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Rückkehr zur Verfassungsnormalität

In Sri Lanka hat die Linke bei den Präsidentschaftswahlen nach dem Staatsbankrott realistische Chancen

  • Britta Petersen
  • Lesedauer: 7 Min.
Durch den Staatsbankrott ins Amt gespült: Plakat mit Sri Lankas Präsidenten Ranil Wickremesinghe, der sich jetzt erstmals von der Bevölkerung wählen lassen will.
Durch den Staatsbankrott ins Amt gespült: Plakat mit Sri Lankas Präsidenten Ranil Wickremesinghe, der sich jetzt erstmals von der Bevölkerung wählen lassen will.

Obschon die Präsidentschaftswahl in Sri Lanka in weniger als vier Wochen stattfinden wird, geht es auf der Insel im Süden Indiens erstaunlich ruhig zu. Keine der Parteien, die am 21. September einen Kandidaten ins Rennen schicken, hat bisher ihr Programm veröffentlicht. Meinungsumfragen, die seriös vorhersagen, wer die Wahl gewinnen könnte, gibt es nicht. »Es wird ein knappes Rennen geben. Mehr kann man derzeit nicht sagen«, erklärt Bhavani Fonseka vom Centre for Policy Alternatives, einem Thinktank in der Hauptstadt Colombo.

Derzeit werden drei Kandidaten Chancen auf den Wahlsieg eingeräumt: dem amtierenden Präsidenten Ranil Wickremesinghe (75) von der 1946 gegründeten United National Party (UNP), einem Mann des Establishments; dem Oppositionsführer und Parteichef der Samagi Jana Balawegaya (SJB), Sajith Premadasa (57); und Anura Kumara Dissanayake (55) von der marxistisch orientierten Volksbefreiungsfront, der für die Koalition National People’s Power (NPP) antritt. Fonseka erwartet, dass die Debatte Fahrt aufnehmen wird, sobald die Wahlprogramme veröffentlicht sind. Doch es gibt Gründe, warum die Parteien sich zurückhalten.

Von der Krise zum Volksaufstand

2019 erlebte Sri Lanka die größte Wirtschaftskrise seit Erlangung der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1948. Ein massiver Einbruch des wichtigen Tourismussektors, der von der Covid-Pandemie ausgelöst und mit dem Krieg in der Ukraine 2022 verstärkt wurde, und die Preissteigerungen für Rohöl führten – in Kombination mit massiven wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen (wie die überstürzte Umstellung der Landwirtschaft auf ökologischen Anbau) – zu massiven Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln, Treibstoff und Medikamenten. Die Krise machte ein normales Leben für die meisten Menschen unmöglich.

2022 sah sich die Regierung schließlich genötigt, die Zins- und Rückzahlungen der Staatsschulden einzustellen, was einem Staatsbankrott gleichkam. Daraufhin kam es zum Volksaufstand »Aragalaya«. Nach wochenlangen Massenprotesten trat im Mai 2022 Ministerpräsident Mahinda Rajapaksa zurück, wenig später auch seine gesamte Regierung. Im Juli 2022 erstürmten Demonstrierende, trotz eines Schießbefehls, dann auch den Präsidentenpalast in Colombo und zwangen Präsident Gotabaya Rajapaksa zum Rückzug.

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»Es war eine echte Volksbewegung, über alle sozialen Klassen hinweg«, sagt Balasingham Skanthakumar von der Social Scientists’ Association of Sri Lanka. Seitdem habe sich die Wirtschaft lediglich auf der Makro-Ebene stabilisiert. »Ja, es gibt ein Wirtschaftswachstum von etwa zwei Prozent, die Inflation ist zurückgegangen, aber alle Indikatoren liegen noch immer weit unter denen vor der Krise«, führt er aus. Was von der derzeitigen Regierung als Zeichen der Erholung gepriesen werde, habe auf das Leben vieler Menschen kaum Einfluss. »Die Preise für Lebensmittel sind nach wie vor zu hoch, die Löhne zu niedrig, und der öffentliche Dienst, vor allem Schulen und Krankenhäuser, steht kurz vor dem Zusammenbruch.«

