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Starmer macht auf Churchill
Großbritanniens neuer Premier schwört das Land auf wirtschaftlich schwierige Zeiten ein
Es war ein sonniger Tag mit trüben Aussichten. Großbritanniens Premier Keir Starmer stand im lauschigen Rosengarten seiner Amtsresidenz und bereitete die Briten auf schwere Zeiten vor. »Es wird schlimmer werden, bevor es besser wird«, sagte er in seiner ersten großen Rede an die Nation Ende August. Auf kurze Frist müsse die Bevölkerung »Schmerzen« ertragen, und der Premierminister werde ihr »einiges abverlangen«.
Nicht einmal zwei Monate ist es her, dass Starmer die Regierungsgeschäfte aufnahm und jenen Neustart ankündigte, auf den so viele Briten gewartet hatten. Schon damals hatte er gewarnt, dass die Erneuerung des Landes nicht per Knopfdruck geschehe. Aber jetzt klang der Premierminister noch ein Stück pessimistischer – und viele Briten fragen sich: Wann wird denn der Wandel, für den wir gestimmt haben, endlich kommen?
Das Fundament muss gefixt werden
Starmer äußerte keine Details, welche Entscheide bevorstehen. Diese werden erst Ende Oktober bekanntgegeben, wenn Finanzministerin Rachel Reeves ihren Haushaltsplan vorlegt. Aber Experten in Westminster sind sich einig, dass es wohl auf Steuererhöhungen und öffentliche Einsparungen hinauslaufen wird. Starmer nennt einen klaren Grund, warum das alles nötig sei: die Misswirtschaft der Tories. Der Zustand des Landes sei »schlimmer, als wir es uns jemals hätten vorstellen können«, sagte er. Konkret: In den öffentlichen Finanzen klaffe ein Loch im Umfang von 22 Milliarden Pfund. Dies zu stopfen, sei entscheidend, um den dauerhaften Aufschwung herbeizuführen. »Fixing the Foundations«, so lautet der Slogan, der am Rednerpodest im Rosengarten prangte – das Fundament reparieren.
Von der politischen Warte aus gesehen leuchtet Starmers Ansatz ein, zumindest auf kurze Frist. Er ist nicht der erste Regierungschef, der unbeliebte Entscheide rechtfertigt, indem er auf den von der Vorgängerregierung geerbten Schlamassel verweist. Aber was die längerfristige Strategie betrifft, könnten so neue Probleme entstehen. Schon vor dem Regierungswechsel haben Ökonomen gewarnt, dass Labours fiskalische Regeln zu strikt seien – die Partei hat sich im Prinzip selbst eine Schuldenbremse auferlegt. Diese Richtlinie könnte »das Wirtschaftswachstum hemmen, indem es wenig konstruktive Beschränkungen der öffentlichen Investitionen vorschreibt«, so schrieb das National Institute of Economic and Social Research.
Dass staatliche Investitionen bitter nötig wären, haben in den vergangenen Jahren unzählige Studien und Analysen gezeigt – vom Gesundheitswesen bis zu Schulen und Wohnungsbau. Der Ökonom David Blanchflower, ehemaliges Mitglied des geldpolitischen Ausschusses der britischen Notenbank, schrieb vor einigen Tagen auf der Platform X: »Starmer hat sich entschieden, den Briten das Leben schwerer zu machen, und zwar nicht aufgrund ökonomischer Notwendigkeit, sondern freiwillig.«
Starmer spart sich in die Krise
Im »New Statesman« schreibt der Kommentator Lewis Goodall, dass Labour gar nicht erst versuche, Partei zu ergreifen für »das ökonomisch solide Prinzip, sich zu verschulden, um zu investieren – trotz der knarzenden und zunehmend zweitklassigen Infrastruktur«. Starmer habe keine Theorie, wie der versprochene Wandel zu erreichen sei. »Er sagt, wir brauchen eine Expansion, verfolgt aber eine Politik der Kontraktion«, so Goodall.
Kritik an der drohenden Sparpolitik hat es auch von den Gewerkschaften gegeben. Zwar ist das Verhältnis zwischen der neuen Regierung und den Arbeitnehmerorganisationen deutlich besser als zu Tory-Zeiten – was kaum verwundert, schließlich wurde Labour vor über 100 Jahren als Vertreterin der organisierten Arbeiterschaft gegründet; noch heute zählen die Gewerkschaften zu den wichtigsten Geldgebern der Partei. Dennoch wollen sie der Starmer-Regierung keinen Blankoscheck geben. Insbesondere hat die Vorsitzende der größten Gewerkschaft, Unite, den Premierminister kritisiert. Starmers »düstere Visionen« seien fehl am Platz, sagte Sharon Graham. »Großbritannien ist in einer Krise, ja. Aber zu sagen, es ist kein Geld da, um unsere Industrie und Infrastruktur wiederaufzubauen und unsere öffentlichen Dienste auf Vordermann zu bringen, ist schlichtweg falsch.« Sie forderte eine Steuer für Reiche und große Firmen, um die Lücke in den öffentlichen Finanzen zu füllen.
Ein Blick in die Umfragen zeigt, dass die breitere Bevölkerung auch nicht gerade begeistert ist von Starmer. Laut einer neuen Erhebung des Instituts You Gov ist der Anteil der Wähler, die ein schlechtes Bild haben von der Regierung, innerhalb eines Monats von rund 30 Prozent auf über 50 Prozent angestiegen. Auch die persönlichen Beliebtheitswerte des Premierministers sind mies; nach einem kurzweiligen Popularitätsschub infolge seiner entschlossenen Antwort auf die Krawalle Anfang August sind sie auf ein Rekordtief gesunken.
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