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Für die Arbeiter, gegen den Alkohol

Am Mittwoch wurde in Berlin eine Gedenktafel für Salo Drucker, erster Weddinger Stadtarzt, zum zweiten Mal enthüllt

Kristof Graf (links), Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Jüdischen Krankenhaus, und Thomas Abel vom erinnerungspolitischen Verein Gleis 69 enthüllen die Gedenktafel.
Kristof Graf (links), Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Jüdischen Krankenhaus, und Thomas Abel vom erinnerungspolitischen Verein Gleis 69 enthüllen die Gedenktafel.

Wenn Gebäude weichen, muss man aufpassen, dass die Erinnerung es nicht auch tut. Als 2017 feststand, dass das Haus der Gesundheit in der Reinickendorfer Straße im Berliner Ortsteil Wedding wegen Schimmelbefall abgerissen werden sollte, war zunächst nicht klar, was mit der dort angebrachten Gedenktafel für Salo Drucker geschehen würde. Auf Anregung des erinnerungspolitischen Vereins Gleis 69 wurde sie zunächst von der Historischen Kommission zu Berlin in Nikolassee verwahrt. Nun ist sie wieder für die Öffentlichkeit sichtbar, nämlich am Verwaltungsgebäude des Jüdischen Krankenhauses. Ein passender Ort, denn hier hatte Drucker als erster Weddinger Stadtarzt seine ersten Amtsräume bezogen. Mit Grußworten bzw. Vorträgen von Thomas Abel von Gleis 69, Kristof Graf, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Jüdischen Krankenhaus, Lukas Murajda, Amtsarzt im Bezirk Mitte und Susanne Doetz, Medizinhistorikerin am Institut für Geschichte der Medizin und Ethik an der Charité, wurde die Tafel am Mittwoch bei Sonnenschein enthüllt.

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Salomon »Salo« Siegfried Drucker war ein außergewöhnlich sozial engagierter Mensch. 1885 in Leszno im heutigen Polen in eine jüdische Familie geboren, studierte er an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin Medizin und wurde dort auch promoviert. Als Stadtarzt und aktiver Sozialdemokrat wirkte er zwischen 1922 und 1933 an der Schnittstelle von medizinischer Forschung, öffentlicher Gesundheitsversorgung und Sozialpolitik. Der Wedding war damals durch und durch Arbeiterbezirk, die medizinische Versorgung schlecht. Armut, Obdachlosigkeit und mangelnde Hygiene trugen zur schnellen Verbreitung von Tuberkulose und anderen Infektionskrankheiten bei. Auch Alkoholismus war ein gravierendes Problem: Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert war Alkohol in den Fabriken als Mittel eingesetzt worden, um die Menschen an die neue Arbeitsdisziplin zu gewöhnen; nach Feierabend diente er den hart arbeitenden Proletarierinnen und Proletariern zur Betäubung. Dies bekämpfte Salo Drucker, selbst abstinent, entschieden. In zahlreichen Publikationen und Vorträgen legte er die Zusammenhänge zwischen Alkoholismus und der sozialen Lage der Bevölkerung dar. Er gehörte dem Vorstand des Deutschen Arbeiter-Abstinenten-Bundes und der Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Alkoholgegner an.

1933 zwangen die Nazis Drucker, seine Arbeit und sein Engagement zu beenden. Am 7. April erließen sie das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums«. Schon zuvor waren Juden und politische Gegner – auch Salo Drucker – vom Staatsdienst »beurlaubt« worden. Das Gesetz mit dem euphemistischen Namen lieferte nun die rechtliche Grundlage zu ihrer fristlosen Entlassung. Am 15. April 1933 wurde Salo Drucker aus dem Dienst entlassen. Mit seiner Frau Liesbeth, die ebenfalls als Ärztin in Berlin tätig gewesen war, emigrierte er daraufhin in die Schweiz. Weil er dort keine Arbeitsgenehmigung erhielt und die Nazis damit drohten, seine Pensionszahlungen einzustellen, kehrten die Druckers nach Berlin zurück. Weil sich das Ehepaar in seinem Haus in Frohnau am Rande Berlins nicht mehr sicher fühlte, ließ es sich in der Fasanenstraße 59 in Wilmersdorf nieder. Dort betrieb Salo Drucker von 1935 bis 1938 eine Arztpraxis für jüdische Kinder. Emigrationsversuche des Ehepaars scheiterten, weil die Druckers keine Bürgen im Ausland fanden.

Im Juni 1940 wurde Salo Drucker in seiner Wohnung verhaftet – das angebliche Vergehen: »Verbreitung von Gräuelpropaganda«. Zunächst im Gestapo-Gefängnis interniert, wurde er im Juli ins KZ Sachsenhausen deportiert. Am 19. August starb er dort, mutmaßlich an einer Lungenentzündung. Seine Frau Liesbeth konnte gegen ein Entgelt seine Asche auslösen und ihn auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee beisetzen. Sie selbst wurde im November 1941 nach Riga deportiert und gleich nach ihrer Ankunft im Rahmen des Massakers von Rumbula ermordet. In der Fasanenstraße erinnern heute Stolpersteine an das Ehepaar.

Drucker ist einer von 450 Medizinern, die das Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin der Charité auf seiner Website unter »Verfolgte Ärztinnen und Ärzte des Berliner Städtischen Gesundheitswesens« auflistet. Das sind alle, die während der NS-Zeit in Berlin aus dem städtischen Dienst entlassen wurden. Wenn man hier auf die Namen klickt, kann man etwas über ihre weiteren Lebenswege erfahren. Vielen gelang die Emigration, zum Beispiel nach Palästina, Großbritannien oder in die USA – wohl auch, weil sie es als Ärztinnen und Ärzte vielfach leichter hatten als andere jüdische Deutsche. Zu denen, die von den Nazis ermordet wurden, zählt auch Curt Bejach, von 1922 bis 1933 Kreuzberger Stadtarzt. Er starb 1944 in Auschwitz. Seit 2011 heißt das Gebäude, in dem sich das Gesundheitsamt Friedrichshain-Kreuzberg befindet, Curt Bejach-Gesundheitshaus, seit 2015 befindet sich darin eine Dauerausstellung zum Leben und Wirken Bejachs. Zu Salo Drucker gibt es nichts Vergleichbares – nun aber wenigstens wieder eine sichtbare Gedenktafel.

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