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Alles auf Lücke
Der neue UNEP-Emissionslückenbericht erzählt wenig Neues zum Weltklima, aber illustriert die tragische Unfassbarkeit der Klimakrise.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres, der aus der Welt der Technokratie und Diplomatie sonst häufig mit markigen Sprüchen hervorsticht, wirkt selten kraftlos in seiner Videobotschaft zur vergangene Woche erfolgten Veröffentlichung des aktuellen Klimaberichts des UN-Umweltprogramms UNEP. »Ich fordere Pionierstaaten auf vorzutreten«, schließt er seinen kurzen Lagebericht mit dem Gestus eines hilflosen Lehrers, dessen Klasse ihm schon lange nicht mehr zuhört.
Man sieht ihm förmlich an, wie ihm die Papierkügelchen um die Ohren fliegen.
Tatsächlich benennt der UNEP-»Emissionslückenbericht« mit Blick auf das Verhältnis zwischen Emissionsgeschehen und klimapolitischen Selbstverpflichtungen der Staaten explizit, dass sich seit dem Vorjahr nichts verändert hat – außer den weltweit wieder um 1,3 Prozent angestiegenen Treibhausgasemissionen. Die Wachstumsrate liegt deutlich über dem Schnitt der 2010er Jahre. Natürlich war 2023 somit wieder ein Rekordjahr. Auch andere Zahlen belegen, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre derzeit schneller steigt denn je – und das, obwohl der weltweite Zubau erneuerbarer Energien 2023 explodiert ist.
Lasse Thiele arbeitet im Konzeptwerk Neue Ökonomie am Thema Klimagerechtigkeit.
Bis zum Februar müssen die Vertragsparteien des Pariser Klimaabkommens ihre turnusgemäß aktualisierten freiwilligen Selbstverpflichtungen (NDC) einreichen. Es deutet jedoch wenig darauf hin, dass diese die »Emissionslücken« tatsächlich schließen könnten. UNEP rechnet vor, dass für eine 50-prozentige Chance aufs 1,5-Grad-Ziel die Emissionen ab sofort jährlich um 7,5 Prozent sinken müssten. Mache die Welt bis 2030 auf Grundlage der bisherigen NDC weiter, müsste der Treibhausgasausstoß danach um 15 Prozent pro Jahr implodieren. Das, so UNEP, sei unrealistisch, deswegen komme es jetzt auf sofortiges Handeln an. Doch in der realen Welt sind auch 7,5 Prozent politisch unvorstellbar. Selbst im Coronajahr 2020 gab es nur ein Minus von fünf Prozent.
In den Medien fand der Bericht kaum Widerhall. Der Nachrichtenwert solcher Veröffentlichungen mit ihrer immergleichen Mischung aus Technokratensprech und gedämpftem Weltrettungspathos sowie immer deprimierenderen Zahlen scheint mit jedem Jahr zu sinken. Die Katastrophe wird immer langweiliger, bis sie plötzlich aus dem eigenen Keller aufsteigt. Und dann hat man schließlich auch Dringenderes zu tun.
An der öden Prosa scheitert es dabei wohl kaum, eher an ihrem nicht greifbaren Gegenstand. Dass die Klimakrise fast ungebremst voranrollt, liegt nicht zuletzt daran, dass sie sich die längste Zeit – also als sie noch halbwegs vermeidbar gewesen wäre – für die meisten Menschen auf einem mental kaum haltbaren Abstraktionsniveau abspielte. Dass sie diese Eigenschaft ungünstigerweise auch noch mit den stummen Zwängen einer kapitalistisch verfassten Weltwirtschaft teilt, macht das welthistorische Desaster perfekt.
Ob man die Gegenwart nun als Anthropozän oder, wie kritische Stimmen vorschlagen, als Kapitalozän kategorisiert: Über 30 Jahre nach Verabschiedung der UN-Klimarahmenkonvention und fast ein Jahrzehnt nach dem Pariser Vertrag hat die Spezies der hausgemachten Krise weder auf kognitiver oder emotionaler noch auf struktureller oder institutioneller Ebene viel entgegenzusetzen. So viel Lücke war selten.
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