Kulturzentrum Oyoun in Berlin: Chialo hält an Förderstopp fest

»nd« bewies: Die Entscheidung, Oyoun die Mittel zu streichen, war politisch motiviert – trotzdem will der Kultursenat nicht von seinem Kurs abweichen

Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) lässt sich nicht beirren: Der Oyoun-Förderstopp ist beschlossene Sache.
Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) lässt sich nicht beirren: Der Oyoun-Förderstopp ist beschlossene Sache.

Nachdem der Berliner Kultursenat vergeblich versucht hatte, dem Kulturzentrum Oyoun aufgrund von Antisemitismusvorwürfen die Förderung zu entziehen, setzte der Kultursenator Joe Chialo (CDU) ein mehrstufiges bürokratisches Verfahren in Gang, um den Förderstopp trotzdem durchzusetzen. Darüber berichtete das »nd« im Juli. Eine parlamentarische Anfrage des Linke-Abgeordneten Ferat Koçak zeigt nun: Trotz des aufgedeckten Machtmissbrauchs gibt es seitens des Kultursenats kein Einlenken. Die Förderung wird neu ausgeschrieben und dem Oyoun entzogen.

Eigentlich hätte Oyoun bis Ende 2025 Mittel erhalten sollen. Zumindest wurde das dem Neuköllner Kulturzentrum 2021 in Aussicht gestellt. Ab Januar 2024 kam dann kein Geld mehr. Zunächst hatte der Senat den Förderstopp mit vermeintlich antisemitischen Aussagen seitens Oyoun legitimiert, später kam eine neue Begründung: Man wolle die Förderung für den Kulturstandort in der Lucy-Lameck-Straße neu ausschreiben, um »ein diskriminierungsfreies Angebot« zu schaffen.

Das »nd« deckte auf, warum der Senat seine Kommunikation änderte: Eine senatsinterne Prüfung hatte ergeben, dass sich aus den Aussagen des Oyoun im Zusammenhang keine Grundlage für einen Fördermittelentzug ergibt. Antisemitismus konnte nach den Landesrichtlinien für Antisemitismusprävention nicht festgestellt werden. Der einzige Weg, den Förderstopp trotzdem zu bewirken: Ein neues Betreiberkonzept für den Standort, das als Grundlage für eine Haushaltssperre dienen konnte. Die Haushaltssperre brauchte es wiederum, um die Inaussichtstellung auf eine Förderung bis Ende 2025 zu widerrufen. Besagtes Betreiberkonzept gab Joe Chialo persönlich in Auftrag – trotz rechtlicher Bedenken aus seinem eigenen Haus.

Inzwischen hat sich der Kultursenat scheinbar eine dritte Begrüdung für Neuausschreibung überlegt: Die Entscheidung, ein neues Betreiberkonzept für das Kulturzentrum an der Lucy-Lameck-Straße zu suchen, entspreche dem Landesinteresse an Kulturangeboten, die die Vielfalt der kulturellen und politischen Diskussionsräume nicht verengen, sondern erweitern, heißt es in der Antwort auf die parlamentarische Anfrage, die dem »nd« exklusiv vorliegt. Von einem »diskriminierungsfreien Angebot« ist also nicht mehr die Rede.

Diese neue Formulierung ist in zweierlei Hinsicht interessant. Zum einen, weil Chialo seinen Auftrag, ein neues Betreiberkonzept zu erstellen, damit begründet hatte, »ein dikriminierungsfreies Angebot« zu schaffen. Inzwischen sieht aber selbst der Senat offenbar von dieser Formulierung ab. Heute ist nämlich bekannt: Der Senat konnte kein diskriminierendes Verhalten seitens Oyoun feststellen. Sowohl für das neue Betreiberkonzept als auch für die Haushaltssperre gab es also keine Grundlage.

»Politische Unliebsamkeit könnte künftig als Grund für einen Förderentzug ausreichen.«

Ferat Koçak,  Linke-Abgeordneter

Gleichzeitig wird mit der Neuformulierung impliziert, das Kulturzentrum verenge politische Dikussionsräume. Diese Begründung ist zwar etwas breiter formuliert als die vorherige – wirft aber trotzdem Fragen auf. Denn das Oyoun ist in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Ort für queere und migrantische Menschen in Neukölln und Berlin geworden. Wöchentlich fanden dort Veranstaltungen statt, die ansonsten unterrepräsentierte Perspektiven in den Fokus rückten. Schließt das Oyoun, würde dann nicht genau das passieren, was der Senat nach eigener Aussage künftig verhindern will: eine Verengung der Vielfalt politischer Diskussionsräume?

Auf die Frage Koçaks, wie der Senat auf den Vorwurf reagiert, der Förderentzug sei eine politische Entscheidung gewesen, heißt es: »Ministerielles Handeln ist grundsätzlich politisch.« Allerdings sei die Förderung des Oyoun regulär zum 31.12.2023 ausgelaufen. Die Mittel für den Kulturstandort seien durch den Haushaltsgesetzgeber, das Abgeordnetenhaus von Berlin, gesperrt. Der Senat umgeht also den Kern der Vorwürfe: Zwar lief die Förderung so wie jedes Jahr aus. Dass sie trotz der Inaussichtstellung für zwei weitere Jahre nicht neu bewilligt wurde, wurde erst durch den politischen Willen Chialos und seinen Auftrag, ein neues Betreiberkonzept zu erstellen, möglich gemacht.

Obwohl der Machtmissbrauch inzwischen offenliegt, will der Kultursenat also an dem Förderstopp festhalten. Die Neuausschreibung der Förderung soll im Spätsommer erfolgen, bis Spätherbst plant der Senat, über die Vergabe zu entscheiden. Die Neuausschreibung soll dann dazu dienen, die im Abgeordnetenhaus beschlossene Haushaltssperre von 2023 dieses Jahr wieder rückgängig zu machen, damit die Mittel für eine neue Förderung bereitstehen.

Bis Ende 2024 soll Oyoun außerdem das Haus in der Lucy-Lameck-Straße räumen, so der Kultursenat – »unabhängig von dem laufenden Vewaltungsstreitverfahren«. Der Mietvertrag ende nicht nur automatisch mit der Beendigung der Förderung zum 31.12.2023, sondern auch aufgrund der fristgemäßen Kündigung des Landes Berlins zum 31.12.2024, so der Senat. Oyoun hatte sowohl gegen die Räumungsklage als auch gegen den Förderstopp geklagt – die Verfahren laufen derzeit noch. Hier stellt sich die Frage: Entscheiden die Gerichte im Sinne des Oyoun, will der Senat dann trotzdem auf Räumung und Fördermittelstopp bestehen?

»Der Entzug der Fördermittel für das Oyoun entbehrt jeglicher rechtlicher Grundlage und war von Anfang an eine rein politisch motivierte Entscheidung«, kritisiert Koçak gegenüber »nd«. »Ein solches Vorgehen könnte als Präzedenzfall dienen und dazu führen, dass politische Unliebsamkeit künftig als ausreichender Grund für die Einschränkung oder den Entzug öffentlicher Fördermittel betrachtet wird«, so der Linke-Politiker weiter.

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