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Geflüchtete in Tegel: Drei Viertel ohne Beschulung

Von 915 Geflüchteten im Alter von sechs bis 18 Jahren in Tegel haben nur 215 einen Platz in der Willkommensschule

  • Moritz Lang
  • Lesedauer: 3 Min.
In der Klasse einer Tempelhofer Schule liest eine Lehrerin einer aus der Ukraine geflüchteten Schülerin aus einem Buch vor.
In der Klasse einer Tempelhofer Schule liest eine Lehrerin einer aus der Ukraine geflüchteten Schülerin aus einem Buch vor.

Sie sollte für Entlastung sorgen, ist dem Bedarf aber noch nicht gewachsen: An der Willkommensschule der Geflüchtetenunterkunft in Tegel werden derzeit nur 248 Kinder und Jugendliche unterrichtet – dabei gibt es 915 Kinder im schulpflichtigen Alter zwischen sechs und 18 Jahren. Das zeigt die Antwort auf eine schriftliche Anfrage von Elif Eralp und Franziska Brychcy (beide Linke).

In dem aus Containern bestehenden Gebäude werden geflüchtete Schüler*innen separat von den regulären Schulen im Rest der Stadt unterrichtet. Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat Berlin bestärkt die Einschätzung von Unicef Deutschland, wonach die Beschulung ein maßgeblicher Weg zur Teilhabe und zum Ankommen in einer Gesellschaft ist – die systematische Nichtbeschulung in Tegel habe die Kinderrechte jedoch in gravierender Weise vernachlässigt. »Dass es keine Perspektive aus Tegel und damit auch der Segregationsbeschulung gibt, ist für die betroffenen Kinder und Jugendlichen eine Katastrophe«, sagt Barnickel zu »nd«.

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Doch wie die Anfrage zeigt, mangelt es auch an der Qualität rund um den Unterricht: Bisher gab es keine Mensaversorgung und keine Ganztagsbetreuung an dem Grundschulstandort im Container und keine eigenen Sportflächen. In der Mittagszeit wurde der Unterricht unterbrochen, damit die Schüler*innen in der Unterkunft essen können.

Zumindest eine Mensaversorgung und Ganztagsbetreuung wird dort auch zum kommenden Schuljahr aufgebaut. Zudem soll der Containerbau um eine Etage aufgestockt sowie eine weitere Etage für die 7. bis 10. Klasse am Standort Saatwinkler Damm unweit der Unterkunft genutzt werden, um mehr Schulplätze zu schaffen. Diese werden mit der geplanten Erweiterung des Flüchtlingslagers um 2000 Plätze auf insgesamt 7000 noch dringender benötigt als bisher.

Die Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) hatte zunächst angegeben, die Containerschulen sollten nur eine Übergangslösung sein. Die Pläne für weitere Standorte werfen daran jedoch Zweifel auf. Zusätzlich zu dem Standort in Tegel und der in Planung befindlichen Containerschule auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof mit 144 Plätzen sollen noch an fünf weiteren Unterkünften Räumlichkeiten für Beschulung und Betreuung bereitgehalten werden.

Grund für den Ausbau sind laut der Senatsverwaltung für Bildung mangelnde Kapazitäten an Regelschulen. Brychcy, bildungspolitische Sprecherin der Linken, sieht zwar den generellen Mangel an Schulplätzen in Berlin – sie nennt ein Defizit von 25 000 Plätzen –, doch was die Einrichtung von Willkommensklassen an Regelschulen angehe, mangele es trotzdem an fehlendem politischen Willen. »Es werden nicht alle Maßnahmen ausgeschöpft«, kritisiert sie gegenüber »nd«.

Brychcy zufolge umfassen Willkommensklassen durchschnittlich 13 Kinder, 15 wären aber möglich. Auch unterscheiden sich die Bezirke stark in der Integration von geflüchteten Schüler*innen. »In Tempelhof-Schöneberg hat jede Grundschule eine Willkommensklasse, in Treptow-Köpenick nur jede dritte«, so Brychcy. Wenn aufgrund von Platzmangel eine Schulbibliothek zur Klasse umfunktioniert werden müsse, sei das bedauerlich, aber in der derzeitigen Notlage angebracht. Die Willkommensschule in Tegel hält Brychcy als Übergangslösung für notwendig, jedoch sollten vor dem Bau weiterer Standorte zunächst die Bezirke in die Pflicht genommen werden.

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