Krachender AKW-Abschied

Am Freitag werden die Kühltürme des Atomkraftwerks Grafenrheinfeld gesprengt

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.
Bereits 2015 wurde das AKW Grafenrheinfeld außer Betrieb genommen, nun sollen die beiden Kühltürme gesprengt werden.
Bereits 2015 wurde das AKW Grafenrheinfeld außer Betrieb genommen, nun sollen die beiden Kühltürme gesprengt werden.

Ein Gewitter ist nicht vorhergesagt, trotzdem soll es am Freitag in Grafenrheinfeld laut krachen. Vermutlich gegen Abend werden die beiden Kühltürme des 2015 abgeschalteten Atomkraftwerks, neben den Doppeltürmen der Pfarrkirche Kreuzauffindung, so etwas wie ein sichtbares Wahrzeichen der unterfränkischen Gemeinde, gesprengt. Rund 34 000 Tonnen Stahlbeton, Metalle und anderes Material sollen innerhalb von 30 Sekunden in sich zusammenfallen. Zuerst der nördliche Turm mit dem kraftwerksinternen Namen ZP2, Augenblicke später ist ZP1 dran.

»Mit dem Sprengabbruch der beiden Kühltürme setzen wir ein sichtbares Zeichen für den Rückbau unseres Kernkraftwerks in Grafenrheinfeld«, erklärt die Betreiberin, Eon-Tochter Preussen Elektra. »Dies war ein Wunsch, der vielfach an uns herangetragen wurde.« Daher würden die beiden Türme gut zehn Jahre vor dem eigentlich geplanten Zeitpunkt beseitigt. Der frei gewordene Platz auf dem Kraftwerksgelände werde später als Lagerfläche für Materialien vom Abriss des Kraftwerks dienen.

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1974 begann der Bau des Kraftwerks. Als Entsorgungsnachweis, Voraussetzung für den Betrieb von Kernkraftwerken, diente damals das marode Atomlager Asse. »Für die BRD wurde das stillgelegte Salzbergwerk Asse bei Wolfenbüttel als Endlagerstätte für radioaktive Abfälle hergerichtet«, heißt es in der Errichtungsgenehmigung vom 21. Juni 1974. Die erste Kettenreaktion wurde Ende 1981 angestoßen, ab Juni 1982 floss Strom ins Netz.

Mit der Sprengung am Freitag ist eine Firma im thüringischen Kaulsdorf beauftragt. Verantwortliche Sprengmeisterin ist die Ingenieurin Ulrike Matthes. Sie hat schon rund 100 Sprengeinsätze geleitet – im vergangenen Jahr unter anderem die Sprengung des 170 Meter hohen Schornsteins des ehemaligen Heizkraftwerks »Max Reimann« im Süden von Leipzig.

Ganz so hoch sind die AKW-Kühltürme in Grafenrheinfeld nicht. Sie messen nach Angaben von Preussen Elektra 143 Meter, am Boden beträgt der Durchmesser je rund 105 Meter, etwa 64 Meter sind es am oberen Ende. Die beiden Türme sollen innerhalb weniger Sekunden in sich zusammenfallen. Womöglich unter den Augen Tausender Schaulustiger, die außerhalb der Absperrzone entlang des Mains und auf Wiesen und Feldern das Spektakel beobachten können. Insgesamt kostet der Abbruch der Kühltürme gut drei Millionen Euro.

Der Sprengung unmittelbar vorausgehen wird ein Knall. Dabei handelt es sich um eine sogenannte »Vergrämungssprengung«. Sie soll Vögel und andere Tiere vertreiben und somit verhindern, dass sie zu Schaden kommen. Die eigentliche Sprengung wird dann durch weitere Signale angekündigt und beendet: Nach einem langen Fanfarenstoß darf sich keine Person mehr im Absperrbereich aufhalten. Zwei kurze Fanfarenstöße weisen auf die unmittelbar bevorstehende Zündung hin; drei bedeuten, dass die Sprengung beendet ist.

Direkt nach der Sprengung kann kurzzeitig viel Staub in unmittelbarer Nähe des Kraftwerksgeländes in der Luft sein. Die Staubwolke wird sich aber wahrscheinlich nach wenigen Minuten aufgelöst haben, sagt der Kraftwerksbetreiber. Er rechnet auch nicht mit einer gesundheitsschädlichen Wirkung durch Feinstaub für Anwohner, weil Wohnhäuser schlicht zu weit weg seien. Da die Türme keine Verbindung zum nuklearen Teil der Anlage hätten, seien sie nicht kontaminiert, radioaktive Strahlung werde also nicht freigesetzt.

Das AKW südlich von Schweinfurt war bis zu seiner Stilllegung im Juni 2015 mit 33 Betriebsjahren das älteste noch aktive Atomkraftwerk in Deutschland. Eon hätte den Meiler eigentlich noch bis zum Ende jenes Jahres laufen lassen können, tat dies aber nicht. Hauptgrund: Der Konzern hätte noch einmal einen Teil der Brennelemente tauschen und dafür rund 80 Millionen Euro Steuern zahlen müssen. Das wollte man vermeiden. Während des Betriebs wurden im AKW 242 meldepflichtige Ereignisse registriert, darunter Brände oder Materialmängel.

Nach der verheerenden Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 war die Regierung auf einen Anti-Atom-Kurs umgeschwenkt. Acht vorwiegend ältere Kernkraftwerke mussten noch im Sommer 2011 endgültig vom Netz. Die letzten drei der 2011 noch 17 laufenden Atomkraftwerke wurden im vergangenen Jahr abgeschaltet. Paradoxerweise vom Atomausstieg ausgenommen sind die Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau und die Brennelementefabrik im emsländischen Lingen, die Reaktoren in halb Europa mit frischem »Brennstoff« beliefern.

Nach der Sprengung müssen die beiden Netzbetreiber Tennet und Bayernwerk zunächst die vorhandenen Stromkreise auf Schäden und Schmutz überprüfen. Zudem schauen sich Experten die Gebäude auf dem Gelände an und auch die beiden Zwischenlager für radioaktive Abfälle.

Die insgesamt 16 deutschen Zwischenlager stehen derzeit im Fokus. Denn die Suche nach einem Endlager wird sich wohl bis in die 2070er Jahre verzögern. So drohen diese Zwischenlager zu Dauerlagern zu werden. Sie wurden ausnahmslos für 40 Jahre genehmigt, die ersten Genehmigungen für die Lager in Gorleben und Ahaus laufen in den nächsten Jahren aus.

Wenn am Freitag alles klappt, wird es die bundesweit zweite Sprengung von Kühltürmen eines stillgelegten Atomkraftwerks gewesen sein. Im Mai 2020 waren im baden-württembergischen Philippsburg erstmals zwei Kühltürme eines Kernkraftwerks gesprengt worden – wegen Corona damals aber ohne Zuschauer.

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