Die Zahl der Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, hat sich zwischen 2017 und 2023 von 11,3 auf 25,9 Prozent mehr als verdoppelt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte 2022 mit Sri Lanka ein Nothilfeprogramm in Höhe von drei Milliarden US-Dollar vereinbart. Eine Gruppe von 17 Kreditgeberstaaten und die Volksrepublik China sagten weitere Hilfen und einen erheblichen Schuldenerlass zu – allerdings nicht ohne Vorbedingungen. »Der schmale Weg zur Wiederherstellung von Wachstum und Wohlstand wird von einer erfolgreichen Umschuldung, einer angemessenen Unterstützung der Ärmsten und Schwächsten und der weiteren Umsetzung der Reformen trotz der bevorstehenden Wahlen abhängen«, mahnt die Weltbank in ihrem Bericht »Brücke zur Erholung« vom April 2024.

Skanthakumar kritisiert, dass Einsparungen vor allem dort vorgenommen würden, »wo es die Elite nicht trifft, bei der Bildung und im Gesundheitssektor«. Die Militärausgaben hingegen seien nicht angetastet worden, nach wie vor flössen 60 Prozent der Staatsausgaben in die Armee. »Die Regierung hat bisher nicht die notwendigen Schritte unternommen, um die Probleme der Menschen zu lösen. Es gibt zwar Bargeld-Hilfen für einige, aber die sind zu niedrig und erreichen zu wenige.« Im Großen und Ganzen ist ohnehin bekannt, dass der Präsident seinen bisherigen Kurs in Zusammenarbeit mit dem IWF fortsetzen möchte. »Wickremesinghe setzt auf den Feel-Good-Faktor bei der Mittelklasse«, so Skanthakumar. Doch ob das für den Wahlsieg reiche, sei fragwürdig. Denn es gebe nach wie vor viel aufgestauten Ärger im Volk.

Ein Mann des Establishments

Der damalige Oppositionsführer Wickremesinghe wurde im Zuge des Volksaufstands von 2022 zunächst von Präsident Gotabaya Rajapaksa zum Ministerpräsidenten ernannt und rückte nach dessen Flucht ins Ausland zum Übergangspräsidenten auf. Bei der von der Verfassung für derartige Fälle vorgeschriebenen Wahl durch das Parlament wurde er dann in diesem Amt bestätigt.

Die bevorstehende Präsidentschaftswahl markiert eine Rückkehr zur Verfassungsnormalität, in der das Staatsoberhaupt alle fünf Jahre vom Volk direkt gewählt wird und eine ähnliche Machtfülle besitzt wie etwa der französische Präsident. Die nächste Parlamentswahl steht erst 2025 an; es ist allerdings nicht unwahrscheinlich, dass der neue Präsident nach der Wahl von seinem Recht Gebrauch machen wird, das Parlament vorzeitig aufzulösen und eine Neuwahl auszurufen, um mit einem ihm nahestehenden Ministerpräsidenten zusammenarbeiten zu können.

»Viele sind der Meinung, dass Wickremesinghe seinen Aufstieg der Familie Rajapaksa verdankt, die die ganze Krise zu verantworten hat«, sagt Skanthakumar. In der Tat sind die Rajapaksas in Sri Lankas dynastischem politischen System noch immer ein Machtfaktor, obwohl weder Ex-Präsident Gotabaya Rajapaksa noch sein Bruder (und Präsident von 2005 bis 2015) Mahinda zur Wahl stehen. Stattdessen schickt die Familie überraschend den jungen Namal Rajapaksa (38) ins Rennen, der für die von seinem Onkel gegründete Partei Sri Lanka Podujana Peramuna (SLPP) antritt. Ihm werden zwar keine Chancen eingeräumt, aber seine Kandidatur signalisiert, dass die Familie ihre politischen Ambitionen keineswegs aufgegeben hat.

