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  • Solidarität für Mouhamed Dramé

»Ich werde oft gefragt, ob ich Mouhamed je kennengelernt habe«

Unterstützer*innen des in Dortmund getöteten Geflüchteten wollen, dass an ihn erinnert wird – so wie er war

  • Friedrich Kraft
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Brüder von Mouhamed Dramé, Sidy und Lassana (Mitte) mit William Dountio und Lisa Grüter.
Die Brüder von Mouhamed Dramé, Sidy und Lassana (Mitte) mit William Dountio und Lisa Grüter.

Wie und wann erfuhren Sie beide von den Ereignissen des 8. August 2022?

William Dountio: Direkt am Abend selbst bekam ich einen Telefonanruf, danach noch weitere SMS. Dann habe ich rumtelefoniert. Schnell wusste ich, es geht um eine junge Person afrikanischer Herkunft, wahrscheinlich Senegalese. Und deswegen habe ich angefangen, auch die afrikanische Community durchzutelefonieren.

Lisa Grüter: Ich habe es auch am Tattag direkt erfahren, wohl über Twitter.

In den ersten Tagen war die Informationslage in Dortmund ja noch unüberschaubar. Wann und wie haben Sie ein Gefühl für die Person Mouhamed bekommen?

Dountio: An den beiden ersten Tagen drehte sich alles um die Herausgabe des Namens. Bereits am 9. August gab es eine Mahnwache, die spontan zu einer Demo wurde und vor die Nordwache zog. Sehr lautstark wurde gefordert, den Namen des Toten herauszugeben. Erfahren haben wir ihn dann tags drauf morgens in der Presse. Und trotz dieser mangelnden Informationen waren in den ersten Stunden und Tagen extrem viele Menschen solidarisch für diese Person.

Grüter: Schnell wurde dann ja auch ein Foto bekannt. Relativ bald danach kam es dann auch schon zur Kontaktaufnahme durch die Familie Dramé.

Interview

William Dountio ist langjähriger Dortmunder Aktivist, Mitbegründer des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed und fungiert für die Familie Dramé als Berater, Begleiter und Sprecher.
Lisa Grüter arbeitet in Dortmund primär als Strafverteidigerin und begleitet Geschädigte in Prozessen mit Polizeibezug.

Wie genau kam dieser Kontakt zustande?

Dountio: Auf unterschiedlichen Kanälen, die alle heiß liefen in diesen Tagen. Besonders aber aus der senegalesischen Community. Jahrelang unterrichtete ich die Kinder einer dort gut vernetzten Frau. Und zufällig kannte diese die Familie, weil sie selbst aus der Region Ndiaffate, dem Heimatdorf von Mouhamed, kommt. So bekam ich die Whatsapp-Nummer von seinem Bruder Sidy und kontaktierte ihn.

Grüter: Wir haben dann relativ bald eine Videokonferenz gemacht. William war dabei und eine gemeinsame Freundin, die gedolmetscht hat. Und dann habe ich Sidy und seinen Vater kennengelernt, wurde mandatiert. Es ergab sich ein enger, sehr persönlicher Kontakt, der bis heute anhält. Insofern wurde die Nebenklagevertretung für mich auch schnell sehr, sehr persönlich.

Wie kam es dann zur Gründung des Solidaritätskreis Justice4Mouhamed, der den Fall politisch auf die Landkarte brachte?

Dountio: Alles startete in einer Telegram-Gruppe. Die Idee kam von einem engen politischen Wegbegleiter. Direkt nach der Spontandemo, als wir noch vor der Nordwache standen. »Was nun?« fragten wir uns. Aus dieser Gruppe ist dann die Idee entstanden, eine Initiative zu gründen. Die primäre und wichtigste Idee war von Anfang an: Wie schaffen wir es, die Familie zu kontaktieren? Welche Unterstützung können wir ihnen hier aus Dortmund anbieten? Heute bin ich stolz darauf, wie sehr das von Anfang an im Fokus stand. Die zweite sehr klare Prämisse war: Lasst uns abseits jeglicher partei-politischer Einflüsse agieren, nur im Sinne Mouhameds und seiner Familie. Bis heute ist dies eine unumstößliche Grundlage vom Solidaritätskreis.

Seit Dezember läuft nun der Prozess am Landgericht. Inwiefern spielt dort die Person Mouhamed überhaupt eine Rolle?

Grüter: Gar nicht im Grunde. Aus der Logik des Systems heraus spielt seine Persönlichkeit, sein Wesen eine maximal untergeordnete Rolle. Das ist natürlich total traurig, weil die echte Person, so wie seine Angehörigen ihn beschreiben, hier überhaupt nicht berücksichtigt wird. Dass er ein friedlicher, lebensfroher, hilfsbereiter Mensch war – alles überhaupt kein Thema!

Dountio: Ich werde oft gefragt, ob ich Mouhamed je kennengelernt habe. Nein, habe ich nicht – hätte es aber sehr sehr gerne! Nun durfte ich ihn über die Zeit durch die Augen, das Herz und die Wörter der Familie kennenlernen. Und da möchte ich nochmal deutlich machen, dass ich eben über die Familie bemerkt habe und gehört habe, was für ein toller Mensch das war. Auch in manchen Zeug*innenaussagen vor Gericht schimmert ein persönliches Bild durch: Mitarbeitende der Einrichtung beschrieben ihn als sehr ruhigen Menschen, der null Interesse hatte an Streit. Dass er immer, wenn es laut wurde, den Raum verließ. Sich verzog, Ruhe suchte. Wir wollen, dass Mouhamed erinnert wird, so wie er war und nicht, wie er von der Polizei und manchen Medien in den letzten zwei Jahren beschrieben wurde.

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