»Es sind nicht die Bürger, die sich bekriegen«

In Hamburg und anderen Städten wird gegen den Kampf um Macht und Ressourcen in dem afrikanischen Land protestiert

  • Chiara Boy, Lara Wörner
  • Lesedauer: 4 Min.
Zu der Kundgebung im Hamburger Arrivatipark sind am Samstag fast 100 Menschen gekommen.
Zu der Kundgebung im Hamburger Arrivatipark sind am Samstag fast 100 Menschen gekommen.

»Keep Eyes on Sudan« steht auf einem Banner im Arrivatipark in Hamburg. Die dort am Samstagnachmittag versammelten Menschen tragen kleine, auf Pappe gemalte Sudan-Flaggen und Plakate. Auf einem steht »Rassismus tötet« – egal ob durch Ignoranz gegenüber dem Krieg im Sudan, wegen dem sich die Anwesenden versammelt haben, oder durch Polizeigewalt. In Gedenken an den in der Nacht zum 20. April von einem Polizisten ermordeten 21-jährigen Lorenz aus Oldenburg stehen auch in Hamburg Kerzen und Blumen.

Um an den Ausbruch des Kriegs zwischen den Sudanesischen Streitkräften (SAF) und den Rapid Support Forces (RSF) vor zwei Jahren zu erinnern, haben die Gruppen »Talk about Sudan Hamburg« und »Sudan in Germany« zu der Kundgebung im Arrivatipark aufgerufen. Knapp 100 Menschen sind gekommen. Im US-amerikanischen Dallas und in München finden ähnliche Versammlungen der sudanesischen Diaspora statt. Gemeinsames Hauptanliegen ist es, die Menschen im globalen Norden zum Hinsehen aufzufordern.

Laut der Hilfsorganisation International Rescue Committee ist die humanitäre Lage im Sudan derzeit die schlimmste weltweit. Obwohl die Region eine der landwirtschaftlich fruchtbarsten Afrikas ist, verhungern täglich Menschen, weil beide Milizen die landwirtschaftliche Infrastruktur vernichtet haben. Sie kontrollieren den Zugang zu Hilfsgütern und instrumentalisieren das Leid der Zivilbevölkerung als Kriegswaffe. Für die in Hamburg versammelten Aktivist*innen ist der Krieg im Sudan deshalb kein Bürgerkrieg. »Es sind nicht wir Bürger*innen, die sich bekriegen, wir sind ja hier und wollen Frieden«, sagt ein Mann, der sich als Tahir vorstellt, in einem Redebeitrag. Stattdessen gehe es vor allem um die Kontrolle über Rohstoffe und Macht. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate und die EU mischten hier mit, so der Vorwurf.

Der Reichtum des Sudans

Der Sudan ist der drittgrößte Goldproduzent in Afrika, die Produktion soll sich seit Beginn des Krieges verdoppelt haben. Die RSF haben die Kontrolle über die Abbaugebiete im Südwesten des Landes erlangt und schmuggeln das Gold von dort in die Emirate. Die SAF kontrolliert wiederum die Goldabbaugebiete im Norden an der ägyptischen Grenze – Gold gegen Waffen ist in beiden Fällen der Deal mit den Abnehmerstaaten.

Neben den reichen Goldvorkommen ist der Sudan auch führender Exporteur von Gummiarabicum, das unter anderem bei der Herstellung von Coca-Cola verwendet wird. Seit dem Krieg ist der Preis auf dem Weltmarkt Berichten von Händler*innen zufolge um ein Drittel gesunken. Das liegt unter anderem an undurchsichtigen Lieferketten, die eine Zertifizierung unmöglich machen. Statt geregeltem Export wird die Ware vielfach geschmuggelt. »Das Gummiarabicum wird durch den Krieg geklaut«, stellt Mohamed in seinem Redebeitrag klar.

Und die EU?

Die EU interessiert sich vor allem im Rahmen ihrer Abschottungspolitik für den Sudan. Zwischen 2015 und 2019 wurde ein sogenanntes »Migrationsabkommen« abgeschlossen, in dessen Rahmen schätzungsweise 200 Millionen Euro in das Land flossen. Die in dieser Zeit dokumentierten Menschenrechtsverletzungen durch die RSF, die die Grenze zu Lybien sicherten, wurden billigend in Kauf genommen und die Miliz trotzdem mit Waffen und Geld ausgestattet. Ähnlich verhält es sich bei dem geplanten Freihandelsabkommen mit den VAE. Während die Zivilbevölkerung im Sudan vehement auf deren Rolle als zentraler Waffenlieferant im Krieg hinweist, verhandelt die EU mit den Emiraten über eine engere Zusammenarbeit bei erneuerbare Energien, grünem Wasserstoff und kritischen Rohstoffen.

Die Ignoranz hat System: Sie ermöglicht es der EU, eine unbequeme Reflektion der eigenen Rolle bei der Entstehung von Kriegen genauso wie des eigenen Konsums zu vermeiden. Das folgt einer Logik, die seit dem Kolonialismus fortbesteht: Was im Süden passiert, ist im Norden egal – solange weiterhin Rohstoffe fließen und europäische Interessen gewahrt werden.

Wo bleibt der internationale Aufschrei angesichts der Gewalt im Sudan? Wo bleibt der politische Druck? Diese Fragen werden auf der Kundgebung in Hamburg am Samstag immer wieder gestellt, bleiben aber unbeantwortet.

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