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Bunte Perlen im blau-braunen Filz

Wie sich junge Frauen in Mittelsachsen für Vielfalt und Demokratie einsetzen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 7 Min.
In Waldheim werden bunte Feste gefeiert – dank der Bunten Perlen und ihrer Mitorganisatorin Cindy Reimer (links stehend)
In Waldheim werden bunte Feste gefeiert – dank der Bunten Perlen und ihrer Mitorganisatorin Cindy Reimer (links stehend)

Wenn Ressentiment und Hass auf dem Vormarsch sind, ist das eigentlich schlecht für alternative Projekte. Im sächsischen Waldheim aber war eine Zeitlang das Gegenteil der Fall. Jeder Meter, den die Teilnehmer eines von den rechtsextremen Freien Sachsen und der AfD unterstützten »Montagsspaziergangs« zurücklegten, half Initiativen wie »Endstation Rechts« oder der RAA-Opferberatung. Der Grund: Eine Initiative namens »Bunte Perlen« hatte die dumpfen Aufzüge kurzerhand zum Spendenlauf deklariert. »Je mehr Nazis teilnahmen und je weiter sie liefen, umso mehr Geld haben wir überwiesen«, sagt Cindy Reimer, eine der Mitgründerinnen der Initiative, die sich so nennt, weil Waldheim sich gern als »Perle« am Zschopau-Fluss bezeichnet. Um den grotesken Charakter der Veranstaltungen zu betonen, die über Monate hinweg in der 8600 Einwohner zählenden sächsischen Kleinstadt zum Stadtbild gehörten, wurden zudem Jubelkundgebungen entlang der Strecke angemeldet: »Wir haben uns bei den Teilnehmern herzlichst für ihr Engagement für unsere Sache bedankt«, sagt Reimer mit ironischem Unterton.

Cindy Reimer sind rechte Umtriebe zuwider. Als Jugendliche zog es sie in ihrer Freizeit in Häuser wie das Alternative Jugendzentrum AJZ in Leisnig oder das Treibhaus in Döbeln. Viele ihrer Altersgefährten liefen schon damals stramm gescheitelt und mit stramm rechter Haltung herum. Es waren die Jahre um 2015, als die NPD gegen Flüchtlingsheime mobilisierte und gemeinsam mit Pegida & Co. dafür sorgte, dass in Sachsen ausländerfeindliche Ressentiments zunahmen und der Ton der öffentlichen Debatten verrohte. »Als junger Mensch hier in der Gegend konnte man sich nicht in der ›Mitte‹ bewegen«, sagt Reimer: »Man musste sich positionieren.« Sie stellte sich auf die Seite von Antifaschismus, Solidarität, Vielfalt – aber fand sich damit schon damals in einer Minderheitenposition. Nach dem Abitur ging sie weg: erst nach Norderney, dann nach München, wo sie eine Ausbildung als Kirchenmalerin absolvierte und die Meisterprüfung absolvierte. Nach Waldheim, sagt sie, »wollte ich eigentlich nicht mehr zurück.«

Wahljahr Ost

Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.

Jetzt ist Reimer doch wieder da. Gründe sind die Familie, ihr aus der Stadt stammender Freund, mit dem sie hier ein Kind hat – und ein gewisser »Drang zum Mitmischen«. Es scheint, als habe sie die Region, aus der sie stammt, doch nicht aufgeben und sich selbst überlassen wollen.

Dabei sind die Verhältnisse in den vergangenen knapp zehn Jahren alles andere als besser geworden. Der Rechtsruck hat Sachsen voll erfasst. Bei der Kommunalwahl im Juni wurde die AfD in allen Landkreisen stärkste Kraft; in Mittelsachsen kam sie auf 30,3 Prozent, weitere 3,3 Prozent entfielen auf die noch übleren Freien Sachsen. Auch bei der Landtagswahl am 1. September gilt ein Sieg der AfD als denkbar. Zudem wird sie zunehmend salonfähig, die »Brandmauer« in den Kommunalparlamenten bröckelt rasant. Im Alltag wird immer unverfrorener und ungehemmmter gegen Zuwanderer und Menschen mit alternativen Lebensentwürfen gehetzt. In diesem Klima, sagt Reimer enttäuscht, bekämen es selbst Institutionen wie die Kirche »oft nicht mehr auf die Reihe, sich klar zu einfachsten Grundwerten zu bekennen«.

»Selbst die Kirche bekommt es oft nicht mehr auf die Reihe, sich klar zu einfachsten Grundwerten zu bekennen.«

Cindy Reimer Bunte Perlen Waldheim

Wer sich in der sächsischen Provinz für solche Grundwerte engagiert, für Solidarität oder Rechte von Minderheiten, der hat es schon geraume Zeit nicht leicht: »Das ist ein Kampf gegen Windmühlen«, sagt Marika Tändler-Walenta, die sich als Jugendliche gegen Nazis wehrte und heute Landtagsabgeordnete und Kreischefin der Linken ist. »Eine rechte Hegemonie gibt es hier schon lange«, sagt sie. Inzwischen aber hat der Rechtsdrall große Teile der »bürgerlichen Mitte« erfasst, die progressive gesellschaftliche Linke ist marginalisiert. Im Kreistag kommen SPD, Linke und Grüne zusammen auf gerade noch 15 Prozent. »Die Neunzigerjahre waren hart«, sagt Tändler-Walenta: »Jetzt fühlt es sich fast noch härter an.«

Und trotzdem gibt es Menschen, die nicht aufgeben, sich nicht zurück- oder aus der Region wegziehen. Oft, sagt Tändler-Walenta, seien es junge Frauen. Erst im Februar hatte eine Analyse der »Financial Times« aufhorchen lassen. Unter Berufung auf Umfragen und Wahlergebnisse war dort mit Blick auf Großbritannien, die USA, Südkorea und Deutschland von einem wachsenden »Gender Gap« bei politischen Einstellungen die Rede: Junge Männer tendierten demnach nach rechts, junge Frauen verstärkt nach links.

