Aus dem Material ausbrechen

Sylvia Hagen und Christa Sammler präsentieren ihre Werke in Brandenburg

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 3 Min.
Christa Sammler: Berliner Stillleben IV (1970, Bronze)
Christa Sammler: Berliner Stillleben IV (1970, Bronze)

Grundzug der Kunst dieser beiden Bildhauerinnen ist das Offene, die durchbrochene, fragile Form, nicht die Schwere des Unverrückbaren. Bewegter Raum und Skulptur greifen ineinander. Ihre in der Bewegung verharrenden Figuren in Bronze, Ton und Terrakotta stellen sich in kraftvoller wie verzweifelter Selbstbehauptung dar. Sie suchen aus dem Material auszubrechen: die Bronze zu sprengen, die sie einengt, der Terrakotta, der »gebrannten Erde«, zu entkommen.

Die in Altlangsow im Oderbruch lebende Sylvia Hagen hält die genaue Balance zwischen Mythos und Realität, Traum und Zeitbewusstheit. Die von ihr geschaffenen Körper sind optisch gebrochen in einer hochgradigen Sensibilität. Sie bestehen aus einzelnen, roh zusammengefügten Stücken, abgetrennten Gliedern mit schrundiger, durchlöcherter Oberfläche und versehrter Form, mit Brüchen, Graten, Sprüngen, Verletzungen, einem ständigen Nebeneinander von Licht und Schatten. Diese Gebilde verweigern sich dem ersten Blick, erwarten, dass wir zunächst ihre anthropomorphe Vielgestaltigkeit und Vieldeutigkeit ergründen. Dann erst erlauben sie uns, mit ihnen umzugehen.

Sylvia Hagen trägt Gips auf ein Gerüst auf, das meist an den Enden der Gliedmaßen skeletthaft und funktionell sichtbar bleibt, umbröckelt von verflackernder Form. Es kommt zu Oberflächen, die das Ende einer Bewegung von innen her sind – aber oft schließen sie sich nicht; der Raum, die Umwelt, die Zeit haben den Körpern ihre Prägungen mitgegeben. »Welle II« (2014, Bronze) gleicht einer Felsformation, kaum als weiblicher Torso erkennbar, der sich über den Boden wölbt.

Ihre Figuren in Bronze, Ton und Terrakotta stellen sich in kraftvoller wie verzweifelter Selbstbehauptung dar.

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Wenn Sirenen doch eigentlich locken und einladen, dann ist die »Kleine Sirene« (2014, Terrakotta, engobiert) in ihrer versehrten Form wie zerfressen von der Zeit. Die innere Energie und organische Vitalität der Form, die Hohlformen und Durchbrüche, die den Raum durchstoßen, die Beziehungen zwischen inneren und äußeren Formen, die Verbindungen zwischen Skulptur und Landschaft können dabei immer wieder anders beobachtet werden.

Die Berliner Bildhauerin Christa Sammler war in den 50er Jahren Meisterschülerin bei Gustav Seitz. In Korrespondenz mit den Werken ihres Lehrers gibt sie einen Rückblick auf ihr bildhauerisches und zeichnerisches Werk. In früher Zeit modellierte sie Sinnlichkeit und Bewusstheit verkörpernde Mädchenfiguren (»Hemdausziehende«, 1958; »Liegende mit Apfel«, 1963), ohne erzählerische Momente ins Spiel zu bringen.

Vor allem in ihren Reliefs äußert sich ihre Beziehung zur Mittelmeerkunst, denn deren »Schönheit tröstet und beruhigt«, meint Sammler. »Ruhe, Trost und Freude brauchen wir.« Aus ganz unterschiedlichen Fundstücken, Eindrücken, Erlebnissen und Ermittlungen komponiert sie Werke, die eine stimmige Harmonie zwischen Kunst und Natur ausstrahlen.

So hat sie etwa aus von ihr wieder zusammengesetzten Glasscherben aus der zerstörten Berliner Nikolaikirche mit der reliefartigen Fayence »Berliner Stillleben IV« (1970) eine einheitliche, harmonische und doch rätselhafte Komposition geschaffen. In ganz anderer Weise setzt das Bronzerelief »Troja, Totenkopf im Helm« (1980) die Gegenwart in Analogie zur Antike.

Sylvia Hagen: Kleine Sirene (2014, Terrakotta)
Sylvia Hagen: Kleine Sirene (2014, Terrakotta)

Der Reliefzyklus »Mensch – Natur – Gesetze« (1986–1991), ein Auftragswerk für die Akademie der Wissenschaften, sucht wiederum in abstrahierender Weise der Wechselwirkung von Naturprozess und menschlichem Leben beizukommen. Dabei macht immer die – in Sammlers eigenen Worten – »Rückbesinnung als Engagement für das Heute« die so beziehungsreiche Formensprache dieser Künstlerin aus.

»Sylvia Hagen. Spuren: Bronze – Ton – Papier«, bis 22. Dezember, Schloss Neuhardenberg; »Christa Sammler bei Seitz. Verbundenheit in Kunst und Korrespondenz«, bis 23. Februar 2025, Gustav-Seitz-Museum, Trebnitz bei Müncheberg.

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