Organisationen gibt es kaum. Der Anschlag auf Hanijeh hat dafür gesorgt, dass die meisten Mitglieder des Politbüros in den Untergrund gegangen sind. Im ägyptischen Außenministerium, wo man sich seit Monaten um einen Waffenstillstand im Gazastreifen bemüht, beklagt man, dass man den Kontakt zur Hamas-Führung verloren hat. Und zu den Huthi im Jemen haben nur die Vereinten Nationen Kontakt. Kaum jemand hat sich je darum bemüht. So berichtet ein britischer Diplomat, der einst, als es noch westliche Botschaften im Jemen gab, dort stationiert war, dass die Diplomaten das Botschaftsgelände nicht verlassen durften. Der Aufbau von Kontakten oder auch nur ein Verständnis für Land und Leute sei so unmöglich gewesen. Heute räche sich das.
In den kommenden Tagen wird es also auf das Geschick von wenigen Menschen ankommen, um zu verhindern, dass auf Schlimmes Schlimmstes folgt.
Im Libanon ist die Angst groß, dass es bald zu einem größeren Krieg kommen könnte. Augenzeugen berichten, wie Menschen ihre Wohnungen in den Vororten der libanesischen Hauptstadt Beirut verlassen. »Ich habe keine Angst um mich selbst, sondern um meine Kinder«, sagte ein Bewohner. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat Deutsche im Libanon erneut zur sofortigen Ausreise aufgerufen, »solange das möglich ist«. In der angespannten Lage könne jede Entscheidung Entspannung bedeuten oder Öl ins Feuer gießen. »Ich rufe alle – insbesondere Iran – zu Zurückhaltung und Deeskalation auf«, zitierte das Außenministerium Baerbock weiter.
Grünen-Chef Omid Nouripour warnte vor der »Logik endloser gegenseitiger Vergeltung«, einer sicheren »Rutschbahn in einen regionalen Flächenbrand«. Der Iran und seine Partner seien angehalten, »die Spirale der Gewalt nicht immer weiterzudrehen«. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen zeigt sich verhalten optimistisch: »Es sieht immer noch überwiegend so aus, dass alle regionalen Akteure keinen Krieg wollen«, sagte er den Funke-Zeitungen. Es könne in der Region aber jederzeit gewollt oder ungewollt außer Kontrolle geraten.
Zur Tötung von Hamas-Anführer Ismail Hanijeh haben sich westliche Regierungen bisher nur spärlich geäußert. Deutlich kritisch kommentierte den Vorfall der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verfolge seinen Kurs der konsequenten Eliminierung der Israel in seiner Existenz bedrohenden Terroristen weiter, »ohne Rücksicht auf die in deren Hand befindlichen Geiseln und ohne Rücksicht auf die zur Mäßigung aufrufenden Amerikaner«, sagte er der »Rheinischen Post«.
Die Europäische Union wurde noch deutlicher: Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell sagte, die EU lehne Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren grundsätzlich ab und unterstütze die Rechtsstaatlichkeit. Daran ändere auch nichts, dass der Staatsanwalt am Internationalen Strafgerichtshof gegen Hanijeh einen Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen beantragt hatte und die Hamas von der EU als Terrororganisation eingestuft wird. »Im Kontext der sich entwickelnden Situation wiederholen wir den Aufruf der Europäischen Union an alle Parteien, maximale Zurückhaltung zu üben und jegliche weitere Eskalation zu vermeiden.« nd
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