Beispiele dafür finden sich auch in Mittelsachsen. Hier kann man auf Frauen wie Kate Scharf treffen, die für die Linke im Gemeinderat von Kriebstein sitzt. Sie begann sich politisch zu engagieren, als der Jugendclub im Ortsteil Kriebethal geschlossen werden sollte: ein selbstorganisiertes Projekt, das aber den Sanitärräumen für die Gemeindearbeiter weichen musste. »Ich dachte: So kann man mit jungen Menschen nicht umgehen. Die sollte man unterstützen statt vor den Kopf stoßen«, sagt Scharf: »Sonst sind irgendwann alle weggezogen.«

Das Aus für den Jugenclub habe eine ganze Gruppe junger Leute in die Politik gebracht: »Wir wollten etwas verändern«, sagt Scharf. Die meisten zogen sich seither freilich wieder zurück: Arbeit, Familie, die unerquicklichen Mühen der Ebene. Scharf, inzwischen selbst junge Mutter, blieb dagegen dabei und denkt inzwischen in größeren Zusammenhängen. Sie kritisiert politische Vorgaben wie die, wonach Jugendarbeit nur als »freiwillige Aufgabe« gilt, an der bei fehlenden Mitteln gespart werden kann. Und sie verweist auf den Teufelskreislauf, wonach eine sinkende Einwohnerzahl vom Land mit sinkenden Zuweisungen aus der Jugendpauschale quittiert wird, weshalb in Jugendhäusern Stellen gekürzt werden müssen: »Dann findet dort nur noch Betreuung statt. Um Inhalte geht es nicht mehr.« Die Folgen sind Wegzug, sinkende Einwohnerzahlen – und als Folge noch weniger Geld für die Kommune.

Kate Scharf will solchen Widrigkeiten dennoch trotzen. Im Juni wurde sie zum zweiten Mal in den Gemeinderat von Kriebstein gewählt, als einzige Abgeordnete der Linken. »Viele Leute haben mir gesagt: Wir wählen dich, obwohl du bei denen bist«, sagt sie. Auch Cindy Reimer ist mittlerweile in der Kommunalpolitik aktiv. Sie kandidierte zur Wahl des Kreistags als Parteilose für Die Linke und ist jetzt Vorsitzende ihrer von elf auf fünf Mitglieder geschrumpften Fraktion.

Wahljahr Ost

Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.

Vor allem aber engagiert sich Reimer weiter mit Projekten wie »Bunte Perlen« für Vielfalt und Demokratie in Waldheim. Von der Idee der montäglichen Spendenläufe habe man sich verabschiedet: »Das hat sich für uns dann doch falsch angefühlt«, sagt sie. Die Initiative bezog aber kritische Position, als im Frühjahr Waldheims Rathauschef und der Landrat zu einer Kundgebung für demokratisches Miteinander in der Stadt einluden, deren Aufruf so unverbindlich gehalten war, dass ihm auch knallharte Nazis folgen konnten.

Leicht ist all das nicht. »Wir gelten manchen als Nestbeschmutzer«, sagt Reimer: »Uns werden viele Steine in den Weg gelegt.« Ein Beispiel: das Projekt »Bunte Bücher«, in dem es um Toleranz und Vielfalt geht und das 140 Kinderbücher zu Themen wie Krieg, Flucht oder Behinderung vereint. Es sollte in der örtlichen Bibliothek gezeigt werden, »war dort aber nicht gewollt«, sagt Reimer. Jetzt gibt es ein mobiles Angebot, das beispielsweise Schulen und Kitas für Projekttage zur Verfügung gestellt wird.

Zu sehen sein werden die »Bunten Bücher« auch an diesem Montag, wenn engagierte Menschen einen »Kra(h)wall in Waldheim« organisieren. Mit Musik, Reden und besagter Ausstellung stellen sie sich einem Auftritt des AfD-Politikers Maximilian Krah entgegen, der sich trotz seiner relativierenden Äußerungen über die Waffen-SS in Sachsen weiter im Wahlkampf seiner Partei engagieren darf. Die schwimmt im Freistaat auf einer Welle des Erfolgs und träumt bereits von der Machtübernahme. Im nahe gelegenen Döbeln stellt sie seit vergangener Woche den stellvertretenden Oberbürgermeister. Menschen wie Cindy Reimer, Kate Scharf und Marika Tändler-Walenta stellen sich ihnen trotzdem entgegen. »Es bleibt ein Kampf gegen Windmühlen«, sagt Reimer: »Aber was wäre denn die Alternative?!«

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