Berlin: Rumänische Arbeiter ausgebeutet und misshandelt

Ein Vater und sein Sohn sollen rumänische Bauarbeiter systematisch ausgebeutet haben

Die Angeklagten am Montag vor Gericht
Die Angeklagten am Montag vor Gericht

Es müssen desolate Zustände in dem Haus in Charlottenburg gewesen sein: Mehr als 30 rumänische Arbeiter lebten hier auf engstem Raum zusammen. Jeder Raum war mit Doppelstockbetten zugestellt, bis zu acht Menschen teilten sich ein Zimmer. Eine funktionierende Küche gab es nicht. An sechs Tagen in der Woche mussten die Rumänen zu zehnstündigen Arbeitseinsätzen auf Baustellen in Berlin ausrücken. Kontakt zur Außenwelt war streng verboten. Erschien einer der Arbeiter nicht rechtzeitig wieder im Haus, drohten Prügel.

Constantin L., 52, und Constantin-Ionat L., 32, ein Vater und sein Sohn, waren die Herren über das Horrorhaus. So wirft es ihnen die Staatsanwaltschaft vor. Zu Beginn des Prozesses am Montag am Kriminalgericht Moabit verbergen sie ihre Gesichter hinter Akten. Menschenhandel ist der Hauptvorwurf, der ihnen gemacht wird. Beide sollen Arbeiter in Rumänien mit falschen Versprechen nach Berlin gelockt haben, wo sie sie dann »ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen« und »Misshandlungen« aussetzten, wie es in der Anklageschrift heißt.

Das Vater-Sohn-Gespann soll hinter einem durchorganisierten System gestanden haben. »Ziel war die Risikominimierung bei gleichzeitiger Gewinnmaximierung«, heißt es in der Anklageschrift. Beide sollen im Hintergrund die Fäden bei einem Geflecht von Scheinfirmen und Subunternehmen gezogen haben, das den Menschenhandel organisierte. Als offizielle Geschäftsführer fungierten Strohmänner, die häufig selbst kein Deutsch sprachen. Weil die Arbeiter weit unter Mindestlohn bezahlt wurden, konnten L. und sein Sohn unschlagbar günstige Angebote unterbreiten, die sie bei Bauherren beliebt machten.

Opfer waren größtenteils ungelernte Arbeitskräfte aus ärmsten Verhältnissen in Südostrumänien. Fast alle sprechen kein Wort Deutsch, viele sind Analphaten. Der Schrecken begann für sie schon mit der Reise nach Deutschland: In einen winzigen Kleintransporter gepfercht mussten sie die mehrtägige Fahrt ertragen. Dafür berechnete L. ihnen 150 bis 200 Euro pro Person. In Berlin angekommen sollten sie dann einen unbezahlten »Probemonat« absolvieren. Die Kosten für die enge Unterkunft in Charlottenburg und spärliche Versorgung stellten ihnen L. und sein Sohn trotzdem in Rechung. Nun standen die Arbeiter in der Schuld von L. – und waren damit abhängig vom ihm.

Von da an soll das Vater-Sohn-Gespann ein strenges Regime geführt haben. Berüchtigt waren die allabendlichen Besprechungen in der Unterkunft, von den Arbeitern nur »Appelle« genannt. Vor allem L., der Vater, soll hier immer wieder Arbeiter vor versammelter Mannschaft geschlagen haben, »mit allem, was gerade zur Hand war«, wie es in der Anklageschrift heißt. Die Gründe waren nichtig: wenige Minuten Verspätung, ein paar Schlucke Alkohol, ein Anruf bei der Familie in Rumänien. Sogar mit einer Schusswaffe und einem Schwert soll er Arbeitskräfte bedroht haben.

Auch krank oder verletzt musste die Arbeit angetreten werden, sonst drohten Schläge.

Auch auf den Baustellen soll L. handgreiflich gegenüber Arbeitern geworden sein. Auf Arbeitsschutz wurde dagegen weniger geachtet: Festes Schuhwerk wurde nicht zur Verfügung gestellt, Arbeiten am hochgiftigen Asbest mussten ohne angemessene Schutzausrüstung durchgeführt werden. Auch krank oder verletzt musste die Arbeit angetreten werden, sonst drohten erneut Schläge.

Einen angemessenen Lohn erhielten die rumänischen Arbeiter nicht. Statt des vorgeschriebenen Mindestlohns von 12,41 Euro pro Stunde erhielten sie gerade mal 300 bis 600 Euro im Monat – wenn überhaupt. Häufig sei der Lohn mit Verweis auf angebliche Verstöße gekürzt worden, so die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft. Gerade mal 70 Euro habe er in einem Monat erhalten, berichtete ein Opfer der Polizei. Parallel hinterzogen L. und sein Sohn Sozialbeiträge in Höhe von etwa einer halben Million Euro.

Zwischen 2015 und 2020 sollen Constantin L. und Constantin-Ionat L. das Geschäft betrieben haben, bis sich ein Arbeiter bei der Polizei meldete. Für drei Monate saß Constantin L. daraufhin in U-Haft, bevor er wieder auf freien Fuß kam. Eine Anklage wurde erst zwei Jahre später erhoben, der Gerichtstermin kam erst jetzt zustande.

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Trotz der Schwere der Vorwürfe können L. und sein Sohn auf ein mildes Urteil hoffen: Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidiger einigten sich am Rande des Verfahrens auf einen Deal: Im Gegenzug für Geständnisse wird L. eine Bewährungsstrafe von maximal zwei Jahren in Aussicht gestellt, seinem Sohn eine Bewährungsstrafe von maximal einem Jahr und sechs Monaten. Dazu kommen Geldstrafen im niedrigen fünfstelligen Bereich. Dies sei eine »tat- und schuldangemessene Strafe«, so der Richter.

Aus Kreisen der Berliner Staatsanwaltschaft ist nach dem Prozesstermin Unzufriedenheit mit der Absprache zu vernehmen. Akuter Personalmangel bei der Staatsanwaltschaft gefährde allerdings eine Verurteilung. Dazu komme, dass ein Großteil der Zeugen aufwendig aus Rumänien hätte eingeflogen werden müssen.

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