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Sachsen: Mit dem Klebestift gegen die Demokratie
Wahlmanipulation zugunsten der extrem rechten Freien Sachsen: Auch Kommunalwahl wird geprüft
Als der Kreistag im Erzgebirge kürzlich zu seiner ersten Sitzung zusammentrat, wurde die Geduld der Abgeordneten enorm auf die Probe gestellt. Es fehlte nicht viel, und sie hätten zwölf Stunden tagen müssen. Maßgeblich verantwortlich waren vier Abgeordnete der rechtsextremen Kleinpartei Freie Sachsen, die die Geschäftsordnung ausreizten und zeitraubende geheime Abstimmungen durchsetzten. Die »Freie Presse« verglich sie mit bockigen Kleinkindern und kommentierte: »Ein Kindergarten!«
Bei dem Verhalten handelt es sich freilich weniger um Sturheit als um Kalkül. Sachsens Verfassungsschutz warnte schon vor der Kommunalwahl im Juni, die Freien Sachsen strebten an, der Verwaltung »das Leben schwerer (zu) machen«. Auch Johannes Kiess vom Else-Frenkel-Brunswick-Institut (EFBI), der über die Partei ein Buch mit dem Titel »Widerstand über alles« vorgelegt hat, betont, diese wolle Sand ins Getriebe der Demokratie streuen und sie diskreditieren. Er zitierte Parteichef Martin Kohlmann mit der Äußerung, man wolle in den Parlamenten für »Chaos« sorgen.
Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.
Dieses Anliegen könnte auch Hinweise auf mögliche Motive für Wahlmanipulationen bei der Landtagswahl vom 1. September liefern, deren Nutznießer die »Freien Sachsen« waren und zu denen mittlerweile Sachsens Generalstaatsanwaltschaft ermittelt. Dabei waren auf deutlich über 100 Briefwahlscheinen die ursprünglich gesetzten Kreuze überklebt und neue für die rechtsextreme Partei und deren Direktkandidaten gesetzt worden.
Die Manipulationen erfolgten professionell. Die Stimmzettel seien dünn und kaum sicht- und fühlbar überklebt worden, hieß es. Um so auffälliger war zumindest in einem Dresdner Wahlbezirk, zu dem die Ortschaft Langebrück gehört, das Resultat. Dort entfielen auf die Freien Sachsen je 10,2 Prozent der Erst- und Zweitstimmen. Insgesamt erhielten sie in Dresden 1,5 Prozent der Stimmen, im Freistaat 2,2 Prozent. Für Mandate reichte das nicht, allerdings für Mittel aus der staatlichen Wahlkampfkosten-Erstattung. Die AfD wirft der Konkurrenz von Rechtsaußen zudem vor, ihr wichtige Stimmen für den Wahlsieg abspenstig gemacht zu haben. Sie landete 1,3 Prozentpunkte hinter der CDU.
Die Landtagswahl war womöglich nicht die erste Abstimmung, bei der manipuliert wurde. Die Ermittlungen wurden jetzt auch auf die Kommunalwahl ausgedehnt. Schon da hatten die Freien Sachsen im Wahlkreis Langebrück 1 mit 13,4 Prozent ein Ergebnis eingefahren, das weit über den stadtweiten 1,5 Prozent lag und für einen Sitz im Ortschaftsrat reichte. Ob anderswo ähnliches versucht wurde, ist offen. Bei der Landtagswahl soll es Manipulationsversuche in allen acht Dresdner Wahlbezirken gegeben haben. Zudem wurden gefälschte Stimmscheine in Radebeul entdeckt.
Einfluss auf das Wahlergebnis hatten die Manipulationen nach bisherigen Erkenntnissen nicht. Deshalb entschied sich der Kreiswahlausschuss Dresden auch, die gefälschten Stimmzettel für ungültig zu erklären und die Stimmen nicht den geschädigten Parteien zuzuordnen, was enormen Aufwand bedeutet hätte. Der Landeswahlausschuss berät am 13. September. Zu den offenen Fragen gehört bislang, wie und wo die Manipulationen vorgenommen wurden. Spekuliert wird, ob Seniorenheime eine Rolle spielen könnten, deren Bewohner ihre Stimme per Briefwahl abgegeben haben.
»Es geht ihnen darum, das Vertrauen von Menschen in Wahlen zu erschüttern und damit gewissermaßen die gegnerische Seite zu ›demobilisieren‹.«
Johannes Kiess Soziologe
Die extreme Rechte in der Bundesrepublik, aber etwa auch den USA diskreditiert die Briefwahl gern als anfällig für Fälschungen. Die jetzt aufgeflogenen Manipulationsversuche seien vor allem geeignet, dieses Narrativ zu bekräftigen, meint EFBI-Wissenschaftler Johannes Kiess. Das Wahlergebnis nennenswert zu verändern, sei auf diese Weise nicht möglich, sagte er dem »nd«. Den Freien Sachsen gehe es vielmehr darum, »das Vertrauen von Menschen in Wahlen zu erschüttern und damit gewissermaßen die gegnerische Seite zu ›demobilisieren‹.« Kiess hofft, dass es gelingt, Täter zu überführen. Gelinge es, eine Verbindung zu den Freien Sachsen herzustellen, wäre das »Munition für ein Parteiverbot«.
Einstweilen ist die Partei nicht verboten und wird in den Kommunalparlamenten weitere Störversuche unternehmen. Im Erzgebirge nominierten sie ausgerechnet den Ex-NPD-Funktionär Steffen Hartung als Integrations- und Ausländerbeauftragten. Andere Kreistagsmitglieder fielen auf die Provokationen herein. Hartung erhielt 26 Stimmen, 22 mehr, als die Freien Sachsen Abgeordnete haben.
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