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Großer Umbau in Selenskyjs Kabinett
In der Ukraine wird das Kabinett umgebaut, mehrere Minister sind zurückgetreten
Sieben auf einen Streich. In der Ukraine hat fast die Hälfte des Kabinetts seinen Rücktritt eingereicht. Am Dienstag und Mittwoch baten Dmytro Kuleba (Außenminister), Denys Maljuska (Justiz), Olexaner Kamyschin (Industrie), Ruslan Strilez (Umwelt), Olha Stefanischyna (europäische Integration), Iryna Wereschtschuk (Wiedereingliederung besetzter Gebiete) und Vitali Kowal (Leiter des staatlichen Vermögensfonds) handschriftlich um ihre Entlassung aus dem Amt.
Der ungewöhnliche Schritt, so viele Minister auf einen Schlag auszutauschen, war bereits am Dienstag angekündigt worden. »Morgen erwartet uns ein Tag der Entlassungen, und übermorgen ein Tag der Ernennungen«, kündigte der Fraktionsvorsitzende der Präsidentenpartei Diener des Volkes, Dawyd Arachamija, auf Telegram an.
Monatelange Spekulation über Kulebas Abtritt
Für Aufmerksamkeit sorgt vor allem der Rückzug von Außenminister Kuleba. Seit 2020 war der 43-Jährige Chefdiplomat der Ukraine. Gründe für seine Demission wurden bisher offiziell nicht benannt. Kuleba war vor allem im Ausland beliebt. Mit entsprechendem Bedauern reagierte etwa Bundesaußenministerin Annalena Baerbock auf den Rücktritt des Amtskollegen und erinnerte auf der Kurznachrichtenplattform X an die gemeinsame Arbeit.
In der Ukraine selbst gab es allerdings schon länger Spekulationen über seinen Abtritt, seit März gab es immer wieder dementsprechende Gerüchte. So hatte ein hochrangiger Mitarbeiter im ukrainischen Präsidialamt kürzlich gegenüber der Nachrichtenagentur AFP die Arbeitsweise des von Kuleba geführten Ministeriums kritisiert. Auf X schreibt der Journalist Denis Trubetskoy, dass die Lage in vielen Botschaften und Konsulaten nicht rosig sei und berichtet von Vorwürfen gegen Kuleba, er sei passiv gewesen. Ukrainischen Medien zufolge soll Kuleba durch seinen bisherigen Stellvertreter Andrij Sybiga ersetzt werden, einen ehemaligen Vize-Leiter des Präsidialamts.
Regierungsumbau im Westen mit Skepsis betrachtet
Wirbel könnte es um die Neubesetzung des Justizministeriums geben. Seit Monaten wird spekuliert, die nun ebenfalls ihres Amtes entbundene Europa-Integrationsministerin Olha Stefanischyna könnte Maljuska ersetzen. Gegen die 38-Jährige wird zurzeit wegen Korruption ermittelt. Sollte Stefanischyna wirklich Justizministerin werden, würde das Ministerium von einer mutmaßlichen Verbrecherin geführt.
Der Austausch dürfte der vorläufige Endpunkt von Präsident Wolodymyr Selenskyjs Regierungsumbau sein. Bereits im April und Mai mussten mehrere Regierungsmitglieder gehen. Aus Protest gegen die Arbeitsbedingungen legte damals zudem der Leiter der Staatlichen Wiederaufbauagentur, Mustafa Najjem, sein Amt nieder. Bei den westlichen Partnern stießen diese Entscheidungen auf Unverständnis. Die »Financial Times« sprach sogar von einem beginnenden Vertrauensverlust.
Selenskyj braucht neue Mannschaft für den Herbst
Auch Premierminister Denis Schmyhal stand im Sommer zur Debatte. Im Juli schrieb die »Ukrajinska Prawda«, Selenskyj sei »müde« von Schmyhal und höre ihm bei Kabinettssitzungen nicht mehr zu. Dennoch hält er weiterhin an seinem Premier fest. Andere müssen dagegen wie erwartet nun ihren Stuhl freimachen.
Auf Nachfragen erklärte Selenskyj seinen Regierungsumbau mit einem neuen Energieschub. »Wir brauchen neue Energie«. »Und diese Schritte hängen zusammen mit der Stärkung unseres Staates in unterschiedlichen Bereichen«, erklärte Selenskyj schwammig. In seiner täglichen Videoansprache nannte er den nahenden Herbst als einen der Hauptgründe für den Regierungsumbau. »Der Herbst wird außerordentlich wichtig für die Ukraine«, so Selenskyj. Deshalb wolle er eine bessere Zusammenarbeit zwischen der zentralen Staatsmacht und den Gemeinden. Zudem soll die neue Regierung die Waffenproduktion weiter voranbringen und mehr Invention in »strategische Wirtschaftsbereiche locken«.
Die neue Regierungsmannschaft soll zudem die »Informations-, Kultur- und diplomatische Arbeit auf eine neue Stufe« bringen und auch die Vernetzung mit der ukrainischen Diaspora weiter ausbauen. Was das im Konkreten bedeutet, sagte Selenskyj hingegen nicht. Wahrscheinlich auch, weil er selbst nicht zu 100 Prozent sagen kann, wie es mit seinen einzelnen Forderungen weitergehen soll. Dies wird sich erst zeigen, wenn am Donnerstag die neuen Minister benannt werden. Dann wird auch feststehen, wer die Ukraine zukünftig auf diplomatischem Parkett vertreten wird.
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