Wer übernimmt das Ruder beim IOC?

Sechs Männer und eine Frau bewerben sich um die Nachfolge von Präsident Thomas Bach

Abschied von Olympia: IOC-Präsident Thomas Bach bei seiner letzten Schlussfeier als Chef im Sommer 2024 in Paris.
Abschied von Olympia: IOC-Präsident Thomas Bach bei seiner letzten Schlussfeier als Chef im Sommer 2024 in Paris.

Thomas Bach bleibt bis zu seinem Abschied der große Strippenzieher beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Nachdem der 70-Jährige im August am Rande der Olympischen Spiele in Paris erklärt hatte, dass er keinen Anlauf unternehmen werde, über seine zweite Amtszeit hinaus an der Spitze des Ringe-Ordens zu verbleiben, hatten die Bewerber ihre Kandidatur bei Bach direkt einzureichen. Der Rechtsanwalt aus Würzburg will bei der Nachfolgersuche ein gewichtiges Wort mitsprechen.

Seit Gründung des IOC im Jahr 1894 gab es nur insgesamt neun IOC-Präsidenten. Anders als bei Bachs Wahl 2013 ist diesmal kein potenzieller Thronfolger auszumachen für den begehrten Posten an Spitze des Weltsports, der nur alle acht, meistens sogar nur alle zwölf Jahre zu vergeben ist. Stattdessen gibt es eine Menge Variablen, die eine Rolle spielen, wenn die 111 stimmberechtigten IOC-Mitglieder aus ihren Reihen ihr neues Oberhaupt küren.

Wer kandidiert?

Prinz Feisal al Hussein, 60: IOC-Mitglied seit 2010, seit 2019 im Executive Board. Jüngerer Bruder von König Abdullah II. von Jordanien.

Sebastian Coe, 67: IOC-Mitglied seit 2020. Präsident des Weltleichtathletikverbands World Athletics seit 2015. Olympiasieger über 1500 Meter 1980 und 1984. Saß von 1992 bis 1997 für die Tories im britischen Unterhaus. Chef des Organisationskomitees London 2012.

Kirsty Coventry, 41: IOC-Mitglied seit 2013, seit 2018 im Executive Board. Ehemalige Athletensprecherin. Olympiasiegerin im 200-Meter-Rückenschwimmen 2004 und 2008. Seit 2018 Sportministerin von Simbabwe.

Johan Eliasch, 62: IOC-Mitglied seit August. Präsident des Internationalen Skiverbandes FIS seit 2021. Eigentümer der Sportartikelmarke Head, CEO bis 2021. Schwedisch-britischer Staatsbürger.

David Lappartient, 51: IOC-Mitglied seit 2022. Präsident des Internationalen Radsportverbandes UCI seit 2017. Präsident des Französischen Olympischen Komitees und Chef der erfolgreichen Bewerbung der französischen Alpen um die Winterspiele 2030.

Juan Antonio Samaranch Jr., 64: IOC-Mitglied seit 2001, Vizepräsident seit 2022 und Mitglied des Executive Boards von 2012 bis 2020. Gründer einer in seinem Heimatland Spanien ansässigen Investmentbank. Sein Vater war von 1980 bis 2001 IOC-Präsident.

Morinari Watanabe, 65: IOC-Mitglied seit 2018. Präsident des Internationalen Turnverbandes FIG seit 2017. Japaner.

Das Prozedere

Nachdem nun alle sieben Kandidatinnen bekannt sind, so viele wie noch nie bei einer IOC-Wahl, wird das IOC im Januar an seinem Sitz in Lausanne (Schweiz) zusammentreffen. Die Kandidaten werden sich dort den versammelten IOC-Mitgliedern präsentieren und danach formal bestätigt. Sie dürfen weder Wahlkampfvideos veröffentlichen noch öffentliche Versammlungen organisieren oder an öffentlichen Debatten teilnehmen.

