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Susanne Schaper: Hürdenlauf mit Hündin Heli
Die Sozialpolitikerin führt die sächsische Linke mit vollem Einsatz im schwersten aller bisherigen Wahlkämpfe
Susanne Schaper ist keine Ruderin. Das beschert ihr an diesem Nachmittag einen der wenigen entspannten Momente im kraftzehrenden Wahlkampf des Sommers 2024. Schaper, die Spitzenkandidatin der Linken in Sachsen, lehnt sich in einem Ruderkahn auf dem Carolasee im Dresdner Großen Garten zurück. Neben ihr im Bug des Boots sitzt Dietmar Bartsch, langjähriger Chef der nicht mehr existierenden Fraktion im Bundestag. In die Riemen legt sich André Schollbach, Fraktionschef im Dresdner Stadtrat und Direktkandidat in diesem Teil der Landeshauptstadt. Die Sonne brennt, aber ein scharfer Wind fegt über das Wasser. Während Schollbach erzählt, wie seine Fraktion mit einer Petition erfolgreich gegen die Schließung des Bootsverleihs durch den Staatlichen Schlösserbetrieb vor zwei Jahren ankämpfte und so ihren Nutzen als »Kümmererpartei« unter Beweis stellte, drückt eine Böe das Boot gegen das Ufer. Steine knirschen gegen Plastik, die Jolle schaukelt bedenklich. Ein Schreckmoment, aber Schollbach bringt den Kahn wieder auf Kurs. Nach einer halben Stunde legt er wieder an. Schaper ist erleichtert: »Wir sind nicht untergegangen.«
Damit ist ziemlich präzise die Aufgabe beschrieben, die vor der 46-jährigen Chemnitzern steht. Würde man den laufenden sächsischen Wahlkampf ihrer Partei mit einer Sportart vergleichen, dann wäre es nicht Rudern, sondern Hürden- und Hindernislauf. Auf der bisherigen Strecke sind Schaper und Die Linke durchaus mal gestrauchelt. Unter- oder, um im Bild zu bleiben, zu Boden gehen aber wollen sie nicht. Die Hürde, die es an diesem Sonntag um jeden Preis zu überspringen gilt, ist die Fünfprozent-Hürde. Anderenfalls stünde eine beispiellose Zäsur an: Die Linke müsste sich erstmals überhaupt in Ostdeutschland aus einem Landtag verabschieden.
Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.
Derlei existenzielle Sorgen kannte man in der Landespartei seit Jahrzehnten nicht. Der einst stärkste Landesverband von PDS und Linke kam in dem mehrheitlich konservativen Bundesland zwar nie auch nur in die Nähe von Regierungsverantwortung. 2004 aber erhielt er immerhin 23,6 Prozent der Stimmen. Ganz Verwegene träumten von linken Mehrheiten. Im Landtag war man unangefochtener Oppositionsführer. Der Status blieb auch bei folgenden Wahlen gewahrt, als es für 20,6 und 2014 dann für 18,9 Prozent der Stimmen reichte. In jenem Jahr kam die examinierte Krankenschwester Schaper neu in die damals 27-köpfige Fraktion.
Fünf Jahre später folgte der Absturz für Die Linke: mit 10,4 Prozent gerade noch zweistellig, nur 14 Abgeordnete im Landtag, die AfD fast dreimal so stark und um ein Vielfaches lauter. Schaper gehörte weiterhin zu den engagiertesten Arbeiterinnen, beackerte das für die Partei zentrale Themenfeld der Sozialpolitik, kümmerte sich um Krankenhäuser, Beratungsstellen, Tierheime. Sie zeigte, dass man mit Engagement und Energie auch in einer kleinen Fraktion viel erreichen kann. Dennoch mag ein Grund für die Probleme der sächsischen Linken im Sommer 2024 sein: Wer weniger gehört wird, wird auch weniger gewählt.
