Die Linke und die Migration

nd-Serie »Die Linke – vorwärts oder vorbei?«: Ein Diskussionsangebot zur Flüchtlings- und Einwanderungspolitik

  • Elke Breitenbach, Regine Sommer-Wetter, Halina Wawzyniak
  • Lesedauer: 7 Min.
Als einzige Partei im Bundestag stellt sich Die Linke dem ansonsten parteiübergreifenden Rechtstrend in Sachen Asyl und Migration entgegen.
Als einzige Partei im Bundestag stellt sich Die Linke dem ansonsten parteiübergreifenden Rechtstrend in Sachen Asyl und Migration entgegen.

Die Partei Die Linke muss eine klare Position in der Frage der Migration erarbeiten, die ein humanes Asylrecht und einen menschlichen Umgang bei der Einwanderung beinhaltet. Im Jahr 2017 legte eine Projektgruppe der Partei Die Linke eine Konzeption einer linken Flüchtlings- und Einwanderungsgesetzgebungvor, die in der Partei selbst wenig Beachtung fand. Es ist an der Zeit, die Konzeption zu präzisieren, ergänzen und zu verändern. Dabei sind zwei Dinge entscheidend:

1. In der politischen Kommunikation und in den politischen Kämpfen gilt es klar zu sagen, dass unser Ansatz einer Flüchtlings- und Einwanderungskonzeption die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt. Diese ist unantastbar und sie verbietet, Menschen zu Objekten staatlichen Handelns zu machen.

Demnach gibt es für uns keine »Die« und kein »Wir«, es gibt Menschen. Dies wird die größte kommunikative Herausforderung, weil »die« Ausländer wie selbstverständlich gegen »uns« Deutsche gestellt werden, wobei nicht klar ist, was dieses »Wir« der Deutschen ausmacht.

2. Wir müssen auf die Probleme und Herausforderungen Antworten geben. dürfen nicht so tun, als gäbe es keine Probleme. Viele davon haben ihre Ursache in der Flüchtlings- und Migrationspolitik, die in erster Linie auf Ausgrenzung statt Willkommenskultur Daseinsvorsorge und gleiche Rechte setzt.

Es gibt wieder verstärkt eine gesellschaftliche Haltung, die diejenigen gegeneinander ausspielt, die auf die öffentliche Daseinsvorsorge angewiesen sind. Wenn u.a. Wohnraum fehlt und die Kitas und Schulen überfüllt sind, dann ist das vor allem ein Problem der fehlenden Investition in Daseinsvorsorge. Wer an der Schuldenbremse festhält und sich jeglicher Erhöhung der Einnahmeseite widersetzt, sollte die Verantwortung nicht bei Geflüchteten oder Menschen mit Einwanderungsgeschichte abladen.

Wenn es ein »Die« und »Wir« gibt, dann gibt es das »Die« der Unsolidarischen sowie auf die Daseinsvorsorge nicht angewiesenen Personen und das »Wir« der von fehlender Daseinsvorsorge Betroffenen, die unter der mangelnden Solidarität leiden.

Ausgehend von diesen Prämissen schlagen wir eine neue Systematik (I.), eine Präzisierung der legalen Einreise (II.), eine Präzisierung des Spurwechsels (III.), eine Erweiterung des sozialen Anknüpfungspunktes (IV.) und Regeln zur Unterbringung und Registrierung (V.) vor.

Die Autorinnen

Elke Breitenbach gehört der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus an.
Von 2016 bis 2021 war sie Senatorin
für Integration, Arbeit und Soziales.
Halina Wawzyniak ist Juristin; von 2009 bis 2017 war sie Linke-Abgeordnete im Bundestag mit Schwerpunkt Rechtspolitik. Regine Sommer-Wetter ist Linke-Abgeordnete im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.
Eine ausführliche Version ihres Konzepts stellen sie im Netz zur Debatte, zu finden unter www.progressive-linke.de.

