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Wahlkampf in Thüringen: Angst vor dem blauen Wunder
In Thüringen wächst die Sorge vor einem Wahlsieg der AfD und den negativen Auswirkungen auf die Demokratie
Maximilian Schröter sucht Herausforderungen. Als SPD-Direktkandidat im Eichsfeld hat er es nicht leicht. Ihre Hochburgen hat die Partei in Thüringen anderswo. »Hier ist nicht Gotha«, sagt der 30-Jährige. »Ich wusste, was auf mich zukommt.« Zuletzt hat die SPD bei den Kommunalwahlen noch einmal an Stimmen verloren. Im Mai kam sie gerade mal auf 3,2 Prozent. Nur noch einen Sitz hat die Partei im Kreistag erhalten. Zusammen mit der Linken, die zwei Sitze hat, bildet sie seitdem eine Fraktion. Schon seit Jahren ist der Kreisverband überaltert und zählt nur noch wenige Dutzend Mitglieder.
Doch jetzt hat Schröter für frischen Wind gesorgt. Unterstützung bekommt er von den Jusos. Am Wahlkampfstand wirkt er wie ihr großer Bruder, auf den die Kampagne zugeschnitten ist. Mit ihm hat der Generationenwechsel bei der SPD im Eichsfeld sichtlich einen Schub erhalten.
Schröter kennt den Norden Thüringens, er ist in Nordhausen aufgewachsen, »in unmittelbarer Nähe zum KZ Mittelbau-Dora«. Das betont er. Den Aufwind der extremen Rechten kann er angesichts der deutschen Geschichte nur schwer ertragen. Mit 17 Jahren trat er den Jusos bei. Mittlerweile ist er Mitglied im Bundesvorstand der SPD-Jugendorganisation. Über den Antifaschismus kam er zur Politik.
Bei der Landtagswahl hat er ganz bewusst die Nähe zu Björn Höcke gesucht, dem Vorsitzenden der AfD in Thüringen, der abgeschieden in Bornhagen im Westen des Landkreises lebt. Gerne inszeniert die extreme Rechte das Eichsfeld als einen urdeutschen Landstrich. Dabei ist es eine katholisch geprägte Gegend. Als Schröter die Kandidatur im Eichsfeld übernahm, sei noch nicht klar gewesen, dass Höcke seinen Wahlkreis wechseln würde, erzählt er. Der AfD-Strippenzieher ließ sich in Greiz aufstellen, weil er als Direktkandidat wohl kaum Chancen gegen den CDU-Kontrahenten gehabt hätte.
Am Freitag macht Höcke Wahlkampf in Heilbad Heiligenstadt, der Kreisstadt im Eichsfeld. Seine Partei lädt auf dem Marktplatz zum Sommerfest ein, eine biedere Veranstaltung, die ganz auf die Rede des Thüringer Parteichefs zugeschnitten ist. Die angrenzende Wilhelmstraße, eine Fußgängerzone, ist dagegen zu einer Meile der Demokratie ausgerufen worden. Alle demokratischen Parteien haben sich dort versammelt, um zusammen mit Einrichtungen und Verbänden aus Heiligenstadt gegen den rechten Spuk ihre Flaggen hochzuhalten.
Die AfD wird von dem Protest in Heiligenstadt nicht bedrängt und blockiert wie in der vergangenen Woche in Jena. Doch Höcke widmet dem Demokratiefest trotzdem einen Schwerpunkt in seiner Rede. Er fabuliert gegen die Vielfalt an, von der die »Kartellparteien« sprechen würden; er stellt die These auf, dass die Zivilgesellschaft »vom Staat gefüttert« und deshalb gar keine Zivilgesellschaft sei. Er thematisiert die Angst vor Gewalt in den Zügen, spielt die Übergriffe in Freibädern hoch, redet von gefährlichen Situationen im Stadtpark von Heiligenstadt und vom Mobbing durch migrantische Jugendliche. Höcke hat seine Zuhörer, mehr als 200 Menschen sind gekommen, darunter viele junge Menschen.
Parallel dazu findet in der St. Aegidien-Kirche ein Friedensgebet statt, das die biblische Sintflut thematisiert. Das ist sinnbildlich: Längst hat sich eine Resignation im Eichsfeld breit gemacht. Auch auf der Meile der Demokratie ist die Stimmung zehn Tage vor der Landtagswahl bedrückt. Die Prognosen sind nämlich düster. Mit Abstand könnte die AfD die stärkste Partei werden. »Dann wird es womöglich noch schwerer, eine Koalition ohne die AfD zu bilden«, befürchtet Schröter. Schon jetzt sei die Arbeit der rot-rot-grünen Minderheitsregierung quälend. Eine Zusammenarbeit sei mit der CDU notwendig, aber oft finde die nicht statt. Schröter hat im Wirtschaftsausschuss die Blockadehaltung der Christdemokraten erlebt. »Die standen da mit verschränkten Armen und haben sich verweigert.« Einfacher wird die politische Konstellation nach der Wahl sicherlich nicht, befürchtet er. Davon könnten erneut die antidemokratischen Kräfte profitieren.
Ein paar junge Männer mit Deutschlandfahnen provozieren nach dem Ende von Höckes Rede die Demonstrierenden auf der Wilhelmstraße. Eine Menschentraube hat sich um sie herum gebildet, Polizisten trennen beide Lager, kurz droht die Situation hitzig zu werden, doch dann ziehen die Rechten unter dem Jubel der Antifaschisten ab. Auch Schröter applaudiert.
Froh wäre er, wenn die SPD das Ergebnis der letzten Wahl halten könnte, erzählt er. 8,2 Prozent bekam sie 2019. Schon das war ein historisch schlechtes Ergebnis. Aber das hieße immerhin, dass die Talfahrt der SPD gestoppt würde. Schröter würde bei dem Ergebnis nicht in den Landtag einziehen. Platz 13 hat er auf der Landesliste, das reicht nicht. Ein Karrieresprung wird die Wahl für ihn nicht. Dennoch kämpft er, für die Demokratie. Tag für Tag aufs Neue.
Er freut sich über die vielen guten Gespräche an den Ständen oder über den Gartenzaun, und er ärgert sich über die pauschalen Vorwürfe, die SPD sei eine Partei von »Kriegstreibern«. Auch Schröter hat sich ebenso wie Georg Maier, dem Spitzenkandidaten der SPD in Thüringen, darüber geärgert, dass das Präsidium der SPD kürzlich für die Stationierung von US-Raketen in Deutschland gestimmt hat. Er würde gerne die Themen ausklammern, für die der Freistaat nicht zuständig ist. Aber das klappt nicht. »Natürlich spielt die schlechte Stimmung der Ampel-Regierung in den Wahlkampf mit rein«, räumt er ein. Das macht es für ihn nicht leichter.
Wenige Stunden nach dem Ende des Demokratiefestes dringt dann die Nachricht von dem Messerattentat von Solingen durch. Höcke versucht sofort, den Anschlag für sich zu nutzen. Auf der Plattform X hetzt er gegen die »Multikulturalisierung«, und tags darauf auf der Bühne in Sömmerda auch. Es scheint, als habe er durch den Anschlag noch mal Aufwind erhalten.
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