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Klimakolumne: Ausgeschrieben

In vier Jahren Kolumnistentätigkeit hat sich der politische Kontext der Klimadebatte dramatisch gewandelt

Aktivisten der »Letzten Generation« auf dem Flughafen Frankfurt am Main
Aktivisten der »Letzten Generation« auf dem Flughafen Frankfurt am Main

Als ich diese Kolumne vor fast vier Jahren vom geschätzten Genossen Tadzio Müller übernehmen durfte, lag der Höhepunkt der Klimabewegung 2019 noch nicht lange zurück. Noch durfte man sich dem Gedanken hingeben, ihre relative Flaute wäre nur ein vorübergehendes Pandemiephänomen. Dass die damals anstehende Bundestagswahl zur »Klimawahl« ausgerufen wurde, erschien – so unglaubwürdig es aus linker Sicht sein mochte – im Mainstreamdiskurs nicht als bizarr. Die »Zeitenwende« war noch nicht eingetreten, die »Letzte Generation« als posthegemonialer Ausdruck der Bewegung noch nicht auf der Bildfläche erschienen. Noch organisierten sich gefühlt wöchentlich neue Berufsgruppen »for future«. Wir Klimas galten vielleicht als naiv, aber im Großen und Ganzen als die Guten.

Der Kolumnentitel des »nd«, »Heiße Zeiten«, ist seitdem in mehrfachem Sinne wahrer geworden, und doch wurde der Auftrag immer schwerer. Immer breiteres Ausgreifen wäre nötig, um die gesellschaftlichen Bedingungen ihres Nichtzustandekommens zu erkunden. Und gleichzeitig scheint doch alles gesagt: zur Logik der immer überdrehteren Kulturkämpfe etwa. Zur Halber-Schritt-vorwärts-zwei-zurück-Praxis der Bundesregierung unter grüner Beteiligung. Oder zur Zerfaserung der Klimabewegung angesichts der sich entfaltenden rechten Hegemonie: Die Strömungen ließen nichts unversucht – von Parlamentarismus bis zu Sabotage, von Straßenblockaden bis zur Gemäldeumgestaltung, von antirassistischer Arbeit bis zu neuer Klassenpolitik – und verloren doch mehr Land als sie gewinnen konnten. Heute sind Klimas stets des Standortverrats verdächtig.

Lasse Thiele

Lasse Thiele ist Politikwissenschaftler und spezialisiert auf die

Kritik des »grünen« Kapitalismus.

Immerhin: Während es noch nie »reine« Klimapolitik gab, die schließlich immer auch Wirtschafts-, Klassenpolitik usw. war, gibt es heute auch kaum noch »reinen« Klimaaktivismus. Das lange gepredigte Ineinandergreifen sozialer und ökologischer Kämpfe wird plötzlich zu allgemein akzeptierter Praxis – in Form einer tendenziellen Verschmelzung zu einer Widerstandsbewegung gegen den wiedererstarkenden Faschismus und für das gute Leben für alle. Die Umstände lassen kaum noch etwas anderes zu. »Die Klimabewegung wäre viel erfolgreicher, würde sie sich nur um CO2 kümmern« – diese liberale Intellektuellenvariante der rechten Zurück-in-überschaubare-Zeiten-Nostalgie hat ausgedient. Allein: Aus der Notwendigkeit des Antifaschismus erwächst noch keine Stärke, sie löst die unter den gegebenen Bedingungen durchaus realen Widersprüche zwischen den Ansprüchen verschiedener Bewegungen nicht auf. Eine greifbare Gegenvision fehlt weiterhin.

Über 50 Kolumnen hinweg habe ich versucht, diese dramatischen Verschiebungen nachzuvollziehen und Handlungsoptionen aufzuspüren. Jetzt spüre ich die Erschöpfung; es wird Zeit für eine neue Stimme an dieser Stelle. Zum Ende dieses aufreibenden Jahres 2024 möchte ich mich daher verabschieden. Ich bedanke mich bei der Redaktion für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und bei allen Leser*innen, die nach dem Blick auf die Karikatur des Tages noch bereit waren, sich mit all den Klimadilemmata zu befassen – und wünsche meiner Nachfolge wie den anderen Kolumnist*innen, dass sie im neuen Jahr hier die eine oder andere bessere Nachricht besprechen können.

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