I. Neue Systematik

Da in der Debatte viele unterschiedliche Sachverhalten vermischt werden und sich aus unterschiedlichen Sachverhalten unterschiedliche Folgen ergeben, schlagen wir eine neue Systematik vor.

a) Asyl: Das Grundgesetz enthält den Grundsatz: Politisch Verfolgte genießen Asyl. Damit wird klargestellt, dass es einer politischen Verfolgung im Heimatland bedarf. Eine politische Verfolgung liegt vor, wenn ohne rechtsstaatliches Verfahren eine Verhaftung droht. Die politische Verfolgung ist gegeben, wenn andere politische Auffassungen zu dieser Folge führen, ebenso Religionszugehörigkeit, Geschlecht und sexuelle Orientierung.

b) Flucht: Neben der Anerkennung auf Grund der Regelungen zu Asyl wollen wir die Anerkennung als Geflüchtete bei Vorliegen der anerkannten Fluchtgründe. Zu den anerkannten Fluchtgründen gehören nach unserer Auffassung

  • der Entzug der Lebensgrundlagen durch Klimawandel (Klimaflüchtling),
  • Krieg (Kriegsflüchtlinge) und
  • der Entzug der Lebensgrundlage auf Grund ausbeuterischer Wirtschaftspolitik (soziale Flüchtlinge/Ausbeutungsflüchtlinge).

c) Arbeitsmigration: Bei der Arbeitsmigration handelt es sich um eine bewusste und freiwillige Entscheidung das Heimatland zu verlassen, um in Deutschland einer Erwerbstätigkeit/Ausbildung/Studium nachzugehen. Arbeitsmigration betrifft bedingt auch EU-Bürger*innen.

d) Einwanderung: Bei der Einwanderung handelt es sich um die freiwillige und bewusste Entscheidung, das Heimatland zu verlassen. Sie basiert auf einem sozialen Anknüpfungspunkt (Familiennachzug, Familiengründung auch im Rahmen einer sozialen Familie).

e) Einbürgerung: Gänzlich von Asyl. Flucht, Arbeitsmigration und Einwanderung getrennt ist die Frage der Einbürgerung, also der Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit.

II. Legale Einreise

Wie im Konzept einer Flüchtlings- und Einwanderungspolitik der Linken festgehalten, ist die Einreise Minderjähriger immer legal. Eine legale Einreise ist ausgeschlossen, wenn

  • kein Antrag auf Asyl oder Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft gestellt wird oder dieser bereits rechtskräftig abgelehnt wurde;
  • ein Antrag auf internationalen Schutz oder auf die Prüfung nationaler Abschiebungsverbote nicht gestellt wird oder bereits rechtskräftig abgelehnt wurde;
  • bei der Einreise kein konkretes Erwerbsangebot bzw. Studien- oder Ausbildungsangebot vorliegt;
  • kein Plan für eine Erwerbs-, Studien- oder Ausbildungsaufnahme binnen neun Monaten besteht;
  • kein Nachweis der Einwanderungsgründe in Form eines sozialen Bezugspunktes (Familiennachzug, Familiengründung auch in Form der sozialen Familie) vorliegt;
  • die Einreise zum Zwecke der Spionage oder der Begehung einer Straftat dienen soll;
  • es sich bei dem*der Einreisewilligen um eine Person handelt, die den Tatbestand der Paragrafen 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuchs (Kriegsverbrechen) erfüllt;
  • Erkenntnisse über Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vorliegen.

Bei nicht erfolgter legaler Einreise ist eine Abschiebung möglich.

III. Spurwechsel

Im Verfahren bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels ist ein sogenannter Spurwechsel zwischen den unter I. a) bis d) genannten Kategorien wie folgt möglich:

  • Wenn sich im Verfahren der Anerkennung des Anspruchs auf Asyl oder der Flüchtlingseigenschaft herausstellt, dass die Möglichkeit der Arbeitsmigration oder der Einwanderung besteht. Dies bedeutet, wer legal einreist, um Asyl oder die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu beantragen, kann bis zur Entscheidung darüber einen Wechsel zu Arbeitsmigration und Einwanderung vornehmen.
  • Ein Wechsel zwischen Arbeitsmigration und Einwanderung kann vorgenommen werden.

Ausgeschlossen ist eine legale Einreise zur Arbeitsmigration und danach ein Wechsel zur Anerkennung auf Asyl- oder Flüchtlingseigenschaft.

