Sachsen: Langer Weg bis zu einer Klage

Demokratievereine hoffen nach Gutachten zu Neutralitätsgebot auf »Rechtsfrieden« / Parallelen zu »Extremismusklausel«

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
In Sachsen wird derzeit um die Frage gestritten, ob sich auch geförderte Demokratievereine etwa zur Asylpolitik äußern dürfen
In Sachsen wird derzeit um die Frage gestritten, ob sich auch geförderte Demokratievereine etwa zur Asylpolitik äußern dürfen

Demokratievereine in Sachsen hoffen, dass ihnen eine politische Positionierung künftig nicht zum Nachteil gereicht, wenn sie staatliche Förderung beantragen. »Wir hoffen auf Rechtsfrieden«, sagte Eva Sturm, Geschäftsführerin der in Dresden ansässigen Cellex-Stiftung. Diese hatte ein Gutachten in Auftrag gegeben, das Forderungen nach einem strikten politischen Neutralitätsgebot auch für staatlich geförderte zivilgesellschaftliche Vereine widersprach. Sturm richtete eine »Leseempfehlung« an Behörden für die von Verfassungsrechtler Friedhelm Hufen erstellte Expertise.

Das Gutachten ist eine Erwiderung auf einen Sonderbericht des Sächsischen Rechnungshofes vom März, dem zufolge auch zivilgesellschaftliche Vereine strikte parteipolitische Neutralität zu wahren hätten, wenn sie Mittel vom Staat erhalten. Die Position der Kassenprüfer habe mittlerweile auch Niederschlag in einer Förderrichtlinie des Sozialministerium gefunden, sagt Miro Jennerjahn, Sprecher des Netzwerks Tolerantes Sachsen. In dieser Richtlinie heißt es, Zuwendungsempfänger seien »im Hinblick auf die geförderten Maßnahmen zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet«. Entsprechende »Restriktionen«, sagte Jennerjahn auf Nachfrage, fänden sich schon in Zuwendungsbescheiden.

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Auch der Netzwerksprecher drängt das Sozialministerium, derlei Vorgaben im Lichte des jetzt vorgestellten Gutachtens fallen zu lassen. Mehr als appellieren können die Vereine vorerst nicht. Der Weg zu Gerichten stehe erst offen, falls das Land von einem Träger rückwirkend Fördergeld zurückverlange mit der Begründung, dass gegen eine vermeintliche Neutralitätspflicht verstoßen worden sei. Bleibe ein zunächst möglicher Widerspruch gegen eine solche behördliche Entscheidung ohne Erfolg, könne man ein Verwaltungsgericht anrufen, sagt Jennerjahn. Allerdings laufen Projekte, die nach der aktuellen Förderrichtlinie unterstützt werden, bis Ende 2024 und werden erst 2025 abgerechnet. Erst dann wären Rückforderungen möglich: »Das wird also noch dauern.« Falls eine mangelnde Neutralität schon von vornherein zur Ablehnung eines Projektantrags führe, erfahren die Träger davon nichts: Ablehnungsgründe werden nicht mitgeteilt.

Ob ein Verein im Zweifelsfall den juristischen Weg einschlägt, ist offen. Die Träger seien oft klein und verfügten über sehr begrenzte Mittel, das Prozessrisiko sei dagegen hoch: »Wir stehen da am Ende der Nahrungskette«, sagt Jennerjahn. Er zieht Parallelen zur Extremismusklausel. Mir dieser sogenannten »Demokratieerklärung« hatten ab 2010 zunächst der Freistaat Sachsen und danach auch der Bund die Vergabe von Fördergeldern an ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung geknüpft. Zudem sollten sich Träger für die Verfassungstreue ihrer Partner verbürgen. Auch diese Klausel stieß verbreitet auf Ablehnung. Es dauerte aber, bis sich mit dem Akubiz e.V. aus Pirna ein Verein fand, der eine Klage riskierte und in zwei Instanzen Recht bekam. 2015 schaffte der Freistaat die Klausel ab.

Auch die Frage der politischen Neutralität war bereits Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen. Ausgangspunkt war eine Entscheidung des Finanzamtes Frankfurt (Main) vor nunmehr zehn Jahren, der globalisierungskritischen Organisation Attac die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Der Bundesfinanzhof hatte die Entscheidung im Jahr 2019 bestätigt und geurteilt, Tätigkeiten, die darauf abzielen, politische Entscheidungen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen, seien nicht gemeinnützig. Friedhelm Hufen hält das Urteil für widersinnig. Für eine Umweltschutzorganisation sei es »geradezu definitionsgemäßer Zweck«, auf die Umweltpolitik einwirken zu wollen. Attac hat angekündigt, den Fall zum Bundesverfassungsgericht zu tragen.

Über die Frage, ob politisches Engagement und der Einsatz für die Demokratie zur Zuerkennung der Gemeinnützigkeit und damit von steuerlichen Vorteilen berechtigen, gibt es seit langem Streit. Kürzlich hatten rund 100 Vereine und Initiative überwiegend aus Ostdeutschland die Berliner Ampel-Koalition an entsprechende Versprechungen in ihrem Koalitionsvertrag erinnert und gemahnt, ohne einen solchen Status »steht unsere Existenz auf dem Spiel«. Cellex-Chefin Eva Sturm appellierte vor dem Hintergrund des jetzt veröffentlichten Gutachtens ebenfalls an Bundesregierung und Bundestag, in den Regularien zur Gemeinnützigkeit eine »Klarstellung für die Zivilgesellschaft« einzufügen.

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