Hospize und Wohnungslosigkeit: Ohne Obdach auf dem letzten Weg

Wohnungslose können häufig nicht palliativ versorgt werden

Sterben ohne Würde: Ohne einen Platz in einem Hospiz müssen unheilbar kranke Obdachlose ihre letzten Tage in Notunterkünften verbringen.
Sterben ohne Würde: Ohne einen Platz in einem Hospiz müssen unheilbar kranke Obdachlose ihre letzten Tage in Notunterkünften verbringen.

Als die schwere Lungenkrankheit diagnostiziert wird, ist es für Mohammed schon zu spät. Zu weit ist die Krankheit bei dem Mann Ende 30 schon fortgeschritten, als dass noch Hoffnung bestehen würde. Mohammed lebt auf der Straße, meist hält er sich an S-Bahnhöfen auf. Behörden und Ärzten begegnet er mit Misstrauen. Über Wochen haben Sozialarbeiter Mohammed zuvor mühsam überzeugt, sich zumindest einer Untersuchung zu unterziehen.

Damit beginnt erst der Leidensweg. Die Sozialarbeiter versuchen, eine palliative Versorgung für Mohammed zu finden. Doch weil er weder kranken- noch pflegeversichert ist, ist das Verfahren kompliziert. Über Monate ziehen sich die Briefwechsel hin, auch weil der schwerst heroinabhängige Mohammed zeitweise für die Behörden nicht auffindbar ist. Erst nach langer Zeit wird eine Finanzierung gefunden. Zumindest die letzten zwei Wochen seines Lebens kann Mohammed so noch im Hospiz verbringen.

Für Theresa Fuchs ist dieser Fall symptomatisch für Wohnungslose, die auf palliative Versorgung angewiesen sind. Die fachliche Leiterin der Koordinationsstelle zur Versorgung Obdachloser mit lebensbegrenzender Erkrankung (Kowohl) bei der Stadtmission berichtet am Montag vor dem Gesundheitsausschuss des Abgeordnetenhauses über Mohammeds Geschichte. Der Fall zeige, wie schwer es für Obdachlose sein kann, Zugang zu sterbebegleitender Pflege zu erhalten. »Der Fall zeigt aber auch, dass es prinzipiell möglich ist, die Betroffenen in eine adäquate Versorgung zu bekommen«, sagt Fuchs.

Vor allem bürokratische Hürden erschwerten Wohnungslosen den Zugang zu einer angemessenen Pflege, sagt Fuchs. Häufig seien bei Anträgen verschiedene Rechtsbereiche betroffen. Zwar gelinge es häufig relativ schnell, die zuständige Behörde auszumachen. »Aber bis die Anträge abschließend bearbeitet werden, vergeht oft extrem viel Zeit«, so Fuchs. Dadurch entstehe eine Versorgungslücke. »Bis die Anträge bewilligt sind, leiden die Menschen unter der Unterversorgung«, sagt Fuchs. »Teilweise versterben die Menschen dann auch in der Zwischenzeit.«

Wie viele Wohnungslose auf palliative Pflege angewiesen sind, kann Fuchs nicht sagen. »Wir können uns dem nur indirekt nähern«, sagt sie. Man wisse, dass in der Gesamtbevölkerung zehn bis 20 Prozent der Menschen am Lebensende eine spezielle palliative Versorgung benötigen. Alles spreche dafür, dass dieser Wert unter Obdachlosen noch höher sei. Denn Wohnungslose seien häufiger mit gesundheitlichen Problemen konfrontiert. Eine Studie in Großbritannien habe gezeigt, dass das durchschnittliche Sterbealter bei obdachlosen Männern bei 47 Jahren liege, bei obdachlosen Frauen bei 43 Jahren.

Sebastian Stein kennt die Probleme aus nächster Nähe. Er ist der sozialarbeiterische Leiter beim Haus Hebron, einer Unterkunft für gesundheitlich beeinträchtigte Wohnungslose. »Wir treffen auf sehr spezifische Versorgungsbedarfe«, sagt er. »Von Wohnungslosigkeit Betroffene sind signifikant häufiger von bestimmten Krankheiten betroffen.« Dass Menschen suchterkrankt sind oder mit psychischen Krankheiten wie Schizophrenie zu kämpfen haben, sei eher die Regel und nicht die Ausnahme. Dazu kämen körperliche Gebrechen, die mit dem Leben auf der Straße einhergehen: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die Lungenkrankheit COPD oder körperliche Einschränkungen. Allein ein Drittel seiner Klienten sei auf einen Rollstuhl angewiesen, so Stein.

»Es gibt keine überbrückende Institution, die sich des Problems annehmen könnte.«

Theresa Fuchs Berliner Stadtmission

150 Menschen werden insgesamt im Haus Hebron versorgt, drei von ihnen palliativmedizinisch. »Für mehr reichen die Kapazitäten nicht aus«, sagt Stein. Sterbebegleitende Pflege sei in der Regel aufwendig. »Menschen, die sich am Lebensende befinden, können oft nichts mehr selbst machen«, so Stein. Dann benötigen sie Unterstützung beim Aufstehen, bei der Nahrungsaufnahme und der Körperpflege. Bis zu zehn Mal müssten Palliativversorgte am Tag auf ihren Zimmern besucht werden. Mit dem vorhandenen Personal sei das schwer zu leisten, zumal im Pflegeberuf Fachkräftemangel vorherrsche. Manche Anträge müsse die Einrichtung daher ablehnen.

»Was wir machen, funktioniert nur mit Partnern«, sagt Stein. Im Haus Hebron gebe es einen Arzt und eine Suchtambulanz, dazu kommen Physiotherapeuten und Pflegedienste, die mit dem Haus kooperieren. Auch ein ambulanter Hospizdienst gehört zu den Partnern. »Das ist unser Geheimnis: Wir versuchen, alles im Haus zu machen«, sagt Stein. Das senke die Barrieren der Betroffenen, Hilfe anzunehmen.

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»Es gibt keine überbrückende Institution, die sich des Problems annehmen könnte«, sagt Theresa Fuchs von der Stadtmission. Daher sei es wichtig, dass die Zusammenarbeit zwischen Wohneinrichtungen, Pflegediensten und Hospizen gestärkt werde. Auch dann herrsche aber noch Platzmangel: »Die Kapazitäten sind einfach viel zu begrenzt.« Zudem würden die Bedarfe häufig nicht erkannt oder nicht erfasst. Denn bei der Aufnahme in ein Wohnheim werden im Regelfall nur die notwendigen Daten erhoben. Um die medizinischen Bedürfnisse der Wohnungslosen besser zu registrieren, hat ihre Koordinierungsstelle einen Fragebogen entwickelt, den Wohneinrichtungen bei der Aufnahme nutzen können.

Eine übergreifende Institution existiert eigentlich schon: die Clearingstelle für Menschen ohne Krankenversicherung. Hier sollen Betroffene beraten werden und nach möglichen Kostenträgern für notwendige Behandlungen gesucht werden. Die Clearingstelle sei zuletzt finanziell besser ausgestattet worden, sagt Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD). Dies müsse in den kommenden Haushaltsverhandlungen verteidigt werden. Allerdings stößt auch diese Institution an ihre Grenzen. »Die Clearingstelle kann die Bearbeitungszeit in den Sozialämtern auch nicht beschleunigen«, sagt Theresa Fuchs von der Stadtmission.

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