Sachsens Linke: Leipziger Lebensversicherung zieht noch einmal

Jule Nagel und Nam Duy Nguyen retten mit ihren Direktmandaten der Partei die parlamentarische Existenz

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Neben (vermutlich) ihrer eigenen erhielt Jule Nagel 17 405 weitere Stimmen und eroberte das Direktmandat
Neben (vermutlich) ihrer eigenen erhielt Jule Nagel 17 405 weitere Stimmen und eroberte das Direktmandat

Leipzig wird gern als Heldenstadt bezeichnet. Der Titel bezieht sich auf die Rolle der Stadt und ihrer Bürger beim politische Umbruch im Herbst 1989 in der DDR. Er könnte allerdings auch als parteiinterner Ehrentitel in der Linken verliehen werden. Diese verdankt zum zweiten Mal ihren Verbleib in einem Parlament dem besonderen Wählerzuspruch in der sächsischen Großstadt. Bei der Bundestagswahl 2021 holte Sören Pellmann hier das dritte und entscheidende Direktmandat, das neben zwei Wahlkreisgewinnen in Berlin trotz verfehlter Fünfprozent-Hürde die fortgesetzte Präsenz im Berliner Parlament sicherte. Jetzt hat Die Linke in Sachsen erstmals im Osten die Marke auch bei einer Landtagswahl verfehlt, bleibt aber mit einer sechsköpfigen Mini-Fraktion im Dresdner Parlament vertreten – weil in Leipzig zwei Direktmandate gewonnen wurden. Damit zog erstmals überhaupt im Freistaat eine Klausel im Wahlgesetz, die eine entsprechende Hintertür in den Landtag öffnet. Sachsens Landeschefin Susanne Schaper erklärte, die Partei habe »eine letzte Chance bekommen«. Die müsse man nutzen.

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In Leipzig erwies sich zum einen Jule Nagel erneut als sichere Bank. Die 45-Jährige hatte bereits bei den Landtagswahlen 2014 und 2019 das Direktmandat im Leipziger Süden geholt und konnte dieses trotz des schlechten Laufs für die Partei und eines Neuzuschnitts des Wahlkreises, der auch konservative Gebiete am Stadtrand beinhaltet, verteidigen. Sie setzte sich mit 36,5 Prozent klar vor den Bewerbern von CDU und AfD durch. Nagel ist exzellent im Stadtteil vernetzt und bei vielen Veranstaltungen und Demonstrationen omnipräsent; das maßgeblich von ihr betriebene Büro Linxxnet gilt als Anlaufstelle für Antifagruppen wie Mieterinitiativen. Bei der Stadtratswahl im Juni erhielt sie so viele Stimmen wie kein anderer Bewerber. Wetten auf ihren erneuten Sieg im Wahlkreis Leipzig 4 hätten keinen hohen Gewinn eingetragen.

Gänzlich anders war die Ausgangslage im Wahlkreis Leipzig 1, der wegen des Bevölkerungszuwachses in der Stadt neu geschaffen wurde. Dort trat mit Nam Duy Nguyen für die Linke ein Bewerber an, der politisch in der Stadt bisher nicht in Erscheinung getreten und auch nicht im Stadtrat vertreten ist. Sein Ziel, das Direktmandat zu erobern, hielt selbst mancher in der eigenen Partei für überambitioniert und unrealistisch. Allerdings trug die professionell orchestrierte Kampagne, bei der Freiwillige aus der gesamten Bundesrepublik an rund 50 000 Wohnungstüren klingelten, überreiche Früchte. Nguyen brachte es gar auf 39,8 Prozent, satte 35 Punkte über dem Ergebnis der Partei im Land und immerhin 26 über dem in der Stadt Leipzig.

Die beiden Erfolge unterstreichen einmal mehr das enorme Gewicht, das Leipzig für die sächsische Linke hat. Dort erhielt sie die Zweitstimmen von 44 525 Wählern. Das sind 42,5 Prozent des landesweiten Zuspruchs von nur noch 104 888 Stimmen. Im Wahlkreis Leipzig 6 wurde sie sogar stärkste Kraft bei den Listenstimmen, was sonst in keinem der 60 sächsischen Wahlkreise gelang. Allerdings verfehlte der bisherige parlamentarische Geschäftsführer Marco Böhme das Ziel, auch dort ein Direktmandat zu gewinnen. Er unterlag der Grünenpolitikerin Claudia Maicher.

Dazu dürfte wie auch zu den Siegen von Nagel und Nguyen auch taktisches Verhalten von Wählern beigetragen haben. Unter anderem hatte die Organisaton Campact geraten, ihnen die Erststimme zu geben, um Grüne und Linke in den Landtag zu bringen. Die Empfehlung war nicht unumstritten und spitzte einen ohnehin erbitterten Konflikt zwischen beiden Parteien in der Stadt weiter zu. So wurde Nguyen von der grünen Bundestagsabgeordneten Paula Piechotta vorgeworfen, Wähler mit »Enkeltricks« zu täuschen. Die linke Studentenorganisation SDS, der Nguyen entstammt, rückte sie in die Nähe einer Sekte.

Dass die sächsische Linke ihre einzigen nennenswerten Erfolge in Leipzig verbucht, ist indes keine Bestätigung der These, sie sei nur noch eine Großstadtpartei. Zwar widmen sich Kandidaten wie Böhme und Nagel sehr stark etwa auch ökologischen Fragen. Zugleich betonen sie stets den sozialen Anspruch der Partei. Eines der wichtigsten Aktionsfelder von Nagel ist Politik für Mieter. Nguyen wiederum, der selbst oft berichtet, in Armut aufgewachsen zu sein, hatte im ersten Teil seiner Kampagne per Umfrage und auf Wählerversammmlungen die Bürger nach Themen befragt, die ihnen auf den Nägeln brennen. Auch dort ging es um Mieten, Lebenshaltungskosten und Nahverkehr. Nach seinem Wahlsieg erklärte er, die Linke wolle »eine Partei werden, die im Alltag der arbeitenden Menschen und Familien nützlich ist«. Er selbst will sein Gehalt als Abgeordneter deckeln.

Ob und was sich aus den erfolgreichen Leipziger Kampagnen für die übrige Partei lernen lässt, bleibt abzuwarten. Nguyen hatte erklärt, seine Kampagne sei »ein Lernlabor« für die Bundestagswahl 2025; viele Erfahrungen sollten verallgemeinert werden. Zunächst beginnt für ihn der Parlamentsalltag in einer Landtagsfraktion, in der die Leipziger Abgeordneten künftig mehr inhaltliches Gewicht haben dürften. Neben ihnen erhalten die Landeschefs Susanne Schaper und Stefan Hartmann, die bisherige Parlaments-Vizepräsidentin Luise Neuhaus-Wartenberg und der langjährige Fraktionschef Rico Gebhardt ein Mandat.

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