BSW-Landeschef: »Man wählt uns nicht als Opposition«

Jörg Scheibe ist Politikneuling und trotzdem Spitzenmann des BSW Sachsen, das er für bereit zum Mitregieren hält

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.
Sachsens BSW-Chefs Sabine Zimmermann und Jörg Scheibe sowie die allgegenwärtige Parteigründerin
Sachsens BSW-Chefs Sabine Zimmermann und Jörg Scheibe sowie die allgegenwärtige Parteigründerin

Wer nach verbindenden Elementen zwischen der CDU und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Sachsen sucht, stößt auf Nordstream 1 und 2. Die Pipelines am Grund der Ostsee sollten Erdgas aus Russland nach Deutschland transportieren. Im Herbst 2022 wurden sie gesprengt. Michael Kretschmer, der sächsische CDU-Regierungschef, forderte Aufklärung. »Noch wichtiger« sei aber, die Pipeline »für die Zeit nach dem Krieg zu retten«. Und auch Jörg Scheibe sieht eine Zukunft für die Trasse. Deutschland werde »über Jahrzehnte« nicht auf fossile Energieträger verzichten können, sagte der Ko-Landeschef des BSW in Sachsen auf einem Parteitag im Mai. Dazu gehöre auch Erdgas aus Russland, das künftig wieder »auf direktem Wege über Nordstream« bezogen werden solle.

In der bundesdeutschen Politik ist das eine Außenseiterposition. Kretschmer und Scheibe könnte sie indes an einen Tisch bringen: Sachsens Kabinettstisch. Das BSW wird derzeit in Wahlumfragen für Sachsen bei zweistelligen Werten geführt; es könnte am Sonntag aus dem Stand als drittstärkste Kraft in den Landtag einziehen und danach entscheidend für die Regierungsbildung sein. Falls die bisherigen Koalitionspartner Grüne und SPD den Sprung in den Landtag verfehlen oder zu schwach abschneiden, wäre die CDU auf das BSW angewiesen, um eine Koalition mit der AfD zu vermeiden. Scheibe, der auf Listenplatz 2 steht, wäre durchaus Anwärter auf ein Ministeramt.

Dabei hat seine politische Laufbahn erst vor weniger als einem Jahr begonnen. Zuvor sei er »politisch interessiert, aber inaktiv« gewesen, sagt der 61-jährige Chemnitzer, der seit 1993 ein Planungsbüro für Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen mit 13 Mitarbeitern führt. Die Tätigkeit wurde 2012 zum »Nebenjob«, als er an der Berufsakademie Glauchau eine Dozentenstelle antrat. Gewählt habe er oft die Grünen, sagt er. Deren Engagement für ökologischen Umbau und Klimaneutralität habe ihm ebenso zugesagt wie ihre pazifistische Grundhaltung. Vom Agieren der Partei in der Bundesregierung seit 2021 aber sei er entsetzt. Die Energiepolitik rund um das Heizungsgesetz sei »ein ständiges Hü und Hott« gewesen und habe der Akzeptanz für Klimaschutz in der Bevölkerung enorm geschadet; das Eintreten für Waffenlieferungen an die Ukraine finde er inakzeptabel: »Für mich sind das nur noch die Olivgrünen.«

»Mitregieren ist natürlich ein Risiko, weil man Erwartungen enttäuschen kann.«

Jörg Scheibe Ko-Landesvorsitzender BSW

Anderen geht es ähnlich; Scheibe beurteilt die politische Stimmung in seinem privaten und beruflichen Umfeld als »sehr schlecht«. Er selbst wolle »nicht nur meckern, weil sich davon ja auch nichts ändert«, habe sich aber auch in keiner bestehenden Partei wiedergefunden. Die Positionen von Sahra Wagenknecht hätten ihm aber schon länger zugesagt. Als diese die Gründung einer Partei ankündigte, schrieb er ihr einen Brief. Dann ging alles sehr schnell: Beim Gründungsparteitag im Januar gehörte er zu den Delegierten. Vor der Gründung des sächsischen Landesverbandes trug ihm die Regionalbeauftragte Sabine Zimmermann, Ex-Bundestagsabgeordnete der Linken, den Ko-Vorsitz gemeinsam mit ihr an. Bei der Kommunalwahl im Juni wurde er in den Kreistag Mittelsachsen und den Gemeinderat seines Heimatortes Niederwiesa gewählt, wo er die meisten Stimmen aller Bewerber erhielt: »Die Erwartungen an uns sind groß.«

