- Politik
- Linke Friedenspolitik
Die Linke steckt im Dilemma
nd-Serie »Die Linke – vorwärts oder vorbei?«: Der Frieden, die Zeitenwende und eine gespaltene Wählerschaft
Die Jahre und Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung waren sicherheitspolitisch geprägt von der Dominanz der USA und den Kriegen der Nato bzw. ihrer Mitgliedstaaten gegen Serbien, Afghanistan und den Irak, dem Kampf um die »neue Weltordnung«.
Die Linke war sich weitgehend einig, dass wir die Beteiligung der Bundeswehr an Kriegseinsätzen und Waffenexporte ablehnen, und hatte dabei beachtlichen Rückhalt in der Gesellschaft. Ehrlicherweise muss man auch einräumen, dass nicht alle, die den Afghanistan-Krieg abgelehnt haben, dies aus antimilitaristischen Erwägungen taten. Es gab immer auch die Stimmen, die fanden, dass »deutsches Steuergeld« nicht im Ausland eingesetzt werden sollte (»sollen die sich da unten doch die Köpfe einschlagen«), und jene, die genauso jede Form von Entwicklungszusammenarbeit kritisieren.
Diese Menschen versammeln sich heute zu großen Teilen bei der AfD und hinter ihrer vermeintlichen »Friedenspolitik«, die nationalistische Ansätze bedient und jeglicher internationalen Solidarität eine Absage erteilt. Aber ein Großteil der Ablehnung begründete sich durchaus aus einer friedenspolitischen Haltung und aus der jahrzehntelang gewachsenen Ablehnung von Militarismus, Aufrüstung und Kriegseinsätzen.
Die Kriege und Militäreinsätze, die mit der geopolitischen Neuordnung einhergingen und im Windschatten der US- und Nato-geführten Kriege stattfanden, waren medial und in der breiten Öffentlichkeit deutlich weniger präsent. Das ließ zu, dass sich Die Linke nicht explizit und konkret zur russischen Kriegsführung in Tschetschenien, Georgien und Syrien verhalten musste (was uns unter anderem in der syrischstämmigen Community bis heute zu Recht übel genommen wird). Selbst die Annexion der Krim 2014 hatte wenig Einfluss auf die sicherheitspolitische Debatte – zumindest in der breiten Öffentlichkeit.
Janine Wissler, Jahrgang 1981, ist seit 2021 Vorsitzende der Linkspartei. Über die WASG kam sie als Studentin zur Linkspartei, hatte seit 2007 Vorstandsämter und zog 2008 in den hessischen Landtag ein. Dort war sie von 2009 bis 2021 Vorsitzende der Linksfraktion und eine profilierte Kritikerin der CDU-geführten Landesregierungen. Seit 2021 gehört sie dem Bundestag an. Vor dem Hintergrund der Krise der Linken wird sie beim Parteitag im Oktober nicht mehr für den Vorsitz kandidieren.
Der hier veröffentlichte Text ist eine Passage aus einer ausführlichen Analyse, die sie im Linke-Onlinemagazin »Links bewegt« veröffentlichte.
Zum Weiterlesen: www.links-bewegt.de
Das war mit dem Beginn des Ukraine-Krieges vorbei, und Die Linke, ebenso wie die anderen Parteien und die Friedensbewegung, waren mit tiefgreifenden Fragen konfrontiert, die alte Gewissheiten erschütterten und zu Brüchen führten.
Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine – auch in Verbindung mit einer möglichen Wiederwahl Trumps, der den »Schutz Europas durch die Nato« infrage stellt – und durch die Rhetorik von der Zeitenwende hat sich die gesellschaftliche Stimmung auch in dieser Frage verändert. Aufrüstung und Waffenlieferungen stoßen auf größere Zustimmung als zuvor. Die Erzählung von der angeblich »kaputtgesparten« Bundeswehr hat stark verfangen – trotz seit Jahren steigender Rüstungsausgaben und einem Verteidigungshaushalt auf Rekordniveau. Laut aktuellem Politbarometer sind 52 Prozent der Befragten der Meinung, dass die Bundesregierung für die Finanzierung der Bundeswehr zu wenig tut, 31 Prozent sagen, das sei »gerade richtig« und lediglich 11 Prozent finden, dass zu viel Geld für die Bundeswehr ausgegeben wird – stimmen also mit unserer Position überein.
