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Gewerkschaft in Ketten

Für den Arbeitskampf im Gefängnis braucht es vor allem eines: einen langen Atem

Gegen alle Gefängnisse: Knastgewerkschaften kämpfen um banale Arbeitsrechte. Sozialversicherung? Hinter Gittern Fehlanzeige.
Gegen alle Gefängnisse: Knastgewerkschaften kämpfen um banale Arbeitsrechte. Sozialversicherung? Hinter Gittern Fehlanzeige.

Monika Mokre tanzt auf vielen Hochzeiten, auch wortwörtlich. Zum Beispiel in der österreichischen Justizanstalt Wien Mittersteig. Im Gebäude aus dem frühen 20. Jahrhundert, inmitten des ehemaligen Arbeiter*innenbezirks Margarethen, zwischen viel Grau und nahe einem Schokoladenmuseum, sind »zurechnungsfähige, geistig abnorme Rechtsbrecher« untergebracht. Das bedeutet: Menschen, die dafür verurteilt wurden, unter Einfluss einer psychischen Störung eine Straftat begangen zu haben. Mokre kennt die Anstalt gut, genauso wie Österreichs andere Gefängnisse. Sie kann viel erzählen von »der Josefstadt«, »Stein« oder »der Karlau«. Nicht, weil sie selbst inhaftiert gewesen wäre, sondern weil sie seit Jahren die »Union für die Rechte von Gefangenen« vorantreibt – und dort eben auch einmal zu einer Hochzeit eingeladen wird.

Heute sitzt Mokre in einem schattigen Wiener Gastgarten, zieht an einer Zigarette und erzählt von den neuesten Entwicklungen der Union. In ihren Berichten geht es um teure Nahrungsmittel, Rassismus und Arztkosten. Gefängnisgewerkschaftsarbeit funktioniert anders als die klassische Arbeitnehmer*innenvertretung. Denn Inhaftierte haben zwar eine Arbeitspflicht, aber kein Recht auf Arbeit. Arbeit gilt als Teil der Resozialisierung. Zugleich richtet sie sich in Anstalten nach dem privatwirtschaftlichen Interesse von Betrieben. Lassen sie in Gefängnissen produzieren, sparen sie Nebenkosten. Inhaftierte sind nicht kranken- oder rentenversichert, 75 Prozent ihres Lohns wird für ihre Aufenthaltskosten in Haft abgezogen.

Die Gründung der Union gestaltete sich aufwendig. 2015 fanden sich in der Justizanstalt Karlau drei Inhaftierte zusammen. Sie hatten von einer Gefängnisgewerkschaftsgründung in Deutschland gehört und beschlossen, dem Beispiel zu folgen. Ihre Vereinsgründung lehnten die zuständigen Behörden in den darauffolgenden Jahren jedoch mehrmals ab.

»Gefangene verlieren ihr Recht auf Freiheit, nicht alle anderen Grundrechte.«

Monika Mokre 
Union für die Rechte von Gefangenen

Ein wiederkehrendes Argument: Ohne klassisches Arbeitsverhältnis könnten Inhaftierte keine Gewerkschaft bilden. Daraufhin änderte die Gruppe ihren Namen zu »Union« und legte Beschwerde ein. »Gefangene verlieren ihr Recht auf Freiheit, nicht alle anderen Grundrechte«, erklärt Mokre die Prämisse. Sieben Jahre später, im November 2022, erfolgte die gerichtliche Bewilligung. Bei einer Akteneinsicht fand der Anwalt der Gruppe einen handschriftlichen Vermerk im Antrag, erzählt Mokre: »Diesmal können wir die Gründung wohl nicht mehr untersagen«, soll im Akt gestanden haben.

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Im Gastgarten präsentiert Mokre ihren Mitgliedsausweis. Über einem Bild eines halb geöffneten Tors zwischen Blätterranken steht in goldenen Buchstaben der Name der Gewerkschaft. 60 ordentliche und 20 außerordentliche Mitglieder zähle die Union inzwischen. Zu Beginn des Jahres 2024 waren in Österreich 9089 Menschen inhaftiert, der große Teil sitzt ein- bis fünfjährige Haftstrafen ab. Die Mitgliederwerbung der Union funktioniert über Mundpropaganda – Internet gibt es für die meisten Inhaftierten nicht. Informationen gelangen über Briefe, Flyer und Telefonate hinter die Anstaltsmauern.