Ein anderer, wesentlicher Grund liegt nicht in Dresden. Exemplarisch formuliert wird er am Morgen vor der Bootsfahrt an einem Infostand im Dresdner Stadtteil Mickten. Vor einem zum Einkaufszentrum umgebauten Straßenbahnhof hat der örtliche Direktkandidat Paul Senf einen Grill aufgebaut und verteilt Bratwürste. Ein junger Mann in weißem Hemd nimmt eine und erklärt Senf dann, warum er dessen Partei wohl nicht wählen wird. »Ihr seid abgekommen von dem, was euch ausgemacht hat«, sagt er unter Verweis auf den Kampf gegen Hartz IV und Niedriglöhne: »Stattdessen habt ihr euch nur noch um euch selbst gedreht.« Er ticke politisch links, fügt er hinzu: »Aber ich habe Sorge, dass ich meine Stimme verschenke.«
So etwas höre sie oft, sagt Susanne Schaper. Der Wahlkampf der Linken in Sachsen wird überlagert von Problemen der Bundespartei: jahrelange Flügelkämpfe, das Gezerre um die Rolle von und das Verhältnis zu Sahra Wagenknecht, deren Austritt und die Neugründung einer Konkurrenzpartei. Immer wieder gab es Nackenschläge, zuletzt ein katastrophales Ergebnis bei der Europawahl, das zunächst trotzdem ohne Konsequenzen blieb, und dann doch der Rückzug der Vorsitzenden, keine zwei Wochen vor den zwei entscheidenden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Sollte Schaper darüber verärgert sein, lässt sie sich das nicht anmerken. In einer Mischung aus Fatalismus und Pragmatismus vergleicht sie die Situation der Landespartei mit der eines Menschen, der abends nach Ladenschluss hungrig nach Hause kommt: »Man muss mit dem kochen, was da ist.«
Was da ist: engagierte und angesichts der Lage dennoch erstaunlich gut gelaunte Wahlkämpfer. Paul Senf, als Jugendkandidat auf Platz 6 der Landesliste platziert, geht fröhlich auf Passanten zu und erklärt geduldig, warum es Die Linke auch im nächsten Landtag brauche. »Ein wenig Zweckoptimismus gehört dazu«, sagt er. So sei es überall, sagt Schaper und berichtet von viel Einsatz, konstruktiver Arbeit, gegenseitiger Unterstützung und Wohlwollen. »Da sind Menschen miteinander unterwegs, die zusammen gehören«, sagt sie, und formuliert die allgemeine Stimmungslage: »Der Verstand mag verzweifeln, aber das Herz weiß, warum wir das tun.«
Was außerdem da ist: eine Spitzenkandidatin, die sich über alle Maßen ins Zeug legt. Der straffe Wind, der nachmittags fast das Boot zum Kentern bringt, fegt auch morgens schon über den Platz vor dem Straßenbahnhof. Der Pavillon über dem Grill droht davongeweht zu werden. Schaper springt herbei und klammert sich an eines der Beine, um ihn am Boden zu halten. Die Rettungsaktion geschieht mit einem Augenzwinkern, hat aber etwas Symbolhaftes: Hier kämpft eine Frau mit vollem, auch körperlichem Einsatz. Wenn die Sache am Sonntag schiefgeht, dann liegt es gewiss nicht an ihr.
»Der Verstand mag verzweifeln, aber das Herz weiß, warum wir das tun.«
Susanne Schaper Spitzenkandidatin
Wer beschreiben will, wie Susanne Schaper tickt, landet schnell bei Heli. Das ist eine der beiden Hündinnen, die neben ihr, einem Pkw Trabant und dem Slogan »Ostdeutsch, sächsisch, links« auf einem großflächigen Wahlplakat der Spitzenkandidatin zu sehen sind. Wahlkampf mit Tierbildern: Das hinterlässt, wie auch Politikerkampagnen mit Kinderfotos, oft einen zwiespältigen Eindruck. Im konkreten Fall aber erzählt die Präsenz der Hündin viel über die Politikerin. Als in deren erster Landtagsfraktion bekannt wurde, dass sie einen Hund hat, wurde ihr umgehend die Zuständigkeit für den Tierschutz übertragen. Der galt zuvor als Orchideenthema. Schaper aber neigt dazu, sich in jeden Job, den sie übernimmt, mit Eifer und Ernsthaftigkeit hineinzuknien. Außerdem sagt die Sozialpolitikerin mit einem Zitat von Albert Schweizer: »Tierschutz ist Erziehung zur Menschlichkeit.«
Also besuchte sie alle sächsischen Tierheime. Manche von deren Insassen suchte sie im privaten Kreis an neue Besitzer zu vermitteln, ungeachtet körperlicher Schwächen. In etlichen Fällen ruhte die letzte Hoffnung auf Schaper selbst. Sie erbarmte sich eines dreibeinigen Hundes, der inzwischen nicht mehr lebt; dazu eines Tieres mit Dutzenden Schrotkugeln im Kiefer und schließlich der Deutschen Kurzhaar-Hündin Heli, die zweimal durch die Jagdprüfung gefallen war: »Daraufhin wurde sie ausgemustert«, sagt Schaper, »und landete bei mir«.
