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»Wir sind die letzte Generation der Maya«
Der Schweinefleischproduzent Kekén bedroht indigene Dörfer auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán
Eine staubige Straße führt aus dem kleinen mexikanischen Dorf Santa Maria Chí auf ein unscheinbares Tor zu. Wenn der laue Wind die tropische Luft in die richtige Richtung weht, hört man wildes Schweinequieken, und der Geruch von tierischen Exkrementen steigt einem in die Nase. Vor dem geschlossenen Tor steht ein mit Transparenten behängter Pavillon in dessen Schatten sich mehr als zwanzig Bewohner*innen der ländlichen Maya-Gemeinde im Herzen der mexikanischen Halbinsel Yucatán drängen. Einige Personen berichten von ihren Erlebnissen und dem Kampf der letzten Monate gegen den Schweinefleischproduzenten Kekén, dem die Farm hinter dem Fabriktor gehört. Fotos und Grafiken werden herumgereicht, um die Dringlichkeit ihres Anliegens und die massiven Umweltzerstörungen durch das Unternehmen zu verdeutlichen.
Bis vor einem Jahr fuhren von hier aus täglich Lastwagen der Firma durch das Dorf, beladen mit Schweinen, die sie ins Schlachthaus brachten. Doch seit Mai 2023 bleibt dieses Tor geschlossen. Die Bewohner*innen des 400-Seelen-Dorfes hatten dort, wo die Dauerkundgebung stattfindet, eine Blockade errichtet, die den Zugang zum Schweinestall versperrt. Es ist nur ein kleiner Erfolg. Die Menschen, mit denen wir sprechen, machen sich keine großen Hoffnungen darauf, Kekén vertreiben zu können. Aber jetzt müssen die Schweinetransporter zumindest einen anderen Weg zur Farm nehmen – um das widerständige Dorf herum.
Gründe für den anhaltenden Protest haben die Bewohner*innen viele. Die Mastanlage mit seinen rund 60 000 Schweinen verschmutzt die Umwelt; die gesundheitlichen und sozialen Folgen für die Anwohner*innen sind verheerend. Zwar garantiert die mexikanische Verfassung das Recht auf eine saubere und gesunde Umwelt. Doch korrupte Behörden und Politiker*innen ließen diese Verstöße nicht nur zu, sondern seien teilweise direkt in die Geschäfte von Kekén verwickelt, berichtet Wilberth Alfonso Nahuat Puc, der Ortsvorsteher von Santa Maria Chí.
Die Behörden schafften die Grundlage für das Fortbestehen und den Ausbau der riesigen Mastställe, beschwert er sich. Sie hätten dafür weitere Genehmigungen und Produktionsflächen bereitstellt und zugleich die Kontrollen zur Rechtmäßigkeit der Fleischproduktion unterlassen. Bewohner*innen haben im vorigen Jahr zwei Klagen gegen das Unternehmen Kekén eingereicht. In einem Fall wurde mittlerweile entschieden, dass wegen der vielen Umweltschäden der Betrieb der Anlage eigentlich eingestellt werden müsste. Doch die Anwohner*innen berichten von einem Business as usual. Die Ferkel werden weiterhin bis zur Schlachtreife gehalten und dann zum Schlachthof gebracht.
Die Grundlage für die Massentierhaltung auf Yucatán wurde vor dreißig Jahren geschaffen. Mit dem Inkrafttreten des nordamerikanischen Nafta-Freihandelsabkommens zum Jahresbeginn 1994 fand eine tiefgreifende Umstrukturierung des Agrarsektors in Mexiko statt. Vor allem die Schweinefleischproduktion expandierte. Angetrieben durch eine global steigende Nachfrage nach Fleisch und angelockt durch fehlende Umweltregulierungen, günstige Arbeitskräfte und reichlich verfügbare Ressourcen, strömen seit Mitte der 1990er-Jahre Agrarkonzerne nach Mexiko. Kleinbäuerliche Betriebe, die einst die Fleischproduktion dominierten, wurden bis zur Jahrtausendwende fast vollständig verdrängt.
In Yucatán hat sich Kekén, was auf der Sprache der indigenen Maya »Schwein« bedeutet, angesiedelt. Heute zählt die Unternehmensgruppe zu den größten Schweinefleischproduzenten weltweit. Laut der Umweltorganisation Greenpeace generiert Kéken rund ein Drittel seines Umsatzes auf den Märkten der USA, Chinas und Japans. Das Unternehmen rühmt sich damit, Mexikos größter Schweinefleischexporteur zu sein. Die guten Fleischstücke verkauft es im Ausland, minderwertiges Fleisch kommt dagegen in Mexiko über die firmeneigene Kette »Maxi Carne« auf den Markt. Gleichzeitig berichten Beschäftigte von unsicheren Arbeitsverhältnissen, mangelndem Arbeitsschutz und Löhnen, die oft unter dem nationalen Mindestlohn liegen.
Die Ausweitung der Schweinefleischproduktion ist Teil einer umfassenden industriellen Erschließung Yucatáns. Dazu zählt auch die Ausweitung des Massentourismus, des Immobiliensektors und die Umsetzung von riesigen Infrastrukturprojekten, wie den Tren Maya. Eine immer größere Anzahl an Unternehmen eignet sich vor allem in den indigenen Territorien nicht immer legal Ressourcen, Land und Arbeitskräfte an. Auch in der Gemeinde Santa Maria Chí. Viele Anwohner*innen lehnen diese Entwicklung ab und sprechen von einem Ökozid.
