Präsidentenwahl in Algerien mit gesichertem Ausgang

Algerien wählt einen neuen Staatspräsidenten und hat außenpolitisch mit mehreren Krisen zu kämpfen

  • Claudia Altmann
  • Lesedauer: 6 Min.
Anhänger des Präsidenten Tebboune machen Werbung für seine Wiederwahl. Auf den Handzetteln steht »Für ein siegreiches Algerien«.
Anhänger des Präsidenten Tebboune machen Werbung für seine Wiederwahl. Auf den Handzetteln steht »Für ein siegreiches Algerien«.

In Algerien werden am morgigen Samstag 23,5 Millionen Stimmberechtigte zu Präsidentenwahlen an die Urnen gerufen. Das Land ist sechs Mal größer als Deutschland und flächenmäßig der größte Staat Afrikas. So sind bereits seit vergangenem Dienstag mobile Wahlbüros für die Nomadenbevölkerung in den Weiten der Sahara unterwegs. Tags darauf hat die Abstimmung auch schon für die algerische Diaspora begonnen, wo 900 000 Menschen einen der drei Wahlzettel mit den Bildern der Kandidaten in die Boxen werfen dürfen: in der Mitte der amtierende Präsident Abdelmadschid Tebboune, flankiert von einem Bewerber der Front der Sozialistischen Kräfte (FFS) und jenem der islamistischen Bewegung der Gesellschaft für den Frieden (MSP).

Es gilt als sicher, dass der nationalistisch-konservative Tebboune für weitere fünf Jahre im Amt bleibt, kann er sich doch der Unterstützung der entscheidenden Macht im Lande, der Armee, sicher sein. Er und seine künftige Regierung müssen Algerien dann nicht nur wirtschaftlich und sozial auf Vordermann bringen, sondern zugleich den Erdgas und –öl reichen Energiegiganten durch unsichere Zeiten und neue internationale Kräftekonstellationen manövrieren. Algier hat stets Wert auf ein ausgeglichenes Verhältnis zu den USA einerseits und seinem traditionell militärisch wichtigsten Partner Russland gelegt. Das zeigt sich seit dem Ukraine-Krieg weiterhin im neutralen Abstimmungsverhalten bei Uno-Resolutionen.

Energielieferant für Europa

Für Europa ist der südliche Mittelmeeranrainer ein vitaler Energielieferant, befindet sich aber aus historischen Gründen in einem komplizierten Verhältnis zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. Das hatte 130 Jahre das Gebiet besetzt und seine Menschen unterjocht und musste 1962 nach einem blutigen Krieg abziehen. Obwohl heute beide Länder intensive Handelspartner sind, belastet die schmerzhafte Kolonialgeschichte die Beziehungen nach wie vor. Derzeit zieht sich die algerische Führung eher Italien und Spanien hingezogen. Die de facto Verbannung des Französischen aus Administration und Bildungswesen zugunsten der englischen Sprache ist ein deutliches Statement, die Beziehungen auf einem Tiefststand.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Algier zog im Juli seinen Botschafter aus Paris ab, nachdem Frankreich sich hinter Marokkos Autonomieplan zur Westsahara gestellt hatte. Das an Algerien grenzende rohstoffreiche Gebiet wird von Marokko völkerrechtswidrig besetzt. Algiers Führung unterstützt seinerseits den 1991 von der Uno verabschiedeten Friedensplan, der ein Unabhängigkeitsreferendum für die sahrauische Bevölkerung vorsieht. Zugleich steht sie der Befreiungsbewegung Polisario mit humanitärer und militärischer Hilfe zur Seite. Der Konflikt mit Marokko eskalierte bis zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen, seitdem Rabat eine enge Kooperation mit Israel auf wirtschaftlichem, militärischem und geheimdienstlichem Gebiet eingegangen ist. So wird Marokko vorgeworfen, mit der israelischen Spionagesoftware Pegasus 2021 weltweit Telefongespräche hochrangiger Personen abgehört zu haben, darunter auch Algerier.

Algier betrachtet die Präsenz Israels in seinem westlichen Nachbarland Marokko als direkte Bedrohung.