Bei der 143. IOC-Session, die vom 18. bis 21. März 2025 auf der griechischen Halbinsel Peloponnes unweit des antiken Olympia abgehalten wird, wird dann das neue IOC-Oberhaupt gekürt. Dessen erste Amtszeit dauert acht Jahre, eine zweite ist möglich, dann allerdings nur für vier Jahre. Besonderheit: Thomas Bach übergibt die Amtsgeschäfte erst am 23. Juni 2025 nach einer Übergangsphase. Der Ex-Fechter will die Nachfolge in seinem Sinne geregelt wissen.

Altersgrenze 70 Jahre

Das IOC-Regelwerk ist in Sachen Präsidentschaft kompliziert: Für fast alle der aktuellen Bewerber ist die Altersgrenze für IOC-Mitglieder ein Problem. Nach Ablauf des Jahres, in dem ein IOC-Mitglied 70 wird, scheidet es laut IOC-Charta automatisch aus. Eine einmalige Verlängerung um vier Jahre ist aber möglich. Ban Ki-moon, ehemaliger Generalsekretär der Vereinten Nationen, ist mittlerweile Chef der IOC-Ethikkommission. Er wies in einem Schreiben in der vergangenen Woche darauf hin, dass ein Präsident über die gesamte Amtszeit Mitglied sein muss.

Noch nie eine Präsidentin

Alle bisherigen IOC-Präsidenten waren weiße Männer, acht stammten aus Europa, einer aus den USA (Avery Brundage 1952–1972). Bisher hat sich überhaupt nur eine Frau jemals um den IOC-Vorsitz beworben: die US-Amerikanerin Anita DeFrantz, die 2001 gegen den Belgier Jacques Rogge die Wahl verlor. Insofern werden Kirsty Coventry aus Simbabwe durchaus gute Chancen eingeräumt. Sie ist bereits im Executive Board und gilt als Günstling Bachs.

Asien und Afrika bisher außen vor

Die ehemalige Athletensprecherin Coventry erfüllt zudem noch ein weiteres Kriterium für all jene, die die Modernisierung des IOC nach außen tragen wollen: sie stammt aus Afrika. Zwar stellten auch Lateinamerika oder Asien noch nie einen IOC-Boss, allerdings werden sowohl Prinz Feisal aus Jordanien als auch Turnfunktionär Watanabe aus Japan derzeit nur Außenseiterchancen eingeräumt.

Problem der Mitgliedschaft

Natürlich haben die Spekulationen bereits begonnen, wer denn am aussichtsreichsten im Rennen um die Präsidentschaft ist. Der Job gilt als ehrenamtlich, jedoch werden jährlich 275 000 Dollar Aufwandsentschädigung gezahlt. In vielen westlichen Ländern hält man Sebastian Coe für am meisten geeignet. Bei Thomas Bach hat der Brite schlechte Karten, spätestens, nachdem er in Paris in einem Alleingang seiner Sportart den Olympiasiegern in der Leichtathletik jeweils 50 000 Dollar Prämie zahlte. Zuvor gingen die Meinungen über den Umgang mit russischen Sportlern weit auseinander.

Für Sebastian Coe ist die Altersgrenze eine echte Hürde. Er wird am 29. September 68 und könnte nicht einmal mit einer Verlängerung eine erste Amtszeit bis 2033 zu Ende bringen. Eine Sonderregelung müsste für ihn geschaffen werden, ehe er dann 2030 ausscheiden würde. Zudem ist er nur qua Funktion im IOC, »ex officio« als Präsident von World Athletic. Laut Ethik-Kommission ergibt das einen Interessenskonflikt. Coe müsste bei World Athletics aufhören und stattdessen nachträglich als ordentliches Mitglied aufgenommen werden. Dies gilt allerdings auch für den Skisport-Überraschungskandidaten Eliasch und den Radsport-Franzosen Lappartient, der von Präsident Emmanuel Macron unterstützt wird.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal