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Nationalpark Unteres Odertal: Tote Fische töten den Tourismus
Eine Tour auf dem Oder-Neiße-Radweg von Schwedt bis Frankfurt (Oder)
Sonnenuntergang am Hohenjesarschen See rund acht Kilometer landeinwärts vom Oder-Neiße-Radweg, der Lebus passiert. Die Fische springen nach Insekten, doch unvermittelt treibt ein totes Exemplar langsam unter dem Badesteg des idyllischen Naturcampingplatzes durch. Der Kadaver ist an der Seite aufgerissen. Es sieht so aus, als habe sich der Fisch den Fängen eines Greifvogels noch entwinden können, sei dann aber seinen Verletzungen erlegen. Das wäre dann kein Indiz für irgendeine Naturkatastrophe. Aber sofort ist die Erinnerung an das massenhafte Fischsterben vor zwei Jahren wach. Bis zu 1000 Tonnen mussten damals auf deutscher und polnischer Seite der Oder eingesammelt werden. Grund war eine zu hohe Salzkonzentration in dem Fluss, die in Verbindung mit Hitze und niedrigem Wasserstand zu einem Wachstum der giftigen Goldalge führte.
Als im Juni 2024 im Winterhafen, einem Nebenarm der Oder, Dutzende tote Fische entdeckt wurden, fürchtete Steffi Bartel schon das Schlimmste: »Geht das jetzt wieder los?« Bartel betreibt den Naturerlebnishof »Uferloos« am nördlichen Ortsausgang von Kienitz und beherbergt dort auch Radtouristen in Zelten, Zirkuswagen und einer Ferienwohnung. Die können mal einen Tag den Drahtesel an einen Baum lehnen und sich ein Kanu ausleihen. Abends schnattern die Gänse, früh kräht der Hahn, die Kaninchen mümmeln behaglich – und nicht nur die kleinen Kinder unter den Gästen erfreuen sich daran. Zum Frühstück gibt es Biomilch und -müsli. Bartel ist auf eine intakte Umwelt angewiesen.
Der eine oder andere Tourist erwähne die toten Fische vom Sommer 2022, sagt sie – und hat das Gefühl, manche Besucher wollten auf diese Weise um den Preis für die Übernachtung feilschen. Sie beklagt, dass die Fischer damals eine Entschädigung vom Staat erhielten, die Herbergen und Gaststätten jedoch mit ihren finanziellen Verlusten wegen ausbleibender Besucher allein gelassen worden seien. Bartel engagiert sich in der Bürgerinitiative »Save Oder Die«. Sinngemäß lässt sich dieses englische Wortspiel so übersetzen: Die Oder schützen oder sterben.
Es ist wieder heiß diesen Sommer und die Messstellen registrieren erhöhte Salzwerte. Zu einer neuerlichen Katastrophe kommt es vielleicht nur deshalb nicht, weil es ab und zu heftig regnet. Damit wird das Flusswasser dann verdünnt und der Salzgehalt wieder etwas reduziert.
»Ich bin äußerst besorgt über die anhaltend hohe Salzbelastung der Oder, die das Wachstum gefährlicher Brackwasseralgen begünstigt.«
Anja Kreisel Linke-Kreisvorsitzende
»Ich bin äußerst besorgt über die anhaltend hohe Salzbelastung der Oder, die das Wachstum gefährlicher Brackwasseralgen begünstigt«, gesteht Anja Kreisel. Sie ist Linke-Kreisvorsitzende in Frankfurt (Oder) und kandidiert bei der Landtagswahl am 22. September. »Ohne verbindliche Grenzwerte und effektive Maßnahmen zur Eindämmung ungeklärter Abwässer droht eine Wiederholung des Fischsterbens«, warnt sie. Die Landesregierung müsse verbindlicher mit der Bundesregierung zusammenzuarbeiten, um die rechtlichen Möglichkeiten der EU-Wasserrichtlinie auszuschöpfen und klare, juristisch haltbare Vereinbarungen zu treffen – auch in Verhandlungen mit Polen. Von Ministerpräsident Dietmar Woidke und Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (beide SPD) erwartet Anja Kreisel ein eindeutiges Bekenntnis gegen den Ausbau der Oder für die Binnenschifffahrt, »um unser Ökosystem zu schützen und eine nachhaltige Zukunft für unseren europäischen Grenzfluss zu sichern«.
Noch gilt die Flussauenlandschaft der Oder als derart naturnah, wie es in Europa sonst kaum irgendwo der Fall ist. Besonders bewundern lässt sich das im Nationalpark Unteres Odertal bei Schwedt. Der Oder-Neiße-Radweg ist eine gute Möglichkeit, den Nationalpark zu besuchen. Weil der Fernradweg im tschechischen Liberec startet, nehmen ihn auch etliche Besucher aus diesem Nachbarstaat, um bis nach Ahlbeck auf der Ostseeinsel Usedom zu fahren. Schweizer sind ebenso auf dem Radweg anzutreffen, fasziniert vom weiten Blick ins flache Oderbruch, den sie aus der Bergwelt ihrer Heimat nicht kennen. Die dünn besiedelte Gegend ruft aber auch ein 20 Jahre altes Lied des Kabarettisten Reinald Grebe in Erinnerung, in dem es heißt: »Nimm dir Essen mit, wir fahren nach Brandenburg.«
Auch heute noch gibt es zuweilen viele Kilometer lang keine Einkehr- oder Einkaufsmöglichkeit. Kommt ein Lebensmittelladen, ist man gut beraten, sich dort mit Proviant einzudecken, gegebenenfalls am polnischen Ufer – etwa in Kostrzyn nad Odrą. Auf deutscher Seite in Küstrin-Kietz gibt es nur einen Bäcker, allerdings ganz nahe in Kuhbrücke auf dem Fischereihof Schneider auch die besten Fischbrötchen weit und breit. Ebenfalls sehr zu empfehlen ist das Fischrestaurant »Oderblick« in Lebus, das seinen Namen nicht von ungefähr hat. Da auf der Terasse zu sitzen – ein Traum! Es darf nur keinen neuen Alptraum geben, kein weiteres Fischsterben in der Oder.
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