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Berlin: Psychiatrien am Limit
Psychiatrische Stationen in Berlin stark ausgelastet
Droht Berliner Psychiatrien die Überlastung? Von den 2282 Betten in psychiatrischen Stationen waren zuletzt 96,4 Prozent belegt. Das zeigt die Antwort der Senatsgesundheitsverwaltung auf eine Anfrage der SPD-Abgeordneten Bettina König. Die Zahlen stammen vom Statistischen Landesamt Berlin-Brandenburg und beziehen sich auf das Jahr 2022. Im Jahr 2021 lag die Auslastung demnach bei 92,1 Prozent. Zur Belegung tagesklinischer Angebote lieferte der Senat keine Zahlen. Kaum besser sieht es in der Kinder- und Jugendpsychiatrie aus: Dort waren 2022 im Jahresmittel 95 Prozent der 242 verfügbaren Betten belegt.
Dazu, wie lange Patienten im Durchschnitt auf einen Therapieplatz in einer Psychiatrie warten müssen, kann der Senat keine Angaben machen. Ein Gutachten des Sachverständigenrats zur Entwicklung im Gesundheitswesen hatte im Jahr 2018 für ganz Deutschland festgestellt, dass die durchschnittliche Wartezeit auf einen stationären Behandlungsplatz bei zwei Monaten lag. Bei Notfällen erfolgt eine Aufnahme allerdings häufig unmittelbar.
Eine stationäre psychiatrische Behandlung stellt zumeist allerdings das Ende einer Eskalationskette dar. Bei ambulanten Behandlungen sind die Wartezeiten im Schnitt deutlich länger. Eine Recherche des Senders RBB hatte 2022 gezeigt, dass die durchschnittliche Wartezeit auf einen ambulanten Therapieplatz bei vier Monaten liegt. In Internetforen berichten zudem zahlreiche Betroffene von teils jahrelangen Wartezeiten.
»Der Senat hat offenbar kein aktuelles Bild von der Situation«, sagt die SPD-Abgeordnete Bettina König, die die Zahlen abgefragt hatte. Sie kritisiert, dass der Senat keine eigenen Daten erhebt, sondern sich auf Zahlen des Statistischen Landesamtes verlässt. Die vorliegenden Statistiken seien zudem veraltet.
»Die vorgelegten Zahlen zeigen die hohe Belastung«, sagt König. »Das höre ich auch in Gesprächen mit Ärzten und Angehörigen.« Ärzte, Therapeuten und Pflegepersonal kämen an ihre Belastungsgrenzen, Patienten litten unter den schwierigen Bedingungen. Ein Teufelskreis: Der Personalmangel führe zu schlechterer Betreuung, was die Genesung verzögere, wodurch wiederum noch mehr Kapazitäten gebunden werden.
Mit besonderer Sorge sieht König den Mangel an Freiflächen in den psychiatrischen Einrichtungen. Aus der Antwort des Senats geht hervor, dass unter anderem im Urban-Klinikum in Kreuzberg, im Jüdischen Krankenhaus in Wedding und im St.-Joseph-Krankenhaus in Tempelhof keine abgegrenzten Freiflächen wie Gärten oder Innenhöfe für die Patienten zur Verfügung stehen. Während am St.-Joseph-Krankenhaus und im Jüdischen Krankenhaus bereits konkrete Bauvorhaben geplant sind, ist für das Urban-Klinikum – wo sich mit 166 Betten die sechstgrößte psychiatrische Station Berlins befindet – aktuell noch keine Lösung in Sicht. Der Senat befinde sich dazu in Gesprächen, heißt es in der Antwort.
»Abgegrenzte Freiflächen sind gesetzlich vorgeschrieben«, sagt König. Sie erlaubten den Patienten, die Innenräume in einem geschützten Rahmen zu verlassen. Begleitete Ausgänge seien keine adäquate Alternative. »Das Personal ist ohnehin überlastet«, so König. Für Patienten sei es kompliziert, die Ausgänge zu organisieren. »Eine Freifläche zu nutzen ist einfacher und patientenfreundlicher.«
Claus Förster vom Verein Kellerkinder, der sich als Selbstvertretung von Menschen mit psychosozialen Behinderungen versteht, weist darauf hin, dass Personalmangel als Argument für Zwangsmaßnahmen verwendet werde: »Menschen in Krisensituationen zu begleiten, ist häufig personalintensiv. In der Praxis wird dann gesagt, dass es dieses Personal nicht gebe und deshalb Fixierungen oder Zwangsmedikation beantragt werden müssen.« Dabei verbiete die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen solche Zwangsmaßnahmen.
Dabei gebe es Möglichkeiten, Krisen anders zu begleiten. Ein Beispiel seien sogenannte Genesungsbegleiter. Das sind Menschen, die selbst Psychiatrieerfahrung haben und anschließend eine Ausbildung absolviert haben. Im Klinikalltag sollen sie Patienten begleiten und beraten.
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