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Auf in neue Klimakämpfe
Nach dem Scheitern konventioneller Klimapolitik tun sich neue Baustellen für eine Bewegung auf, die nicht aufgeben will.
Kurz vor den Wahlen in Sachsen und Thüringen erinnerte Fridays for Future in einem offenen Brief daran, dass die Klimakrise auch dann stattfindet, wenn sie nicht im Wahlkampffokus steht. Sachlich alles richtig. Und doch verströmte der Appell vor allem beklemmende Hilflosigkeit.
Das hat weniger mit Fridays for Future, aber sehr viel mit einem gesellschaftlichen Klima zu tun, das in den letzten drei Jahren noch schneller Kipppunkte erreicht hat als das globale Klimasystem. Immer mehr Aktive kommen zum Schluss, dass die Vorstellung einer auf wissenschaftlicher Evidenz und Emissionszielen fußenden Klimapolitik hoffnungslos überholt ist. In den Worten des früheren nd-Klimakolumnisten Tadzio Müller: »Klimaschutz isch over.« Umso düsterer steht es um den noch umfassenderen Anspruch auf Klimagerechtigkeit. Wer heute Klimakämpfe führen will, muss sich neu orientieren. Dazu vier Anhaltspunkte.
Lasse Thiele arbeitet im Konzeptwerk Neue Ökonomie am Thema Klimagerechtigkeit.
Erstens: Antifaschismus. Viele Klimabewegte sahen zuletzt die Notwendigkeit, sich dem Rechtsruck zu widersetzen – und mobilisierten etwa unter dem Motto »Widersetzen« zu den Protesten gegen den Essener AfD-Parteitag. Doch bei spontanen Feuerwehreinsätzen wird es kaum bleiben. Jede Aussicht auf Wirksamkeit in der Klimakrise und gegen sie führt über die Auseinandersetzung mit dem Vormarsch autoritärer Kräfte.
Zweitens: Anpassungskämpfe. Ein Klimachaos kann zwar noch mehr oder weniger begrenzt, aber nicht mehr abgewendet werden. Es braucht lebensrettende Prävention gegen und Vorbereitung auf Extremsituationen. Flut, Hitze, Dürre: Stets wird es autoritäre Deutungen geben, denen solidarische Alternativen entgegenzusetzen sind. Hier, wie auch in der Migrationspolitik angesichts globaler Klimaverwerfungen, werden Überlebenschancen verhandelt – ergo Klimagerechtigkeit.
Drittens: Systemperspektive. Wer auf klimagerechte Infrastrukturen abzielt, wird oft indirekter vorgehen müssen. Linke Kernkompetenzen sind gefragt: Kurzfristig gilt es Beschäftigte und andere soziale Interessengruppen stärker einzubeziehen, langfristig Eigentumsverhältnisse anzugehen und wachstumsunabhängigere Wirtschaftsstrukturen zu erkämpfen. Auch wenn es sich nicht immer unmittelbar in CO2-Einsparungen niederschlägt, steckt darin die im Wortsinn nachhaltigere Klimapolitik. Die ÖPNV-Tarifvertragskampagne »Wir fahren zusammen«, die Gruppe »RWE & Co. enteignen« oder Initiativen für eine soziale Wärmewende haben sich längst auf den Weg gemacht.
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Viertens: Affektpolitik. Alle Hoffnungen auf eine »rationale« Klimapolitik sind nicht nur an den materiellen Verhältnissen, sondern auch an Verdrängung, Veränderungsunwillen und der libidinösen Anziehungskraft der Warengesellschaft zerschellt. Rechte verfügen über simple, lange durchschaute und doch immer noch effektive Methoden einer durchschlagenden Affektpolitik. Emanzipatorische Kräfte tun sich hier ungleich schwerer. Können auch Solidarität und Klimaschutz massenwirksam mit Emotionen besetzt werden, die Widerstände überwinden?
Diese Baustellen können in ihrer Verkettung überwältigen. Doch jede Idee, die eine von ihnen bearbeiten kann, wird in nächster Zeit willkommen sein.
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