Am vergangenen Sonntag wurde nach Berichten des algerischen staatlichen Rundfunks in der westalgerischen Grenzstadt Tlemcen ein aus drei Marokkanern und drei Algeriern bestehendes Spionagenetz aufgedeckt, das es auf »die Sicherheit des Staates« abgesehen haben soll. Algier betrachtet die Präsenz Israels in seinem westlichen Nachbarland als direkte Bedrohung, zumal es nach wie vor jegliche Beziehungen zu Tel Aviv strikt ablehnt und an seiner Unterstützung für das palästinensische Volk festhält. Seit Ausbruch des Gaza-Krieges wird Algerien damit auch international wahrgenommen. Als derzeit nicht ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates hat es bereits mehrere Resolutionen eingebracht, in denen ein sofortiger Waffenstillstand und die Verurteilung Israels verlangt werden.

Jüngste Initiative des algerischen Uno-Vertreters war am vergangenen Dienstag die Einberufung einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates, bei der die Situation im Westjordanland und Gazastreifen auf der Tagesordnung stehen soll. Am selben Tag verkündete Präsidentschaftskandidat Tebboune auf seinem letzten Wahlmeeting in der ostalgerischen Stadt Constantine, dass Algerien bereit sei, innerhalb von 20 Tagen drei Krankenhäuser in Gaza zu errichten, sobald dort die Grenze zu Ägypten geöffnet ist. Algerien ist sichtlich bemüht, die eigene Rolle in der arabischen Welt wieder zu stärken. Nachdem im Libanon Mitte August der Strom-Notstand ausgerufen worden war, schickte Algier einen Tanker mit Treibstoff.

Konflikte an den Grenzen

Aber während sich Algier in die Lösung internationaler Konflikte einbringt, sieht es sich zugleich neuen Problemen an den eigenen Grenzen ausgesetzt. Ende August bewegten sich Truppen des libyschen Generals Khalifa Haftar bis in die Nähe der algerischen Grenze, zu nahe für Algeriens Armeeführung. Algier erkennt die Regierung in Tripolis an und bemüht sich diplomatisch um eine Beilegung des Konflikts – bisher vergeblich. Es sieht nicht nur die Gefahr eines neuen Bürgerkrieges im Nachbarland. Auch wegen der Nähe zu den eigenen Erdgas- und -ölfeldern lassen solche Aktionen die algerische Führung nicht kalt.

Zudem wächst der Unmut gegen Moskau wegen der Präsenz russischer Söldner an seinen Grenzen, insbesondere an seiner südlichen Grenze zu Mali. Ende August hatten von malischer Armee und Wagner-Truppen geschickte Drohnen 21 Zivilisten in der Gegend von Tinzaouatin getötet, nur wenige Meter von algerischem Staatsgebiet. Seit dem Machtwechsel in Bamako haben sich die Beziehungen zum Nachbarstaat rapide verschlechtert. Dem ist auch das 2015 unter Ägide Algeriens vereinbarte Friedensabkommen mit der zu Bamako in Opposition stehenden Tuareg-Bewegung Azawad zum Opfer gefallen. Als Reaktion auf die jüngsten Angriffe haben sich die militärischen Azawad-Führer in Mali und Niger in dieser Woche verbündet und von Tinzaouatin aus angekündigt, gemeinsam für die Sicherheit ihrer Bevölkerung in der Sahelregion zu sorgen. Auch wenn Algier Widerstand gegen die feindlich gesinnten Truppen an seiner Grenze willkommen sein dürfte, könnte zugleich das Unabhängigkeitsbestreben der Tuareg-Bewegung neuen Aufwind bekommen.

Algerien drängt in die Brics-Gruppe

Eine Beruhigung der Lage hängt nicht zuletzt von guten Beziehungen zu Russland ab. Außer der Söldnerfrage gibt es Spannungen, weil Algerien bisher nicht in die Gruppe der Brics-Staaten aufgenommen wurde. Das Schwellenländerbündnis war 2009 von Russland, China, Indien und Brasilien gegründet, ein Jahr später um Südafrika und 2021 um weitere vier Länder erweitert worden. Algerien, das darin seinen legitimen Platz sieht, war nicht dabei. Nun gibt es Hoffnung: Am 31. August erklärte die Chefin der Brics-Bank NDB Dilma Rousseff, dass Algerien zur Entwicklungsbank zugelassen ist. Für den alten und wahrscheinlich neuen Präsidenten Tebboune könnte dies seine Position aufwerten.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.