Bundesverteidigungsminister Pistorius, der von »Kriegstüchtigkeit« spricht, massiv aufrüsten will, die Marine ins Rote Meer schickt und die Wehrpflicht wiedereinführen möchte, ist aktuell der beliebteste Politiker in Deutschland. Zur Erinnerung: Horst Köhler musste vor 14 Jahren als Bundespräsident zurücktreten, weil er geäußert hatte, dass man Handelswege auch militärisch schützen müsse.
Bei der Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine und zum Umgang mit Russland geht ein Riss durch die Gesellschaft, insbesondere zwischen Ost und West. Während im Osten Deutschlands die Tradition der deutsch-sowjetischen bzw. deutsch-russischen Freundschaft tief verankert ist, steht der Westen in der Tradition der (transatlantischen) Westbindung. Die Linke steht damit vor einem Dilemma: Was in einem Teil Deutschlands Unterstützung findet, kostet im anderen Teil Zustimmung. Auf die Frage, warum Menschen Die Linke nicht wählen, wird laut Umfragen immer wieder auf die Außenpolitik verwiesen. So falsch es wäre, inhaltliche Positionen nach Umfragen und Mehrheiten auszurichten, so ist es wichtig, uns dieser empirischen Befunde bewusst zu sein, um Strategien zu entwickeln, wie wir damit umgehen.
Dabei geht es nicht nur um die öffentliche Ansprache, sondern auch darum, dass wir eine profunde Imperialismus-Analyse auf der Höhe der Zeit entwickeln müssen, die die veränderten Kräfteverhältnisse, die geopolitischen Interessenslagen der Akteure und neue Blockkonfrontationen berücksichtigt. Unsere außenpolitischen Grundsätze müssen erstens frei von Loyalitäten gegenüber imperialistischen Staaten sein und zweitens Frieden, Abrüstung und die Einhaltung der Menschenrechte zum universalen Anspruch erklären. Das imperialistische Agieren Russlands als solches zu benennen und zu verurteilen, verortet uns weder aufseiten der Nato, noch macht es die Kritik an ihr obsolet. Es ist keine Relativierung des westlichen Imperialismus und von Kriegen, wenn man feststellt, dass auch andere Staaten ihre wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen aggressiv und militärisch umsetzen.
Die Linkspartei steckt tief in der Krise, braucht neues Führungspersonal und dringend einen neuen Aufbruch. Aber wie und wohin? »nd« startet eine Debattenserie über Probleme und Perspektiven: »Die Linke – vorwärts oder vorbei?« Alle Texte der Serie finden Sie hier.
Ich halte es für zwingend notwendig, dass Die Linke an ihrer grundsätzlichen Kritik an der Nato, an Aufrüstung, Waffenexporten und der Ablehnung von Bundeswehreinsätzen festhält – gerade jetzt angesichts der beispiellosen Aufrüstung und der angekündigten Stationierung von US-Langstreckenraketen. Das sollten auch weiterhin unsere Leitplanken sein, aber »Nein zu …« ist keine Antwort auf die drängenden Fragen, die sich viele Menschen stellen.
Ein öffentliches und politisches Fiasko, das uns massiv Vertrauen gekostet hat, war das Abstimmungsverhalten der Linksfraktion zu Afghanistan vier Wochen vor der Bundestagswahl 2021. Unsere Abgeordneten haben mit Zustimmung, Ablehnung und Enthaltung votiert – und das dann noch teilweise mit gegenseitigen Unterstellungen öffentlich begründet. Die erwartbaren Interpretationen dazu haben die große Zustimmung, die wir 20 Jahre lang mit unserer Haltung zum Afghanistan-Einsatz aufgebaut haben, von heute auf morgen in weiten Teilen zunichtegemacht.
