»Sie haben uns die Revolution geklaut«

Im Sudan tobt ein ignorierter Krieg. Für Sudanesen ist er auch auf der Flucht immer präsent

  • Interview: Lara Wörner
  • Lesedauer: 4 Min.
Monatelange Massenproteste hatten 2019 im Sudan zum Sturz von Langzeitmachthaber Al-Baschir durch das Militär geführt. Später begann der Krieg.
Monatelange Massenproteste hatten 2019 im Sudan zum Sturz von Langzeitmachthaber Al-Baschir durch das Militär geführt. Später begann der Krieg.

Mohamed und Maha, Sie haben heute gemeinsam mit anderen Sudanes*innen aus Hamburg und Hannover eine Kundgebung zum zweijährigen Kriegsbeginn organisiert. Wie war der Protest für Sie?

Maha: Die Demo war sehr emotional und wichtig für uns. Es ist schwer anzusehen, was der Krieg im Sudan macht. Ich hatte heute das Gefühl, dass wir unsere Verantwortung gegenüber unseren Familien, Freund*innen und dem Sudan nachgekommen sind.

Mohamed: Trotzdem hoffe ich, dass wir das nächste Mal mehr Leute werden. Aber ich fühle mich gut.

Was bedeutet der Krieg für die sudanesische Diaspora?

Maha: Niemand aus dem Sudan, egal ob hier oder dort, lebt gerade in Sicherheit. Viele von uns haben im Krieg tage- oder wochenlang nichts von unseren Familien gehört und manche habe immer noch Angst, nichts von Familienteilen, die noch im Sudan sind, zu hören. Viele versuchen Geld zu schicken, aber es gibt kaum Wege, wie es sicher ankommt. Und jede*r verliert etwas: Angehörige, Häuser, Erinnerungen.

Mohamed: Es ist kein vergessener Krieg, es ist ein ignorierter Krieg. Aber für uns als Sudanes*innen ist er jeden Tag präsent. Diese Ignoranz tut uns sehr weh. Deswegen müssen wir uns als Diaspora zusammenschließen und etwas tun.

Interview

Mohamed im Sudan aufgewachsen und 2021 aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. Maha ist deutsch-sudanesische Schauspielerin.

Es gab ja mit der Revolution im Sudan auch mal Hoffnung...

Mohamed: Der Sudan ist gerade weit weg von dem, was die Leute sich in der Revolution 2018 und 2019 gewünscht haben. Keine*r will, dass das Militär oder die RSF weiterhin eine einflussreiche Rolle im Sudan spielen. Im Gegenteil: Sie haben uns die Revolution geklaut. Aber gestorben ist die Revolution trotzdem nicht.

Maha: Viele kämpfen jetzt weiter, im Verborgenen oder, wie wir, in anderen Ländern. Aber es tut natürlich weh. Wir erinnern uns alle zurück an die blaue Farbe der Revolution, an die Hoffnung, an die Bewegungen, an die Frauen auf den Straßen. Nach zwei Jahren Krieg ist es schwierig, sich zu erinnern, dass das mal anders war.

Können Sie mehr über die Rolle der Frauen in der Revolution und im Krieg erzählen?

Maha: Sie waren auf den Straßen und haben die Proteste organisiert, Verletzte versorgt. Sie waren besonders stark für alle und jetzt sind sie am meisten vom Krieg betroffen. Trotz allem engagieren sie sich weiter, verteilen Medikamente oder helfen in den Flüchtlingslagern. Ich wünsche mir, dass feministische Bewegungen hier verstehen, dass, solange eine einzige Frau irgendwo nicht frei, nicht geschützt ist, niemand von uns sicher ist. Allein der Fall von den Hunderten von sudanesischen Frauen, die Suizid begangen haben, weil sie angesichts des Kriegs Angst vor Vergewaltigung oder Zwangsheirat hatten, sollte klarmachen, dass feministische Bewegungen hier den Sudan nicht ignorieren dürfen.

Vor knapp zwei Wochen haben Gespräche zum Krieg im Sudan in London stattgefunden. Es waren 20 Staaten sowie internationale Organisationen beteiligt, aber keine Vertretung aus dem Sudan. Wie stehen Sie dazu?

Maha: Diese Gespräche sind für uns oft frustrierend, weil viele Staaten, die verhandeln, selbst zur Eskalation beigetragen haben. Wenn keine Vertreter*innen des eigenen Landes da sind, dann fragt man sich auch, unter welchen Prämissen Dinge entschieden werden. Es grenzt schon ein bisschen an Zynismus, wenn dieselben Staaten, die den Sudan ausbeuten, über Frieden reden. Wir sind alle sehr vorsichtig, daran zu glauben, dass solche Konferenzen wirklich etwas bewirken.

Mohamed: Wenn wir die Waffenlieferungen stoppen, dann gibt es vielleicht eine Hoffnung. Es muss dann aber auch noch damit aufgehört werden, Ressourcen wie Gold oder Gummiarabicum zu klauen. Nicht zuletzt müssen wir über die Rolle reden, die andere Staaten beim Anheizen des Krieges spielen. Wenn zum Beispiel die Vereinigten Arabischen Emirate die RSF unterstützen, sollte es eine Strafe für dieses Land geben.

Wie machen Sie hier in Hamburg weiter?

Mohamed: Wir brauchen auf jeden Fall Unterstützung, wir sind eine kleine Community. Wir bekommen schon Unterstützung, aber wir wollen noch mehr Menschen erreichen. Nicht nur in Hamburg, sondern in ganz Deutschland. Wir wollen eine Gemeinschaft aufbauen, die sich unterstützt: von Integration über Sprache zu Veranstaltungen wie diesen, um die Leute in unserem Heimatland zu unterstützen. Wir wollen auch, dass die Leute versuchen, uns kennenzulernen. Der Sudan ist nicht nur der Krieg. Wir haben auch eine sehr interessante Kultur.

Maha: Und worauf ich natürlich noch gerne aufmerksam machen möchte, ist, dass wir einen GoFundMe-Link auf unserer Instagram-Seite haben. Je mehr Spenden wir kriegen, desto mehr können wir auch den Familien im Sudan selbst und innerhalb Deutschlands oder zum Beispiel Ägyptens helfen. Wir haben alle Familien weltweit, die teilweise getrennt wurden und finanzielle Unterstützung brauchen, weil sie alles verloren haben, was sie einst hatten.

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