Das zeigen auch die gut gefüllten Plätze bei Wahlkampfveranstaltungen wie dieser Tage in Zwickau. Dort geißelte Parteichefin Wagenknecht unter Jubel und Beifall einiger hundert Zuhörer das »Ampel-Elend« in Berlin und rief dazu auf, die Landtagswahlen im Osten zur »Abstimmung über die deutsche Außenpolitik« zu machen. Das BSW werde nur in Landesregierungen eintreten, die danach im Bund »ihr Gewicht in die Waagschale werfen«, um einen Kurswechsel mit Blick auf den Ukraine-Krieg zu erreichen. Dieser solle »auf diplomatischem Weg schnellstens beendet« werden. Zudem lehne man die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland strikt ab. Sachsens Grüne ätzen angesichts solcher Positionen, das BSW sei vom Kreml unterwandert. Sachsens CDU-Spitzenkandidat Kretschmer fühlte sich von den rigiden Vorgaben der Parteichefin an die »Zeiten des Politbüros« erinnert. Sein Brandenburger Parteikollege Jan Redmann äußerte angesichts der von Wagenknecht gezogenen roten Linien Zweifel, ob das BSW vor der Bundestagswahl 2025 in den Ländern überhaupt mitregieren wolle.

Wahljahr Ost

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Auch Jörg Scheibe sieht in derlei Regierungsbeteiligungen »natürlich ein Risiko, weil man Erwartungen enttäuschen kann«. Andererseits gäben viele Bürger dem BSW ihre Stimme »nicht, damit wir in die Opposition gehen«. Scheibe scheint gewillt zum Mitregieren – was in Sachsen auf eine Koalition mit der CDU hinausliefe. Diese habe in 34 Regierungsjahren etliches falsch gemacht; in der Bildungspolitik etwa sieht Scheibe große Versäumnisse. Zugleich gebe es politische Schnittmengen, etwa in der Migrationspolitik. Das BSW wolle »illegale Einwanderung eindämmen«, sagt Scheibe. Seine Ko-Landesvorsitzende Zimmermann sagte in Zwickau, es habe »keiner Verständnis dafür, dass nicht integrationswillige Ausländer Geld beziehen«. Das BSW setzt auf Sachleistungen statt Bargeld, auf Asylverfahren an der EU-Außengrenze und beschleunigte Abschiebungen, insbesondere von straffällig gewordenen Zuwanderern.

Aus Sicht vieler Linker klingt das nach »AfD light«. Scheibe widerspricht. »Anders als die AfD verunglimpfen wir nicht pauschal Menschen«, sagt er. Gleichwohl gelte es, Migration zu regeln. Das Sozialsystem dürfe nicht »überfordert« werden, »weil das ein Nährboden für Ausländerhass ist«. Bei Kretschmers CDU dürften derlei Positionen auf viel Gegenliebe stoßen, weil sie anders als in der derzeitigen schwarz-grün-roten Koalition eine härtere Politik in Zuwanderungsfragen ermöglichen, ohne dass mit der AfD paktiert werden müsste.

Mit dieser, betont Scheibe, werde auch das BSW keine Bündnisse eingehen. Eine rein rechnerisch immerhin mögliche Koalition »wird es mit uns nicht geben, und wir werde auch keinen Ministerpräsidenten von der AfD wählen«, betont der Ko-Landeschef. Allerdings sei Zusammenarbeit in Sachfragen denkbar, falls beide Parteien in der Opposition landeten: »Eine Brandmauer werden wir definitiv nicht errichten.« Sie habe zum Erstarken der AfD beigetragen und sei auf kommunaler Ebene ohnehin gefallen. Auch das ist ein verbindendes Element zwischen BSW und CDU, in der immer mehr Kommunalpolitiker zur AfD keine Berührungsängste mehr kennen.

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