Ein Teilnehmer der Dauermahnwache führt in seinen Garten, der direkt an das Fabrikgelände grenzt: Die Blätter der Zitronenbäume sind von schwarzen Flecken übersät, und der Ceiba-Baum, der für viele Maya heilig ist, ragt kahl und grau im Sonnenlicht empor. Das Wasser aus dem Brunnen ist trüb und riecht unangenehm nach Exkrementen. Man erzählt uns, dass Kekén einen Brunnen für das Trinkwasser der Schweine gebohrt hat, der mit seinen 40 Metern Tiefe viel saubereres Wasser fördert als der Brunnen, aus dem die Gemeinde ihr Wasser bezieht. Der messe nämlich nur 18 Meter, und in dieser Tiefe sei das Wasser längst durch die Farm verschmutzt.
In der sengenden Nachmittagshitze berichten die Bewohner*innen, wie sich seit etwa zehn Jahren die Dürre auf ihrem Land ausgebreitet hat. Das sei eine direkte Folge der massiven Entnahme von Grundwasser für die Schweinefleischproduktion. In den letzten Jahren haben Luft- und Wasserverschmutzung das ohnehin angeschlagene Ökosystem weiter belastet. Vor allem die Zitrusfrüchte kommen damit nicht zurecht. Die Krankheiten und das Sterben der Pflanzen haben weitreichende Auswirkungen auf die Natur: Noch vor einem Jahrzehnt hätte das Dorf sechs Fässer Honig pro Saison produzieren, erzählen die Bewohner*innen. Heute seien es nur noch wenige Gläser.
Auch die Gesundheit der Menschen leidet unter der Situation. Die Luftverschmutzung durch die Farm verursacht Atemwegserkrankungen. Die Bewohner*innen berichten, wie sie zusätzlich mit Plagen von Mücken und Fliegen konfrontiert seien und täglich den Gestank aushalten müssten.
Während die Regierung immer wieder versichert, die Grenzwerte würden eingehalten, zeichnet eine Studie der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko (Unam) aus dem Jahr 2023 ein anderes Bild: Im Grundwasser zeigt sich demnach eine alarmierend hohe Konzentration von Chlor und anderen toxischen Substanzen.
Für die Behauptung, die Mastanlagen würden die wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben und Geld in die Region spülen, haben die Bewohner*innen nicht allzu viel übrig: »Nicht nur die Alten werden krank, sondern auch die Kinder. Wenn wir alle krank sind, was haben wir dann vom Geld?«, sagen sie.
Mit der Ausbeutung der indigenen Bevölkerung und der Zerstörung ihres Territoriums sowie den Auswirkungen der Schweinefleischproduktion auf Yucatán beschäftigt sich auch Daniel Inclán mit seiner Forschungsgruppe an der Universität Unam: Die Aktivitäten von großen Unternehmen wie Kekén setzen schleichende und wenig sichtbare Prozesse der Gewalt in Gang, lautet eine Analyse der Gruppe. »Gewalt ist kein singulärer Akt, sondern ein Prozess, dessen Kern die künstliche Herstellung von Unterschieden ist, die sich in Körpern ausdrücken«, sagt Inclán. Natsumi Tanamachi von der Forschungsgruppe fügt hinzu: »Der Kapitalismus braucht neue Felder der Akkumulation.« Das Agrobusiness sei eines davon. Die Unterwerfung von Land und Arbeitskräften, von der die Dorfbewohner*innen in Santa Maria Chí berichten, korrespondiert also mit den globalen Prozessen der Kapitalakkumulation und dient letztlich der Stabilisierung der Marktwirtschaft.
Auch wenn das lokale Ökosystem auf Dauer gestört und die Gesundheit der Bewohner*innen langfristig angegriffen ist, wehrt sich die kleine Gemeinde weiter mit Straßenblockaden und Klagen gegen den bereits angerichteten Schaden. Dieser betrifft nicht nur die Umwelt und die Gesundheit der Anwohner*innen, sondern auch ihre kulturelle Identität, die durch die wirtschaftliche Entwicklung immer mehr in Bedrängnis gerät. William Nahuat Chale, ein älterer Mann mit blauer Kappe, redet viel und erregt über die Kämpfe der Gemeinde.
Er spreche noch ein bisschen Maya, erzählt er, aber die Jüngeren würden es gar nicht mehr lernen – auch weil es nicht in der Schule oder durch den Staat gefördert wird. Seine Frau ergänzt: »Unsere Kinder ziehen alle weg, und damit geht die Kultur verloren.« Viele nicken in der Runde und stimmen dem Gesagten zu. Trotz allem geben sie sich kämpferisch: »Wir sind die letzte Generation von Mayas der Region«, sagt William. »Wir werden getötet durch die Aktivitäten von Kekén.« Und er fragt sich: »Was kommt danach, wenn wir gegangen sind?«
»Wenn wir alle krank sind, was haben wir dann vom Geld?«
Bewohner*innen von Santa Maria Chí
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