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IV. Bleibeperspektive

Schon die Konzeption aus 2017 hatte darauf verwiesen, dass diverse nicht mehr zu durchschauende Aufenthaltstitel existieren. Deshalb präzisieren wir:

  • Sobald eine als Minderjährige legal eingereiste Person die Volljährigkeit erreicht, erhält sie entsprechend den sonstigen Regelungen eine Aufenthaltserlaubnis, sobald eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis (Asyl, Flucht, Arbeitsmigration, Einwanderung) beantragt wird. Eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis ist mit Volljährigkeit zu erteilen, wenn es keine sozialen Anknüpfungspunkte im Herkunftsland gibt und der/die Volljährige die Sprache des Herkunftslandes nicht spricht.
  • In Deutschland geborene Kinder von Personen mit Aufenthaltsstatus erhalten mit Volljährigkeit eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
  • Bei legaler Einreise mit dem Ziel der Anerkennung auf Asyl und der Flüchtlingseigenschaft wird eine befristete Aufenthaltserlaubnis von drei Jahren erteilt. Diese Frist verkürzt sich bei rechtskräftiger Ablehnung der Anerkennung von Asyl oder der Flüchtlingseigenschaft.
  • Personen, die mit dem Ziel der Arbeitsmigration legal einreisen, erhalten eine befristete Aufenthaltserlaubnis von neun Monaten, die sich im Falle der Aufnahme einer Erwerbsarbeit verlängert.
  • Bei Aufnahme eines Studiums/einer Ausbildung verlängert sich die Aufenthaltserlaubnis im Regelfall auf die Regelstudien- bzw. Regelausbildungszeit plus ein Jahr. Eine Verlängerung aufgrund besonderer Lebensumstände ist möglich.
  • Personen, die eingewandert sind, erhalten eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, sobald der Nachweis des Vollzuges des Einwanderungsgrundes nachgewiesen ist
  • Bei Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Anerkennung des Asyls wird eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.
  • Ist das Verfahren zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Anerkennung von Asyl nicht binnen drei Jahren rechtskräftig abgeschlossen, gibt es eine einmalige Verlängerung der Befristung um zwei Jahre. Anschließend wird die Anerkennung unterstellt und es gibt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

Die Erteilung eines unbefristeten Aufenthalts ist ausgeschlossen, wenn nachweisbar Erkenntnisse über die Bekämpfung der freiheitlich demokratischen Grundordnung vorliegen.

V. Registrierung und Unterbringung

Eingereiste Person werden ebenso registriert wie alle anderen Menschen, die hier leben. Wegen der fehlenden Daseinsvorsorge kommt es insbesondere in Städten zu Engpässen bei der Beschulung und Versorgung mit Wohnraum, davon sind in besonderer Art und Weise Geflüchtete betroffen. Hier hat die Politik jahrelang versagt.

Unmittelbar nach der Registrierung sollen Menschen, die einen Antrag auf Asyl und Anerkennung auf Flüchtlingseigenschaft stellen, nach einem neuen Verteilungsschlüssel in eine Erstaufnahmeeinrichtung verteilt werden. Ausgenommen davon sind Antragstellende, die bei Freund*innen oder Familienangehörigen wohnen können. Menschen, die mit dem Ziel der Arbeitsmigration oder mit dem Ziel der Einwanderung einreisen, können nach der Registrierung ihren Wohnsitz frei wählen.

Menschen, die einen Antrag auf Asyl oder Anerkennung als Flüchtling stellen, und jene mit dem Ziel der Arbeitsmigration haben Anspruch auf unabhängige Beratungsangebote.

Menschen, die zunächst in einer Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht sind, haben Anspruch auf unabhängige Beratung zum Verfahren zur Antragstellung auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asyl sowie zu den Voraussetzungen zur Anerkennung. Eine solche unabhängige Beratung muss innerhalb von einer Woche stattfinden. Nach dieser Erstberatung entfällt die Pflicht zum Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung.

Die Erstaufnahmeeinrichtungen müssen Qualitätsanforderungen und die Anbindung an die soziale Infrastruktur erfüllen. Sie müssen ausreichend Beratungsangebote vorhalten. Das beinhaltet umfangreiche unabhängige Angebot zur Hilfe bei der Beantragung von Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz, psycho-soziale, medizinische und psychologische Betreuung.

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