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Pflicht und Realität der Arbeitszeiterfassung
In Deutschland muss die Arbeitszeit erfasst werden. Doch in der Ampel-Koalition stocken die Pläne für konkrete Regeln
Nach Jahren mit wenig Arbeitszeiterfassung, Kontrolle und Papierkram beim mobilem Arbeiten oder im Homeoffice kehrt eine Art digitale Stechuhr zurück. Arbeitszeiterfassung ist für Deutschlands Unternehmen, Büros und Verwaltungen Pflicht – diese Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) gilt seit zwei Jahren. Doch beim Gesetzgeber stockt es.
Was hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?
Vor der höchst richterlichen Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung mussten nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nicht jedoch die gesamte Arbeitszeit. Nunmehr aber besteht in Deutschland eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, wie es im Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (Az. 1ABR 22/21) vom September 2022 heißt. BAG-Präsidentin Inken Gallner begründete die Pflicht von Arbeitgebern zur systematischen Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten mit dem Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2019 und dem deutschen Arbeitsschutzgesetz. Laut EuGH sind die EU-Länder zur Einführung einer objektiven, verlässlichen und zugänglichen Arbeitszeiterfassung verpflichtet. Sie soll helfen, ausufernde Arbeitszeiten einzudämmen und Ruhezeiten einzuhalten. Mit dem Beschluss zur Zeiterfassungspflicht sei das »Ob« entschieden, das »Wie« müsse gesetzlich oder durch Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern geklärt werden. Dafür hätten Betriebsräte ein Initiativrecht.
Wie sieht die Durchsetzung der Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit in der Praxis aus?
Die SPD machte sich im Bundestag für ein neues Gesetz stark – denn Überstunden würden heute oft nicht erfasst und vergütet. Wirtschaftsverbände und FDP sehen das »Stechuhr-Urteil« allerdings im Widerspruch zu einer modernen, flexiblen Arbeitswelt. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte zwar eine zügige Lösung angekündigt – und legte vor gut einem Jahr auch einen ersten Gesetzentwurf vor. Auf dem Arbeitgebertag im letzten Herbst beteuerte der Minister noch, er wolle nicht die Stechuhr wieder einführen. Doch noch immer hat die Regierung die Pflicht nicht abgearbeitet. »Zur gesetzlichen Ausgestaltung der Aufzeichnungspflicht finden derzeit regierungsinterne Gespräche statt«, so eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums.
Kommt eine Umstellung weg vom Acht-Stunden-Tag?
Warum sich die Ampel-Koalition schwer tut, zeigen auch die Debatten nach dem jüngsten Wachstumspaket, das die Regierung mit dem Haushalt 2025 festgezurrt hat. Die Koalitionspartner sind uneins wie in vielen sozialen Fragen. Die FDP macht sich indes im Bundestag für ein Ende des Acht-Stunden-Tags in heutiger Form stark. Das Wachstumspaket sei »ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung, dem perspektivisch die vollständige Umstellung von der Tages- auf eine Wochenhöchstarbeitszeit folgen sollte«, so FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler. Heute darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer acht Stunden in der Regel nicht überschreiten, was Köhler als ein »altes Dogma« bezeichnet.
Wie viele sind von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung betroffen?
Laut Statistischem Bundesamt sind die 35 Millionen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer betroffen. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeitsschutz sagen inzwischen 80 Prozent der Beschäftigten, dass ihre Arbeitszeit betrieblich erfasst oder sie von ihnen selbst dokumentiert wird.
Was wird aus Homeoffice und Vertrauensarbeitszeit?
Flexible Modelle wie mobiles Arbeiten, Homeoffice oder Kernarbeitszeiten seien durch die Entscheidung des BAG nicht eingeschränkt, so Gallner weiter. Vertrauensarbeitszeitmodelle seien nicht in Gefahr, ganz im Gegenteil. Auch dafür würden die gesetzlichen Regelungen gelten wie beispielsweise eine elfstündige Ruhezeit pro Tag oder eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden. dpa/nd
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