Unter der Präsidentschaft seines Bruders Mahinda leitete der Offizier Gotabaya Rajapaksa einst die erfolgreiche Militäroperation gegen die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE), eine paramilitärische Separatistenbewegung der tamilischen Minderheit. Die mit äußerster Brutalität geführte Auseinandersetzung beendete 2009 den jahrzehntelangen Bürgerkrieg mit einem Sieg der sri-lankischen Armee. Allerdings werden den Brüdern, ebenso wie der LTTE, massive Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen vorgeworfen, die das Land nach wie vor traumatisieren. In der singhalesischen Mehrheitsbevölkerung gelten die Brüder vielen dennoch als Helden.

Oppositionsführer Sajith Premadasa werden derzeit etwas bessere Chancen auf einen Sieg eingeräumt als Wickremesinghe. Immerhin hat er Änderungen an den Bedingungen des IWF-Pakets gefordert. Kritiker*innen werfen ihm allerdings vor, eine ähnlich neoliberale Politik zu verfolgen wie der Präsident. Seine Partei SJB hatte sich 2019 von Wickremesinghes UNP abgespalten. »Premadasa ist ein Wickremesinghe light«, unkt Skanthakumar. Wirkliche Änderungen seien von ihm nicht zu erwarten.

Linker Hoffnungsträger

Der einzige Kandidat, dem ein Bruch mit dem bestehenden System zugetraut wird, ist Anura Kumara Dissanayake (auch AKD genannt) von der sozialistischen Volksbefreiungsfront (JVP). Der auf dem Dorf aufgewachsene Arbeitersohn hat einen erstaunlichen Aufstieg und politischen Wandel hingelegt. Sollte er gewinnen, wäre dies ein Bruch mit den alten Eliten und dem von ihnen kontrollierten politischen System des Landes. Angesichts der massiven Unzufriedenheit der Bevölkerung könnte die Zeit reif dafür sein.

Allerdings wird Dissanayake bis heute die politische Vergangenheit seiner Partei zur Last gelegt. Die JVP hatte 1971 einen Putsch angezettelt, bei dem Tausende Menschen ums Leben kamen. Ein 1987 von ihr gestarteter Volksaufstand wurde zwei Jahre später von der damaligen Regierung blutig niedergeschlagen. Inzwischen hat die Partei sich vom bewaffneten Kampf verabschiedet. In der NPP, einer Koalition aus 28 progressiven Parteien, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, ist AKD zur Symbolfigur gegen Korruption und Vetternwirtschaft geworden.

Das Programm der Linkskoalition ist allerdings nach wie vor vage. Es macht den Eindruck, als wolle sich die NPP nicht durch allzu konkrete sozialistische Forderungen die guten Aussichten auf einen Wahlsieg kaputtmachen. Während kritische Stimmen der NPP Populismus vorwerfen, weisen andere darauf hin, dass die Koalition unter Dissanayake auch außenpolitisch seit geraumer Zeit pragmatisch agiert.

Im Februar traf sich AKD zum ersten Mal mit Indiens hindu-nationalistischem Außenminister, Subrahmanyam Jaishankar. Dieses Treffen markiert einen deutlichen Bruch mit der antiindischen Vergangenheit der JVP, die sich in ihrer revolutionären Phase an China orientiert hatte. Heute betont Dissanayake eine Strategie der Blockfreiheit für Sri Lanka, mit der man sich beide asiatische Großmächte warmhalten will. Dem Besuch in Neu-Delhi ging eine Visite in Peking voraus. Beide Besuche zeigen, dass die NPP international inzwischen als politische Kraft gilt, mit der in Sri Lanka zu rechnen ist.

»Die Linke hat aufgehört, auf der Basis von Theorien zu argumentieren«, sagt Balasingham Skanthakumar, weil sie in der Vergangenheit damit nie in der Lage gewesen sei, mehr als eine Handvoll Sitze zu gewinnen. Allerdings wird sich erst nach der Veröffentlichung der Wahlprogramme zeigen, wie links die NPP regieren will – und ob die Wählerinnen und Wähler ihr dann zutrauen, einen echten Wandel einzuleiten.

Unsere Autorin leitet das Südasien-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Neu-Delhi.

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