Ähnlich funktioniert die Arbeit auch beim Vorbild der Union, bei der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), in Deutschland. Ihr Sprecher, Manuel Matzke, teilt mit Monika Mokre nicht nur die Namensalliteration. Auch hierzulande beschlossen Inhaftierte im Mai 2014, eine Gewerkschaft zu gründen – ursprünglich nur für die Berliner Justizvollzugsanstalt Tegel. »Aber wir haben schnell gemerkt, die Probleme in Tegel gibt es überall in Deutschland«, führt Matzke aus. Seit mittlerweile zehn Jahren sind die zentralen Anliegen der GG/BO: Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern, gesetzlicher Mindestlohn, volle Sozialversicherung. Darüber hinaus unterstützt die GG/BO, so wie in Österreich, Inhaftierte bei diversen Anliegen.

»Ritterschlag« für die deutsche Knastgewerkschaft

Heute ist sie ein nicht rechtskräftiger Verein. Das störe aber nicht, sagt Matzke, schließlich habe die Polizeigewerkschaft auch einmal so angefangen. Die Rechtsform spiele für die GG/BO eine geringe Rolle. »Uns geht es darum, den Menschen dort zu helfen, wo wir können.« Das bedeutet konkret: Öffentlichkeitsarbeit, juristische Unterstützung und parlamentarische Zusammenarbeit mit Abgeordneten mit dem Ziel, Kritik und Anregungen weiter voranzutreiben. Seit 2022 ist die GG/BO anerkannte Sachverständige des Bundesverwaltungsgerichts. »Das war der Ritterschlag«, beschreibt es Matzke. Wenn sie das oberste Gericht Deutschlands anerkenne, wie sollten andere sie dann ignorieren?

Das zweite große Erfolgserlebnis hatte die GG/BO 2023. Damals beschloss das Bundesverfassungsgericht: Der Gefängnislohn sei verfassungswidrig. In deutschen Justizvollzugsanstalten sind Gefangene nach Artikel 12 des Grundgesetzes zu »Zwangsarbeit« verpflichtet, der Mindestlohn greift hinter Gittern nicht. Derzeit liegt die Vergütung, je nach Bundesland und Arbeit, zwischen 1,20 Euro und 3 Euro die Stunde. Bis Sommer 2025 haben die Länder Zeit, um Resozialisierungskonzepte mit einer angemessenen Vergütung zu entwerfen.

Ein weiteres Thema auf der Agenda: Aktuell werden für Menschen in Haft keine Rentenbeiträge gezahlt. Das war zwar mit der Einführung des deutschen Strafvollzugsgesetzes vorgesehen, wurde aber immer weiter aufgeschoben. Da Haftjahre nicht als Arbeitsjahre zählen, sinken die Renten inhaftierter Menschen eklatant, wenn sie nicht sogar zu wenige Arbeitsjahre haben, um überhaupt Rente beanspruchen zu können. Und für die Berechnung der Erwerbsminderungsrente zählen die letzten Erwerbsjahre. Sie entfällt, wenn in diesen Jahren keine Beiträge gezahlt werden.

2018 hatte die Justizministerkonferenz der Länder sich erstmals für eine Rentenvergütung von Haftjahren ausgesprochen. Weder Länder noch Versicherungen wollen aber die Finanzierung tragen. Die Ampel-Regierung hatte sich eine bundeseinheitliche Neuregelung in den Koalitionsvertrag geschrieben. Hört man sich in Regierungskreisen um, scheint es diesbezüglich wenig Anstrengungen zu geben.

Abolitionistische Bestrebungen

Über reformistische Bestrebungen hinaus hat die GG/BO einen abolitionistischen Anspruch. »Gefängnisse gehören abgeschafft, darüber muss ich gar nicht nachdenken«, sagt Matzke. Ein Großteil der Menschen sei nicht wegen Verbrechen, sondern wegen Vergehen inhaftiert. Das sind in Deutschland nach Strafgesetzbuch »rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe« als einem Jahr »oder die mit Geldstrafe bedroht sind«. Für jene Bagatellen, so Matzke, verschlinge das Haftsystem unnötig viel Steuergeld. Ähnlich sehen die Statistiken in Österreich aus.

Wie unnütz Gefängnisse für die Resozialisierung seien, sehe man an der hohen Rückfallrate, meint auch Mokre und nimmt einen Schluck von ihrem Kaffee. In beiden Ländern werden 40 bis 70 Prozent der Insassen erneut inhaftiert. Je länger die Haftdauer, desto höher die Rückfallquote, lautet die Statistik des Sozial- und Resozialisierungsvereins Neustart.

Die Union für die Rechte von Gefangenen habe aber derzeit genug damit zu tun, überhaupt auf die Einhaltung des Strafvollzugsgesetzes zu pochen. Das nächste Ziel: die Bewilligung einer physischen Mitgliederversammlung. Wenn Versammlungen für Hochzeiten erlaubt seien, warum nicht auch für Gewerkschaften, fragt Mokre, und dämpft ihre Zigarette aus.

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