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Namaste, ey!

In den USA versuchen die Yogis gar nicht erst, authentisch zu wirken

Yoga, Gel-Nägel und Fast Food? In Texas eine nicht ungewöhnliche Kombination.
Yoga, Gel-Nägel und Fast Food? In Texas eine nicht ungewöhnliche Kombination.

Howdy aus Texas, liebe Lesende,

wann haben Sie zuletzt versucht, abzuschalten? Ich erst vergangenes Wochenende, als ich ein Sound-Bath-Seminar buchte. Dabei soll man unter Einfluss verschiedener Klänge (nicht Drogen), alles um einen herum vergessen, ja, gar Farben sehen, Chakren öffnen und Auren purifizieren, von denen man nicht wissen kann, ob es sie überhaupt gibt (obschon einige Hardcore-Yogis versuchen, sie zu fotografieren). Natürlich scheiterte das Unterfangen in typischer Talke-Manier: Ein Weib schlief gleich zu Beginn der Session ein, ehe die Yogalehrerin überhaupt begonnen hatte, auf ihre kleinen Metallschüsseln einzudreschen. Und dann schnarchte besagtes Weib drauflos, und zwar so laut wie ein alter Eber. Die Schnarchfrequenz und -dauer waren synchronisiert mit dem Sound Bath selbst  ̶  die Frau war im Einklang mit sich und ihrer Umgebung.

Talke talks

News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.

Von solch seligem Zustand war ich weit entfernt. Da ich mich wegen des Geräuschpegels partout nicht auf die angeblichen Heilklänge konzentrieren konnte, versuchte ich allerhand: Mir die Ohren zuzuhalten, etwas aufzustöhnen, um die Aufmerksamkeit der Lehrerin auf mich zu lenken, die Augen aufzuschlagen, in der Hoffnung, mit jemandem Augenkontakt aufzunehmen, der genauso genervt war wie ich. Vergeblich: Der ganze Raum schien mit geschlossenen Augen und offenen Chakren dazuliegen. Ich überlegte, aufzustehen und zu gehen, aber das erschien mir zu dramatisch, zu anti-namaste-ig. Also lag ich einfach da.

Ein Klangbad soll ja tiefenpsychologisch wirken und das tat es auch nach einer Weile. Das Geschnarche versetzte mich nämlich in andere Zeiten und Räume: eine Reise nach Prag vor vielen Jahren, auf der ich mir ein Zimmer mit meinen Eltern teilen musste, wo mein Vater sehr laut schnarchte. Ich lag die ganze Nacht wach und dachte daran, wie sehr mir mein damaliger Freund missfiel, wie unglücklich ich war. Dann dachte ich  ̶  also mein aktuelles, glücklicheres, aber drecksauriges Ich im texanischen Yogastudio  ̶  daran, wie gern ich jetzt in Prag wäre, aber nun mit meiner Tochter, der es sehr gefallen müsste. Überhaupt Osteuropa, das müsste sie sehen! Meine Geburtsstadt Sankt Petersburg ... Aber in Russland würde ich für meine Antikriegshaltung sofort festgenommen werden, wie diese arme russisch-amerikanische Frau, die ihre Großeltern besuchen wollte und nun zu zwölf Jahren Arbeitslager verurteilt worden ist wegen »Spionage«, also 50 Tacken, die sie mal an die Ukraine gespendet hatte. Danke für all die Trigger, Weib!

Als ich ein paar Tage später ins Yogastudio zurückkehrte, hörte ich die Lehrerin mit einer anderen Schülerin über die Schnarcherin lästern – sie hatte sie ja wecken wollen, wusste aber nicht genau, woher das Grunzen kam; die Schülerin dagegen wusste es. Der kollektive Zen-Zustand war also nur eine Show! Haben wir westlichen Yogis mit unserer gekünstelten Shaanti-Stimmung nicht alle etwas Public Shaming verdient? Schließlich ist Yoga weder eine amerikanische noch eine europäische Praxis, auch wenn Philosophen, Nazis und Okkultisten sie einst in den Westen importierten.

Meine deutschen Yogalehrerinnen versuchten noch, »authentische« Yogis zu sein. Sie waren alle mindestens einmal in Indien (ist das Kolonialisierung oder De-Kolonialisierung?), lebten meist vegan, zogen sich »traditionell« an (oder ist das kulturelle Aneignung?). Die amerikanischen Yogalehrerinnen versuchen dagegen, unauthentisch zu bleiben. Sie ziehen sich trendy-sportiv an, sprechen begeistert über westliche Laster wie Fast Food und Gel-Nägel und drehen beim Yoga die Mucke laut auf (von Mozart bis Lady Gaga habe ich in US-Yogastudios schon alles gehört, am passendsten finde ich noch Leonard Cohens »Hallelujah«). Der Clou dabei: Wir haben eine große indische Community in Texas! Einige unserer Lehrerinnen sind Inderinnen, die Schülerinnen ebenso. Aber statt von ihnen zu lernen, beugt man sich kollektiv der amerikanisierten Yoga-Version. Wohl, weil das Spirituell-Religiöse im Yoga vielen oberchristlichen Amis Angst machen würde. Dann könnten sie nicht mehr so friedlich dabei einschlafen.

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