Gerade zu Beginn des Ukraine-Krieges ist – trotz anderslautender Parteibeschlüsse – der fatale Eindruck entstanden, wir als »Friedenspartei« würden mit zweierlei Maß messen. Dieser wurde erweckt durch Aussagen insbesondere ehemaliger Abgeordneter der Linken, die den Angriff Russlands nicht verteidigten, aber ihn auch nicht mit der gleichen Schärfe kritisierten wie zuvor die Kriege der Nato. Das hatte für viele den Anschein einer Relativierung und fehlender Empathie, was uns angesichts des Grauens durch den russischen Überfall massiv Glaubwürdigkeit gekostet hat.
Es gibt immer wieder den Vorwurf, Die Linke habe sich in der »Friedensfrage« nicht deutlich positioniert und sei zu wenig wahrnehmbar gewesen. Der Parteivorstand, der Parteitag und wir als Parteivorsitzende haben uns immer klar gegen Waffenlieferungen und für eine Verhandlungslösung ausgesprochen und das auch immer öffentlich so vertreten. Zu keinem Thema war ich in den letzten zweieinhalb Jahren häufiger in Talkshows und anderen Fernsehformaten, dort wurden wir eingeladen, weil wir diese Gegenposition vertreten haben.
Richtig ist aber: Es gab öffentlich wahrnehmbare Stimmen – von Bundestagsabgeordneten und aus den Ländern, die sich zum Thema Waffenlieferungen an die Ukraine zustimmend positioniert haben.
Diese Differenzen waren auch auf den Parteitagen erkennbar und in den Begründungen der Parteiaustritte kurz nach Beginn des Krieges. Während die einen schrieben, wir seien als Friedenspartei zu wenig erkennbar und würden Waffenlieferungen nicht entschieden genug kritisieren, traten andere aus, weil wir zu wenig solidarisch mit der Ukraine seien und weil wir Waffenlieferungen ablehnen.
Der Krieg gegen die Ukraine hat auch die Friedensbewegung gespalten und lange gewachsene Bündniskonstellationen gesprengt. Ein Beispiel: Jahrzehntelang wurde gegen die Münchner Sicherheitskonferenz demonstriert, ein breites Bündnis rief alljährlich zu den Protesten auf. Nach Beginn des Ukraine-Krieges zerbrach das Bündnis und es gab in den letzten Jahren bis zu vier verschiedene Aufrufe und Kundgebungen in München, weil man sich nicht auf gemeinsame Aussagen zum Angriff Russlands verständigen konnte.
Beim Gaza-Krieg gibt es ein ähnliches Bild: Es gab Austritte, weil wir zu wenig solidarisch mit Israel seien, und – aus meiner Wahrnehmung – deutlich mehr, weil wir den Gaza-Krieg nicht klar genug verurteilen und thematisieren würden. Ich kann letztere Kritik nachvollziehen – angesichts der grauenvollen Bilder aus Gaza und angesichts von 40 000 Toten. Obwohl es gelungen ist, Beschlüsse mit breiter Mehrheit zu fassen (sofortiger Waffenstillstand, Freilassung der Geiseln, Stopp der deutschen Waffenlieferungen nach Israel, Zweistaatenlösung), waren wir wenig wahrnehmbar – aufgrund der Zerrissenheit und der Spaltungslinien, die es in der Nahost-Frage seit Jahrzehnten in linken Strukturen gibt.
Wie also umgehen mit dem Dilemma einer gespaltenen Wählerschaft und internen Differenzen?
Im Europawahlkampf haben wir versucht, stärker auf Themen zu setzen, bei denen wir höhere Kompetenzzuschreibungen haben und die Menschen als Gründe angeben, um uns zu wählen. Das war in der Realität aber nicht durchzuhalten, die Wirklichkeit im Wahlkampf sah anders aus, weil die bestimmenden Fragen andere waren.
Für den kommenden Bundestagswahlkampf ist es deshalb meiner Meinung nach zentral, dass wir beim Thema Frieden die Forderungen, bei denen Einigkeit besteht, nach vorne stellen: keine Aufrüstung; keine Erhöhung des Rüstungsetats; keine Stationierung von US-Raketen; Stopp von Rüstungsexporten; und unser Widerstand gegen die Pläne, die Wehrpflicht wiedereinzuführen.
In der nd-Serie »Die Linke – vorwärts oder vorbei?« erschien zuletzt: »Gegen rechte Ideen helfen nur linke« von Thomas Goes (»nd.DerTag« 27.8.).
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.