»Sad Jokes«: Die menschliche Komödie

In dem Episodenfilm »Sad Jokes« erzählt Regisseur Fabian Stumm von den tragisch-komischen Momenten eines jeden Lebens

  • Gabriele Summen
  • Lesedauer: 4 Min.
Komödie ist die Königsklasse, das muss man schon können.
Komödie ist die Königsklasse, das muss man schon können.

»Wie nennt man einen traurigen Kaffee? Einen Depresso.« Konnten Sie wenigstens leicht schmunzeln bei diesem Witz aus Fabian Stumms zweitem Spielfilm? Haben Sie schon so manches Mal gelacht über absurde Situationen, die andere womöglich nicht zum Lachen finden? Wenn ja, könnte die zutiefst menschliche Komödie »Sad Jokes« etwas für Sie sein.

Im Prolog erzählen gewöhnliche Menschen in einer Studiokulisse lauter traurig-lustige Witze. Aus dem Off ertönen dazu gestellte Lacher aus der Konserve, das erhöht bekanntlich die Bereitschaft der Zuschauer*in, über die Pointe zu kichern. Könnte man in bestimmten Lebenssituationen, die einem wie ein schlechter Witz vorkommen, oft auch gut gebrauchen.

Die traurige Witzparade stimmt auf jeden Fall perfekt auf Stumms filmisches Kaleidoskop der Gefühle ein. Besonders deutlich wird die Absurdität des Lebens – und auch des Kunstmachens – in den beiden erheiterndsten Szenen des Films, in denen Joseph, der vom Regisseur selbst gespielt wird, seinem Produzenten Gero (Godehard Giese) eine Idee zu seinem neuen Film pitcht.

Eine Komödie? Gero mag Komödien – sagt augenzwinkernd »wenn sie gut sind«. Danach muss Joseph irritiert mit anschauen, wie der selbstgefällige Produzent seinen riesigen Hund mit vorgekauter Salami füttert. Köstlich.

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Beim nächsten Treffen, etliche Episoden später, hat Gero Josephs Skript endlich gelesen. Es handelt von einem Mann, der an Automatonophobie, also der Angst vor großen Puppen – beziehungsweise in diesem Fall Statuen – leidet.

Der Produzent findet Josephs Drehbuch jedoch überhaupt nicht lustig, sondern trübe, schwarz, ausweglos, ohne Empathie geschrieben. »Komödie ist die Königsdisziplin. Da beißen sich ganz viele Leute die Zähne dran aus«, schließt er gönnerhaft.

Fabian Stumm aber, der bereits mit »Knochen und Namen« ein Drama mit komödiantischen Elementen abgeliefert hat und auch seinen zweiten Film lediglich mit eigenem Geld und dieses Mal auch mit einem Vorschuss des Verleihs finanziert hat, beherrscht dieses Genre wie kein zweiter deutscher Filmemacher. Vorausgesetzt, man lässt sich auf seinen zwischen Absurdität und Albernheit changierenden Humor ein und hat einen Sinn für autofiktive Metaebenen. Lubitsch, Loriot, Truffaut und Chaplin nennt Stumm als seine Vorbilder, was man dem Film auch anmerkt. Eric Rohmer wird ebenfalls explizit in seiner Komödie erwähnt. Auch dessen Figuren plagen sich stets mit einer gewissen Leichtigkeit mit Alltagsproblemen herum.

Das Filmfest München honorierte Stumms Komödie gleich mit zwei Preisen: Dem Förderpreis Neues Deutsches Kino für die beste Regie und dem »Fipresci«-Preis der internationalen Filmkritik.

Sein schwuler Joseph hat noch ganz andere Sorgen: Sonya (Haley Louise Jones), mit der er ein Kind großzieht, haut anfangs aus der Klinik ab, will einfach ihre Depressionsbehandlung abbrechen und für Sohn Pino da sein. Diese großartig gespielte, berührend-beängstigende Szene ist – wie viele andere – in einer einzigen tableauartigen Kameraeinstellung gedreht, sodass man sich wie ein*e heimliche Beobachter*in auf Josephs Küchenstuhl fühlt.

Häufig haben die befreundeten Schauspieler*innen, mit denen Stumm auch seine zweite Low-Budget-Produktion gedreht hat, nur ein oder zwei Szenen, um ihr Können zu beweisen. Und alle liefern lustvoll ab. Ob es jetzt Anneke Kim Sarnau ist, die in einer Szene mit zwei gebrochenen Armen unter Schmerzmitteln im Krankenhaus herrlich aufdreht, oder Marie Lou Sellem und Anne Haug, die sich als frisch verliebtes Schauspielerinnen-Pärchen auf Josephs Premierenparty zoffen. Man hat Lust, sich viele Szenen ein zweites und drittes Mal anzuschauen.

So auch die Sexanbahnungszene mit dem Aktmodell Dominik (Knut Berger), das Joseph einmal datet. Natürlich funkt das Babyphone gehörig dazwischen. Schließlich muss Joseph sich zur Zeit allein um Pino kümmern. Alle Eltern können von dieser Situation ein Liedchen singen. Slapstick wird in dem Film ganz groß geschrieben. Und wenn man sich auch nur den Finger schmerzhaft in einem Snackautomaten einklemmt. Dazu ertönt Klaviermusik wie in einen Stummfilm – und man kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.

»Das Leben ist das, was passiert, während du dabei bist, andere Pläne zu machen« – an diesen Spruch von John Lennon muss man so manches Mal denken. Nie weiß man, was in Stumms episodenhaftem Film als Nächstes passiert.

Einen irren Gänsehautmoment gibt es in schwedischer Sprache gesprochen – auch Englisch und Italienisch hört man im Film – was ihm eine zusätzliche Universalität verleiht: Josephs Mallehrerin Elin (Ulrica Flach), die als Kind Schauspielerin werden und die Menschen zum Weinen bringen wollte, holt Joseph zuliebe einmal aus den Tiefen ihrer Erinnerung den Schlussmonolog von Jeanne d’Arc hervor. Darin heißt es, »das Leben ist mehr als mausetot zu sein«. Diese Sensibilität, das zu Absurditäten neigende Leben mit allen Sinnen wahrzunehmen, transportiert auch Stumms Komödie. Man freut sich schon darauf, wenn er uns in seinem nächsten Film wieder sanft und klug daran erinnern wird.

»Sad Jokes«: Deutschland 2024. Regie und Drehbuch: Fabian Stumm. Mit: Fabian Stumm, Haley Louise Jones, Justus Meyer. 96 Minuten, läuft im Kino.

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