Erster G20-Rondenbarg-Prozess endet

Gegen zwei Angeklagte des »schwarzen Fingers« wird Dienstag das Urteil verkündet

  • Matthias Greulich
  • Lesedauer: 4 Min.
Immer noch gibt es Prozesse gegen Menschen, die beim G20 festgenommen wurden.
Immer noch gibt es Prozesse gegen Menschen, die beim G20 festgenommen wurden.

Als Richterin Sonja Boddin die Beweisaufnahme am Montag um 11.58 Uhr abschließt, bleiben noch Fragen offen, die ein Zeuge nicht beantworten darf. Marc-Alexander Schindelar wartet dazu zwar im Flur des Hamburger Landgerichts, doch er darf nicht aussagen, wo der Verfassungsschutz V-Personen beim G20-Gipfel in Hamburg eingesetzt hat. Das ist von Bedeutung für den Rondenbarg-Prozess, der seit Januar vor der großen Strafkammer verhandelt wird.

Dem 29-jährigen und der 35-jährigen Angeklagten wird unter anderem schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen. Sie hatten sich am Morgen des 7. Juli 2017 an einer Demonstration aus einem Protestcamp im Hamburger Volkspark in Richtung Innenstadt beteiligt, um als »schwarzer Finger« das Gipfelgeschehen zu stören. Am Rondenbarg im nordwestlichen Stadtteil Bahrenfeld wurde die Gruppe von der Polizei mit Wasserwerfern gestoppt. Einige Weglaufende sprangen über ein Eisengeländer zwei Meter tief in einen Gewerbehof. Dabei wurden 14 Demonstrant*innen verletzt, manche von ihnen schwer.

Die rund 200 überwiegend schwarz gekleideten Teilnehmer*innen hätten Steine und Pyrotechnik in Richtung der Polizei geworfen, sagte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft, auch sei die Scheibe einer Bushaltestelle zerstört und »No G20« an Hauswände gesprüht worden. Die Angeklagten hätten zwar keine dieser Taten selbst begangen, aber den unterstützenden Rahmen dafür gebildet, so die Argumentation.

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Für die Verteidigung ist aber die mögliche Beteiligung von V-Personen des Verfassungsschutzes aus Niedersachsen am Geschehen ein Verfahrenshindernis. Schindelar, der Abteilungsleiter für Linksextremismus im dortigen Landesamt, hatte zuvor im Rondenbarg-Prozess eingeräumt, dass mehrere V-Personen aus dem Bundesland beim G20-Gipfel im Einsatz gewesen waren und dabei Straftaten begangen hatten. Mangels Kontaktdaten hatte die Verteidigung erfolglos versucht, einen in Göttingen Enttarnten als Zeugen zu laden. Beim Verwaltungsgericht Hannover beantragten die Anwälte deshalb im Eilverfahren, die Aussagegenehmigung für Schindelar für den G20-Gipfel erweitern zu lassen. Am vergangenen Donnerstag wurde dies abgelehnt.

Man müsse »ausschließen, dass staatlich bezahlte Akteure das Bedrohungsszenario mitgestaltet haben, für das andere bestraft werden sollen«, hatte Rechtsanwalt Sven Richwin, der eine Angeklagte vertritt, zuvor erklärt. Am Dienstag plädierten die Verteidiger deshalb auf Freispruch.

Dass Spitzel des Geheimdienstes in dem »schwarzen Finger« gewesen sein könnten, ist für die Strafkammer aber angeblich nicht entscheidend. »V-Leute haben nicht auf die Angeklagten eingewirkt«, führte die Richterin Boddin aus. Bei diesen habe schon zuvor eine »Tatgeneigtheit« bestanden.

»V-Leute haben nicht auf die Angeklagten eingewirkt.«

Sonja Boddin  Richterin am Landgericht

Im August informierte Boddin die Prozessbeteiligten, dass aus ihrer Sicht von den erheblichen Vorwürfen, die Angeklagten seien Mittäter bei einem schweren Landfriedensbruch, möglicherweise »gar nichts übrig bleibt«. Die Kammer ziehe aber noch eine Verurteilung wegen Beihilfe in Erwägung. Dem schloss sich die Staatsanwaltschaft am Montag in ihrem 90-minütigen Schlussvortrag an und verwies darin auch auf Sachbeschädigungen sowie versuchte schwere Körperverletzungen. Die Vertreterin forderte für die beiden Angeklagten nunmehr eine vergleichsweise geringe Geldstrafe von jeweils 150 Tagessätzen. Wegen überlanger Verfahrensdauer sollten jedoch jeweils 60 Tagessätze als vollstreckt gelten.

Anders als in der Anklage bezog sich die Staatsanwaltschaft nicht mehr auf den Kölner »Hooligan-Fall«, in dem dem Bundesgerichtshof das »ostentative Mitmarschieren« auf dem Weg zum Ort der Begehung von Gewalttätigkeiten für eine Verurteilung gereicht hatte. Sie stellte in einer durchaus gewagten juristischen Konstruktion aber darauf ab, dass die Feststellung aller Personalien der Teilnehmer*innen der Demonstration nötig gewesen sei. Wenn die Beamt*innen nach dem Versammlungsrecht unverhältnismäßig gehandelt hätten, sei das strafrechtlich nicht relevant.

»Es geht der Staatsanwaltschaft nicht um die Einschränkung der Versammlungsfreiheit oder um Sippenhaft«, sagte Staatsanwältin Meeseburg am Montag. Wenn nun auch den anderen Teilnehmer*innen des Geschehens am Rondenbarg eine Verurteilung droht, geschieht aber genau das. Denn im »Rondenbarg-Komplex« sind insgesamt 85 Personen angeklagt – drei hatten sich bereits im Januar mit der Staatsanwaltschaft auf einen Deal geeinigt.

»Es hat eine abschreckende Wirkung, wenn durch ein Urteil Demonstrierende für strafbare Handlungen Dritter belangt würden. Es wäre dann für den Einzelnen nicht mehr berechenbar, wo man sich beteiligen kann und wo nicht«, sagte der Verteidiger Adrian Wedel am Montag. Die Angeklagten kritisierten in ihren letzten Worten die lange Dauer und Belastung durch das Verfahren. Sie forderten die Einstellung aller Rondenbarg-Verfahren vor dem Hintergrund, dass kürzlich weitere Prozesse gegen insgesamt 17 Angeklagte eröffnet wurden.

Am kommenden Dienstag will die Strafkammer das Urteil verkünden.

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