Sachsens Linke: Auf einer schmelzenden Eisscholle

In der sächsischen Linkspartei herrscht nach der Wahlpleite vom letzten Wochenende keine Resignation. Aber viele Fragen sind offen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Wie ein Eisbär auf schmelzender Scholle fühlt sich mancher in der sächsischen Linken.
Wie ein Eisbär auf schmelzender Scholle fühlt sich mancher in der sächsischen Linken.

Nach dem Wahltag müssen in vielen sächsischen Dörfern binnen sieben Tage die Plakate wieder eingesammelt sein. Wer wie Silvio Lang in der ländlichen Lausitz kandidierte, fährt weite Wege und hat im Auto viel Zeit, über das Wahlergebnis nachzudenken. Die Linke, deren Chef im Kreis Bautzen er ist, hat eine historische Pleite eingefahren. Sie sei, sagt er, »eine marginalisierte Partei. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen.«

Die Zahlen sind ernüchternd. In Doberschau-Gaußig, wo Lang an diesem Vormittag unterwegs ist, gab es 27 Stimmen: 1,0 Prozent. Generell kam die Linke in keinem einzigen der 41 Wahlkreise außerhalb der Großstädte über drei Prozent. Auch in Chemnitz, wo sie einst Direktmandate gewann, reichte es nur für 4,95 Prozent, in der einstigen Hochburg Dresden für 5,7 Prozent. Allein der hohe Zuspruch in Leipzig rettete die parlamentarische Existenz. Dort gab es 44 525 Wählerstimmen, was gut 42 Prozent des landesweiten Ergennisses entspricht. Vor allem aber gewannen Jule Nagel und Nam Duy Nguyen ihre Wahlkreise, wodurch trotz des Scheiterns an der Fünfprozent-Hürde eine sechsköpfige Mini-Fraktion im Landtag vertreten ist.

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Das Debakel hat viele Ursachen. Der jahrelange Streit in der Partei, unklare Positionen etwa in der Friedensfrage, die Demografie: »Viele unserer einstigen treuen Wähler leben nicht mehr« sagt Lang. Außerdem hat sich die von manchen gehegte Hoffnung nicht erfüllt, wonach mit der Trennung von Sahra Wagenknecht ein Neuaufbruch gelingen könnte. Das Gegenteil ist der Fall: Die Linke verlor in Sachsen nicht nur etliche Politiker, sondern auch 73 000 Wähler an das BSW. Das zu kompensieren, gelang faktisch nur in Leipzig. In der traditionell linken Stadt habe man in studentischen Milieus »alles rausgekitzelt, was ging«, sagt Stadtchef Adam Bednarsky. Im Saldo büßte man so nur 2000 Wählerstimmen ein. Allerdings sind auch dort die Zahlen in traditionellen Hochburgen wie Leipzig-Grünau ernüchternd. Bednarsky vergleicht die Partei mit einem Eisbären: »Wir sitzen auf einer Eisscholle, die zusehends schmilzt.«

Droht also bei der nächsten Wahl der Untergang? So pessimistisch ist Lang nicht: »Ich würde nicht sagen, dass es das schon war.« Allerdings müsse die Partei dringend klären, wen sie ansprechen will und wie ein »attraktives Angebot« für Menschen auch in ländlichen Regionen aussehen könnte. Hoffnung schöpft er etwa daraus, dass die Linke bei U 18-Wahlen drittstärkste Kraft war. Auch Bednarsky fordert, sich über den »berühmten Gebrauchswert« der Partei Gedanken zu machen, und warnt zugleich davor, sich allein auf die Stärke in Leipzig zu verlassen: »Das wäre ein Taschenspielertrick.«

In der Pflicht sehen die Genossen zuerst die Bundespartei. Landeschef Stefan Hartmann hatte noch am Wahlabend einen »klaren Neuanfang« verlangt, »strategisch, programmatisch, methodisch und personell«. Was das konkret für die Ausrichtung der Partei bedeutet, müsse besprochen werden: »Wenn ich schon die Lösung hätte und würde sie erst jetzt verraten, gehörte ich bestraft.« Manche Themen schließt er freilich aus. So habe die PDS einst als Interessenvertreterin des Ostens gegolten, eine Kompetenz, die im Zuge der Gründung der gesamtdeutschen Linken »ohne Not aufgegeben« worden sei. Das Feld würden nun andere bestellen: »Das ist für uns kein Zukunftskonzept mehr.« Auch am Anspruch, eine Kümmererpartei zu sein, würde man sich überheben: »Da fehlen uns inzwischen die Leute und die Kapazitäten.«

Auch Lang räumt ein, auf die heiklen Fragen bislang keine Antworten zu haben. Die aber müssten womöglich schneller gefunden werden als gedacht. Er hält es durchaus für möglich, dass in Sachsen keine stabile Regierung zustande kommt und neu gewählt werden muss. Vor allem aber sei es nach einem SPD-Debakel in Brandenburg am 22. September denkbar, dass im Bund früher als im Herbst 2025 gewählt wird. Für Die Linke geht es dann tatsächlich um alles oder nichts. Bednarsky hielte es für sinnvoll, noch einmal »die Lebensversicherung zu ziehen« und auf Direktmandate zu setzen, wie Sören Pellmann 2021 in Leipzig eines gewann. Lang sähe darin freilich allenfalls »eine Notlösung. Auf Dauer hilft und das nicht.«

Über das Vorgehen im Bund wird ohnehin anderswo entschieden. Als Kreischef in Ostsachsen muss Lang zunächst mit noch einmal schlechteren Bedingungen zurechtkommen. Die Wahlpleite und das Schrumpfen der Landtagsfraktion bedeuten weniger Geld, weniger Ressourcen, weniger Personal. Im Kreis Bautzen wird eines von drei Parteibüros geschlossen, im Kreis Görlitz drei von vier: »Wir verlieren gerade unsere Arbeits- und Kampagnenfähigkeit.« Deshalb müssten bisherige Strukturen »grundsätzlich auf den Prüfstand«, sagt er. Auch Hartmann hält eine Parteireform für unumgänglich. Erste Ideen sollten auf einem Landesparteitag im November vorgelegt werden. Zuvor gibt es nächste Woche einen Parteikonvent, der die Wahlpleite aufarbeiten soll. Und erst einmal müssen die Plakate eingesammelt werden.

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