Schaper tut all das ohne strategisches Kalkül. Sie bespielt keinen Instagram-Account, auf dem eine Hündin mit Schlappohren und treuem Blick gute Dienste leisten würde, um Aufmerksamkeit zu generieren. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass der Eifer, mit dem sie sich dem Thema Tierschutz verschrieb, ihrer Partei am Sonntag die parlamentarische Existenz rettet. Die Tierschutzpartei, die aus formalen Gründen nicht zur Landtagswahl zugelassen wurde, schaute sich daraufhin die Programme und die parlamentarischen Aktivitäten der anderen Parteien an und blieb bei der Linken hängen, die beispielsweise einen Gesetzentwurf zum Schutz von Katzen eingebracht hatte. »Insgesamt denke ich im Rückblick, dass wir das Thema erstaunlich gut beackert haben«, sagt Schaper. Bei der Tierschutzpartei dachte man ähnlich und sprach eine Wahlempfehlung für Schaper aus, um so mehr, als diese seit drei Jahrzehnten Vegetarierin ist, ohne freilich viel Aufhebens darum zu machen. Das Votum der Tierschützer ist mehr als eine Petitesse. Bei der vorigen Landtags- und bei der Europawahl im Juni kam die Partei jeweils auf 1,5 Prozent und mehr als 30 000 Stimmen. In einem Wahlkampf, in dem es für Die Linke auf jede einzelne Stimme ankommt, fällt das ins Gewicht.
Schapers Unterstützung durch die Tierschutzpartei dürfte auch den letzten womöglich noch zweifelnden Genossen überzeugt haben, dass sie eine gute Wahl als Spitzenkandidatin ist. Dass der entsprechende Kelch nicht an ihr vorbeiging, war ohnehin keine Überraschung. Schaper ist in der sächsischen Linken seit Jahren die Frau für alle Fälle. Ein Bonmot, das sie bei dem Thema gern anbringt, besagt, dass sie »einen Sprachfehler« habe: »Ich kann nicht ›Nein‹ sagen.« Neben der Zuständigkeit für das Megathema Soziales in der Fraktion leitete sie auch den entsprechenden Ausschuss des Landtags. In Chemnitz ist sie seit Jahren Chefin der Ratsfraktion, die bei der Kommunalwahl im Juni freilich auf fünf Sitze schrumpfte. 2020 wurde sie ins Rennen um den Posten des Oberbürgermeisters geschickt und kam mit gut 16 Prozent auf Platz 3. Im Sommer 2021 wäre sie fast Sozialbürgermeisterin ihrer Heimatstadt geworden. In der entscheidenden Abstimmung verbündeten sich freilich CDU und AfD gegen sie. Es gab Stimmengleichheit mit einem gänzlich unbekannten Mitbewerber, am Ende entschied das Los, das Schaper nicht hold war: »Dann hätte ich jetzt ein ruhigeres Leben«, sagt sie.
Ein ruhigeres Leben und einen entspannteren Wahkampf hätte sie auch, wenn in der Bundespartei gelungen wäre, was in Sachsen nach der Wahlpleite 2019 geklappt hat. In den Turbulenzen, die folgten, mit Resignation, Ratlosigkeit und Rücktrittsforderungen, ließ sich Schaper überreden, gemeinsam mit dem Leipziger Stefan Hartmann den Landesvorsitz zu übernehmen. Ein ungleiches Duo: sie den Traditionalisten zugerechnet, er den Reformern. Seither aber hat der von beiden propagierte »sächsische Weg« zur Überraschung vieler gut funktioniert. Die einst notorisch tiefen Gräben scheinen überbrückt. Im Sommer 2023 wurde entschieden, dass beide die Partei auch gemeinsam als Spitzenduo in den Landtagswahlkampf führen. Inzwischen ist Hartmann in den Hintergrund getreten: ein Zugeständnis an seine im Land geringere Bekanntheit und die medialen Mechanismen im Wahlkampf. So tingelt vor allem Schaper nicht nur über Marktplätze und Wahlkampfbühnen, sondern auch durch TV-Studios, in denen sie in 20 Sekunden erklären soll, wie ihre Partei den Krieg in der Ukraine beenden oder das Thema Migration lösen würde. »Für die nötige Differenzierung ist nie Zeit«, sagt Schaper: »Das ist frustrierend.«
Auf dem Carolasee immerhin ist einmal etwas mehr Zeit. Irgendwann mitten auf dem Wasser fragt Schaper, welche Nummer das Ruderboot habe, in dem sie unterwegs ist. Ein kurzer Blick über das Heck: Es ist die Nummer 7. Nicht die 3, 4 oder höchstens 5, die zuletzt in den Wahlumfragen hinter dem Parteinamen der Linken stand, sondern eine solide 7. »Wenn die auch am Sonntag bei uns steht«, sagt Schaper, »wird sich keiner beklagen.« Dann wäre die sächsische Linke nicht untergegangen.
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