Meyer Werft wird Staatskonzern auf Zeit

Der Bund und Niedersachsen wollen 17 000 Arbeitsplätze retten. Aber nur bis zum Jahr 2027

  • Hagen Jung, Felix Sassmannshausen
  • Lesedauer: 4 Min.
Bundeskanzler Olaf Scholz und Stephan Weil (beide SPD) in der Werkshalle der Meyer Werft.
Bundeskanzler Olaf Scholz und Stephan Weil (beide SPD) in der Werkshalle der Meyer Werft.

»Diese Werft ist ein Trumpf der maritimen Wirtschaft, den wir nicht aufgeben dürfen und den wir nicht aufgeben werden«, rief Bundeskanzler Olaf Scholz den Anwesenden bei einer Betriebsversammlung am vergangenen Donnerstag zu, an der auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und der Wirtschaftsminister des Landes Olaf Lies (alle SPD) teilnahmen.

Um herauszustellen, wie viele Menschen die Rettung der Meyer Werft betreffen könnte, nannte der Kanzler einige Zahlen: Etwa 3000 Mitarbeitende habe die Werft an ihrem Stammstandort Papenburg, rund 6000 Frauen und Männer seien bei rund 200 Zulieferbetrieben Meyers in der Umgebung tätig, und deutschlandweit hingen über 17 000 Arbeitsplätze auf die eine oder andere Weise von dem Papenburger Unternehmen ab.

In eine prekäre Finanzlage war die Meyer Werft durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Touristikverhalten und die damit geschwundene Nutzung von Kreuzfahrtschiffen gekommen. Außerdem belasten die gestiegenen Preise für Energie und Rohstoffe, etwa beim Stahl, den Konzern. Und nicht zuletzt sorgten die Zahlungsmodalitäten im Kreuzfahrtschiff-Geschäft für Schwierigkeiten.

Erst wenn die luxuriösen Riesen ausgeliefert werden, muss der jeweilige Besteller den Löwenanteil der Kaufsumme entrichten: 80 Prozent. Alles zuvor am und im Schiff Verbaute muss Meyer zwischenfinanzieren. Eine solche Vorleistung verursacht trotz voller Auftragsbücher – sie enthalten unter anderem vier Kreuzfahrtschiffe für den Disney-Konzern – gewaltigen Druck. Insgesamt muss die Werft bis Ende 2027 fast 2,8 Milliarden Euro zur Finanzierung von Schiffsneubauten aufbringen.

Keineswegs, so Scholz, sei das Unternehmen durch seine Leistungen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Die Schiffe aus Papenburg erfreuten sich vielmehr aufgrund ihrer guten Qualität hoher Anerkennung. Ein jedes davon sei so etwas wie eine kleine Stadt, »mit allem, was dazu gehört«, lobte Scholz.

Durch den Einstieg von Bund und Land wird das Unternehmen zu einem Staatskonzern; jener Status soll allerdings bis 2027 befristet sein. In einem Aufsichtsrat, dessen Bildung Meyer bislang durch die Verlegung der Firmenzentrale nach Luxemburg verhindert hat, würde die Gründer- und Eigentümerfamilie weiter vertreten sein. Ihr Know-how und Engagement werde gebraucht, bemerkte der Bundeskanzler. Auszuschließen sei es nicht, dass die Familie die Staatsanteile nach Überwinden der Konzernkrise zurückkauft.

Durch den Einstieg von Bund und Land wird das Unternehmen zu einem Staatskonzern.

Noch gibt es Hürden auf dem Weg zur staatlichen Hilfe. Der Bundestag muss sich äußern, außerdem der niedersächsische Landtag, auch werde man mit der Europäischen Kommission ein Gespräch in puncto Meyer führen, sagte der Bundeskanzler. Er gehe davon aus, dass alle Beteiligten die Entscheidung zur staatlichen Unterstützung der Werft mittragen.

Entscheidende Einwände der Opposition, ganz gleich, auf welcher Ebene, brauchen weder die Belegschaft der Werft noch Scholz und seine nach Papenburg mitgereisten Genossen zu fürchten. So zählt etwa die CDU im von SPD und Grünen geführten Landtag Niedersachsen zu den Befürwortern der Werft-Rettung. Sebastian Lechner, Fraktionschef der Union im Parlament in Hannover, betonte: »Es ist gut, dass der Bund endlich dieses Signal setzt.« Wichtig sei aber, dass die Werft nur vorübergehend in staatliche Hand übergeht. »Die Werft muss für eine gute Zukunft wieder zügig in verantwortliche private Hände«, forderte er.

Zu den Befürwortern des staatlichen Engagements gehört auch die Industriegewerkschaft Metall Küste. Deren Bezirksleiter Daniel Friedrich nannte den Einstieg von Bund und Land eine notwendige Lösung, um für die Werft eine Perspektive zu haben. »Ohne Staat geht es zurzeit nicht!«, hob der Gewerkschafter hervor. Entscheidend sei, dass die Mitbestimmung durch einen Aufsichtsrat und Konzernbetriebsrat über die Standorte hinweg gestärkt werde, heißt es in einer Mitteilung der Gewerkschaft.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) forderte die Bundesregierung dazu auf, den Einstieg dafür zu nutzen, um den Bau der umweltbelastenden Kreuzfahrtschiffe zu beschränken und die Produktion auf kleinere und klimafreundlichere Schiffe umzustellen. DUH-Hauptgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner sagte der »Neuen Osnabrücker Zeitung«: »Wenn der Staat schon in den Kreuzfahrtschiffbau einsteigt, muss Bundeskanzler Olaf Scholz dafür sorgen, dass die Gesellschaft auch etwas davon hat.«

Kritisiert wird die Beteiligung der öffentlichen Hand vom Bund der Steuerzahler, berichtet die ARD. Die Lobby-Organisation sei nicht davon überzeugt, dass die Werft eine langfristige Geschäftsstrategie verfolgt, die es dem Staat ermögliche, wieder aus dem Unternehmen auszusteigen.

Am Donnerstag, dem gleichen Tag, an dem die Rettung der Meyer Werft beschlossen wurde, meldeten die deutlich kleinere Fosen Werft GmbH sowie die Fosen Werft Stralsund GmbH laut Informationen der »Wirtschaftswoche« Insolvenz an. Zuvor hatte die Hansestadt Stralsund in Mecklenburg-Vorpommern den Pachtvertrag des Unternehmens vorzeitig gekündigt. Fosen soll anstelle der angekündigten 100 Arbeitsplätze nur 45 Jobs geschaffen und keine Tariflöhne gezahlt haben.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!