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Mallorca: »Dem Tourismus Grenzen setzen«
Der Soziologe Miquel Camps über die Folgen des Massentourismus und die Proteste auf den Balearen
Die Naturschutzorganisation GOB gehörte zu den Mitinitiatoren der Großdemonstration am 22. Juli, bei der etwa 50 000 Menschen in Palma de Mallorca gegen Massentourismus protestierten. Ende Juli haben Sie auf Menorca einen Überraschungsprotest in der Bucht »Cala en Turqueta« mitorganisiert. Worum ging es bei dieser Aktion?
Aktivistinnen und Aktivisten kamen früh und füllten den Parkplatz mit Autos. Der Bus, der zur Bucht fährt, wurde von Aktivisten ausgebucht, um zur Aktion zu kommen. Wir sind letztlich wie jeder Tourist nur an den Strand gegangen. Es wurde niemand am Zugang gehindert. In diesem Fall wurde er also nicht besetzt. Dennoch waren über sechs Stunden fast nur Leute am Strand, die an der Aktion beteiligt waren. Es wurde allein mit Handtüchern und Menschen eine große Nachricht in den Sand geschrieben: »SOS Menorca«. Wir wollten so nach außen tragen, dass die Balearen unter dem steigenden Massentourismus und dessen Auswirkungen auf alle Lebensbereiche leiden.
Warum wurde der Strand nicht besetzt, wie es für Sonntag auf Mallorca am »El Arenal«, dem sogenannten Ballermann, geplant ist?
Wir wollten jede Art von möglichen Zusammenstößen mit Touristen vermeiden. Wir richten uns nicht gegen sie. Uns geht es um die Debatte, welches Limit wir dem Tourismus setzen wollen. Wohin der Massentourismus führt, sehen wir nur zu gut an Mallorca und Ibiza. Diesen Weg wollen wir nicht gehen.
Miquel Camps ist Soziologe und Koordinator bei der 1973 gegründeten Naturschutzorganisation GOB auf Menorca, die auch auf Mallorca und Ibiza tätig ist.
Wieso ausgerechnet eine Aktion an der Cala en Turqueta?
Die Bucht ist ein Symbol für den Widerstand gegen ein bestimmtes Tourismusmodell. Sie sollte einst bebaut werden, wie andere Buchten auch. Sie wurde unter der Franco-Diktatur vom Tourismusministerium zum nationalen Tourismusinteresse erklärt. Es gab dagegen massiven Widerstand. Die Urbanisierung konnte dort, wie an anderen Stellen, über einen langen Kampf verhindert werden. Auch wenn nun keine Bebauung geplant ist, knüpfen wir daran an, um in diesem Raum unsere Forderungen zu stellen. Zudem besuchen im Sommer schon etwa dreimal mehr Menschen die geschützte Bucht, als erlaubt ist. Der Protesttag war der einzige Tag, an dem bestehende Vorgaben eingehalten wurden.
Demonstrationen wie auf den Kanarischen Inseln oder in Barcelona machen den Überdruss deutlich. Welche Probleme gibt es mit dem Massentourismus?
Über digitale Plattformen werden Wohnungen oder Häuser, in denen früher Leute von hier gelebt haben, an Touristen vermietet. Es ist sehr schwer, Wohnraum zu finden. Junge Leute können wegen extremen Preisen nicht bei den Eltern ausziehen. Hinzu kommen Umweltprobleme, hoher Flächen- und Wasserverbrauch, Müll, Lärm usw. Es kollabieren öffentliche Dienstleistungen wie Verkehrsmittel oder das Gesundheitswesen.
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Wie sehen die ökonomischen Folgen aus?
Millionen Touristen sind nicht nur ein Umweltproblem, sondern auch ein ökonomisches und soziales. Die Menschen leben mit jedem Anstieg des Tourismus immer schlechter. Laut Studien lag das Pro-Kopf-Einkommen auf den Balearen in den 1980er-Jahren im Regionen-Vergleich auf dem ersten oder zweiten Rang. Heute haben wir dreimal so viele Touristen hier, befinden uns beim Pro-Kopf-Einkommen nun aber auf Platz elf oder zwölf. Wegen hoher Preise ist die Kaufkraft im Vergleich zu anderen Regionen noch niedriger. Die Lebensqualität der Bewohner sinkt in dem Verhältnis, in dem immer mehr Touristen kommen. Es werden im Tourismus meist auch nur billige Arbeitskräfte, mit wenig Ausbildung, eingesetzt. Wir sehen einen ökonomischen Fehlschlag.
Wie können wir uns den geforderten Kurswechsel vorstellen?
Wir haben hier viele Veranstaltungen gemacht, um in Gemeinden Vorschläge zu erarbeiten. Einer davon ist, die Zahl der Mietwagen zu beschränken. Wir haben im Sommer bis zu 30 Prozent mehr Autos hier, als die Infrastruktur verträgt. Formentera hat vor fünf Jahren die Zahl der Mietwagen begrenzt und gute Erfahrungen gemacht. Nach der Gesetzeslage könnte man das hier schon im nächsten Jahr einführen.
Können dann nur noch Reiche kommen, die genug bezahlen können?
Wir sind natürlich gegen einen Eliten-Tourismus, wollen aber die Zahl der Touristen beschränken. Wer früh reserviert, bekommt das Auto. Wenn alle reserviert sind, ist Schluss, unabhängig vom Preis. Das ist wie beim Theater- oder Konzertbesuch. Eintrittskarten sind beschränkt. Wenn es keine mehr gibt, ist es egal, wie viel man bezahlen kann. Ist das Limit erreicht, muss man uns eben zu einer anderen Zeit besuchen. Wir arbeiten daran, dass der Tourismussektor hier überleben kann, mit einem guten Angebot, aber so, dass die Bewohner nicht darunter zu leiden haben. Auch der Besucher hat ein viel besseres Erlebnis hier, wenn nicht alles überfüllt ist.
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