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Gemeinsame Sache statt Meuterei

Die Piraten-Partei tritt zusammen mit Volt und ÖDP als Listenvereinigung Plus Brandenburg zur Wahl an

  • Ralf Fischer
  • Lesedauer: 5 Min.
Trotz unterschiedlicher politischer Ausrichtungen wollen drei kleine Parteien gemeinsam die Fünf-Prozent-Hürde knacken.
Trotz unterschiedlicher politischer Ausrichtungen wollen drei kleine Parteien gemeinsam die Fünf-Prozent-Hürde knacken.

Zu den Landtagswahlen am 22. September treten in Brandenburg 16 Parteien und politische Vereinigungen mit ihren Kandidatinnen und Kandidaten an. Darunter befindet sich auch die Listenvereinigung Plus Brandenburg bestehend aus der Piraten-Partei, der im März 2018 gegründeten Kleinpartei Volt sowie der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP). Brandenburg ist das einzige Bundesland, das in seinem Wahlgesetz die Bildung von Listenvereinigungen mehrerer Parteien erlaubt. Diese können dann gemeinsam als Bündnis zur Wahl antreten.

Der koordinierte Wahlantritt hat ganz konkret die Überwindung der Fünf-Prozent-Hürde zum Ziel – ein Unterfangen, das in weiter Ferne läge, wenn die drei Parteien einzeln zur Wahl antreten müssten. Bei den Landtagswahlen im Jahr 2019 konnten die Piraten mit 8712 Stimmen rund 0,7 Prozent der Wählerstimmen einfahren, die ÖDP landete mit 7237 Stimmen und 0,6 Prozent knapp dahinter. Volt trat damals noch nicht zur Wahl an. Inhaltlich vage postuliert das Bündnis, man wolle »der Landespolitik in Brandenburg eine neue Richtung geben« und den Wählern eine »echte Alternative« anbieten, »ohne den politischen Extremen eine Stimme geben zu müssen«.

Die Abgrenzung nach Rechtsaußen ist für die Listenvereinigung existenziell. Denn mit der ÖDP ist eine Partei mit im Boot, die sich in der Vergangenheit als rechtskonservatives Gegenstück zu den Grünen verstanden hat. Der 1993 verstorbene Gründer der Partei, Herbert Gruhl, saß von 1969 bis 1980 für die CDU im Bundestag, kehrte den Bündnis-Grünen den Rücken, da diese ihm zu weit nach links tendierten und prägte den Spruch: »Weder links, noch rechts, sondern vorn«. Gruhl war auch wegen der Verknüpfung von Ökologie und bevölkerungspolitischen Fragen umstritten. Unter anderem vertrat er die Meinung, dass »für einige überfüllte Populationen sogar die Atombombe eines Tages keine Drohung mehr« sei, »sondern Befreiung«.

»Die ÖDP hat durchaus gegen den Willen ihres damaligen Vorsitzenden Herbert Gruhl auf ihrem Bundesparteitag 1989 einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit rechten Parteien beschlossen«, sagt André Preylowski, Vorstandsmitglied von Volt Brandenburg und Kandidat für die Landtagswahl, zu »nd«. Deshalb sehe er »keinen Grund, die heutige ÖDP in die Nähe rechter Parteien zu rücken«. Es gäbe zwar »inhaltliche Unterschiede zwischen Volt und der ÖDP, es gibt aber eben auch genug Nähe für eine enge Zusammenarbeit und das nicht nur in Brandenburg, sondern zum Beispiel auch in Baden-Württemberg«. Dort traten die Parteien mehrfach zusammen zu Wahlen an.

Im Programm der ÖDP sind derweil konservative Elemente enthalten, zum Beispiel die Forderung nach einem »Erhalt der Kulturlandschaft«. Diese ist als eine Absage an den Ausbau von Windkraft zu verstehen, der wiederum ein Programmpunkt der beiden anderen Partner im Bündnis ist. Solche Widersprüche wollen die drei Parteien im Detail klären, sagt Preylowski. »Wir sind uns mit der ÖDP absolut einig, dass Umweltschutz ein äußerst wichtiges Thema ist.« Welche Mittel dann am besten sind, hänge laut dem Kaufmann »immer vom konkreten Fall ab«. Bedeutende Unterschiede zwischen den Parteien sehe er in diesem Fall nicht.

»Wir sind uns mit der ÖDP absolut einig, dass Umweltschutz ein äußerst wichtiges Thema ist.«

André Preylowski Volt Brandenburg

Dass das Bekenntnis von Volt Deutschland zur nuklearen Teilhabe – man will auf Basis der französischen Atomwaffen einen Dialog über den Aufbau eines nuklearen europäischen Schutzschirms beginnen – im märkischen Wahlkampf eine größere Rolle spielen könnte, sieht Preylowski ebenfalls nicht. Dies hätte auch »keine Rolle bei unseren Verhandlungen gespielt, die zur Gründung von Plus Brandenburg geführt haben«. Auch dass Volt sich für das Zwei-Prozent-Ziel als Mindestsatz für eine EU-kompatible Vollausstattung der Bundeswehr einsetzt, scheint untereinander kein Thema zu sein. Dabei sind die Fragen des Friedens in Europa und der Waffenlieferungen an die Ukraine derzeit äußerst wichtige Themen für die Menschen. »Landespolitik hat allgemein relativ wenig mit internationaler Sicherheitspolitik zu tun«, so Preylowski weiter. Jedoch lassen sich die hohen Umfragewerte für das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) auch anders interpretieren.

»Volt ist im Kern keine linke Bewegung«, erklärte der Wirtschafts- und Sozialforscher Andreas Herteux im Magazin »Focus«. Die Partei vertrete »einen liberalen Paternalismus«: In der Form ein moralisch aufgehübschter Liberalismus, inhaltlich mit autoritären Elementen verknüpft, dessen Vorstellungen sich zumeist nur kulturell von alten bürgerlichen Werten unterscheiden. Deren klassisches Wählermilieu sei »relativ jung, lebt urban und verfügt über eine höhere Bildung oder ist auf dem Weg, diese zu erwerben«. Eigentlich keine Klientel, die in Brandenburg in größerem Maßstab vorkommt. Derweil zielt die ÖDP auf konservative Naturfreunde ab, denen die Grünen zu links sind.

Wieso ausgerechnet die sich explizit als linksliberal verstehende Piraten-Partei dieses Bündnis komplettiert, wollte sie auf Nachfrage des »nd« nicht beantworten. Allein die in den Wahlprogrammen auftretenden Widersprüche sind immens. Neue technische Möglichkeiten sind für die politischen Freibeuter eine Chance: Die 2006 gegründete Partei sieht sich als Vorreiterin »des digitalen Wandels«, worunter auch der Ausbau des 5G-Netzes fällt. Die ÖDP hingegen fordert die »Verhinderung vom 5G-Ausbau« zum »Schutz der menschlichen Gesundheit vor Strahlung«. Und während sich die ÖDP in ihrem Landesprogramm mit keinem Wort zur Integration von geflüchteten Menschen äußert, treten die Piraten offensiv für »eine Kultur der Aufnahme, statt der willkürlichen Zuweisung von Geflüchteten« ein.

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